: Zuviel geträumt
■ Nachdem der Ausgeher letztens über sein Äußeres nachdachte, orientiert er sich nach Innen: Ins Harmony
Ein erholsamer Schlaf war das letzte Woche nach der „Crackle Lounge“ nicht gerade. Hatte einen Alptraum. Mein Bierstemmarm ist mir abgefallen. Ab der Schulter war einfach Schluss – quasi kein verlängertes Greifgerät mehr zur Hand. Der Hausarzt schimpfte mit mir. „Warum kommen sie erst vier Wochen nachdem sie das bemerkt haben? Jetzt kann ich da auch nichts mehr machen.“ Buaaah.
Was soll das bedeuten? Träume haben ja immer einen tieferen Grund. „Dahinter stecken bestimmt Verlustängste“, meint mein Gegenüber im „Harmony“ in der Neustadt, das ich extra wegen ihres klangvollen, beruhigenden Namens auserkoren habe. Im „Harmony“ ist es schön. Primeln stehen auf der Fensterbank. Primel - komisches Wort. Beinhaltet irgendwie eine Hautirritation. Liegt vielleicht daran, dass ich eine Primelallergie habe. Von meiner Mutter geerbt.
Ich bitte meine Begleitung, den Platz zu wechseln, schließlich möchte ich heute mal mit meinem Körper im Einklang sein. Im Hintergrund swingt Robbie Williams - und gewinnt. Wir nehmen auf einem ausrangierten Flugzeugsessel Platz, dessen Muster stark an einen Nadelstreifenanzug erinnert. Lustig, das Tischtablett im linken Seitenarm lässt sich sogar noch ausklappen. Da stell ich passender Weise „Flying Kangaroo“ drauf, eine der 39 Cocktailspezialitäten, die es in diesem Laden gibt. Gegenüber von uns sitzt ein Pärchen auf einem der gemütlichen Sofas. Früher dachte ich immer, die Mehrzahl von Sofa sei Sofen.
Links von uns hängt die ganze Wand voll mit Zeitungsartikeln aus aller Welt: Herald Tribune, Le Monde, The Guardian, Hürriyet und La Gazetta dello Sport. Vor dieser Wand fühle ich mich wie ein Mann von Welt. Ich zünde mir eine Zigarette an. Mit einem Streich-holz. Ich streiche das Holz an der markierten Fläche der Schachtel entlang und die Flamme entzündet sich. Simpel, aber genial. Streichhölzer liegen hier auf jedem Tisch im sauberen Aschenbecher. Der Wirt denkt mit. Er weiß: Viele Leute vergessen in dieser Zeit ihr Feuerzeug. Andererseits fällt so die typische Anmache „Haste mal Feuer“ natürlich flach. Im Harmony muss man auf ausgefallenere Methoden zurückgreifen, um sich näher zu kommen. Ich will heute niemandem zu nahe kommen.
Am Wochenende spielen hier manchmal Bands. „Die warmen Brüder“ zum Beispiel, erzählt mir meine Begleitung, die ich schon ganz vergessen hatte. Es soll hier wohl auch Homo-Partys geben. Und eine Live Jazz Lounge, immer donnerstags und sonntags. Heute nicht. Heute ist demnach wohl ein anderer Wochentag. Die Gäste sehen auch ganz sympathisch aus. Unauffällige Jeans- und Stoffhosenträger. Die Bar ist geschnitzt und verziert. Erinnert an diese alten englischen Pubs. In der Mitte des Raums steht ein Rondell mit einem bunten Glaskuppeldach. Gibt es da nicht ein Buch, „Die Harmonie des Kreises“? Der Autor hat sich bestimmt hier inspirieren lassen. Bin mal gespannt, wohin dieser Ausflug mein Unterbewusstsein katapultiert. Harmony.
Lahnstraße 13A. Ein Pils vom Fass kostet 1,90 Euro.
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