: Ein Lehrer für den Kongo
aus Maradi Ostrich Farm FRANÇOIS MISSER
Die lange Vermittlerarbeit hat ihn angestrengt. Zwei Jahre hat es ihn gekostet, sie überhaupt dazu zu bringen, offiziell miteinander zu reden, die Politiker und Warlords des Kongo. „Mir würde es besser gehen, wenn ich damit nichts zu tun hätte“, erklärt Ketumile Masire. Aber auch wenn er solche Sätze sagt, wirkt er nicht müde, sondern eher zufrieden. Denn nun, am kommenden Montag, soll der „innerkongolesische Dialog“ endlich beginnen.
Dass er stolz ist, würde Masire nie vor sich hertragen. Seine Charakter hat nichts mit seinem Vornamen zu tun – Ketumile heißt: „Ich bin berühmt.“ Er weist darauf hin, dass er die Arbeit als Vermittler und Organisator des Dialogs eigentlich gar nicht wollte. „Ich war zurückhaltend“, erinnert er sich an die Anfrage von UN-Generalsekretär Kofi Annan und dem Generalsekretär der Organisation für Afrikanische Einheit, Salim Ahmed Salim. „Ich war schon pensioniert. Man geht nicht in den Ruhestand, um einen neuen Job anzunehmen. Aber Kofi Annan und Salim Ahmed Salim setzten mich und meinen Präsidenten [Botswanas heutiger Staatschef Festus Mogae] unter Druck. Da dachte ich: Na ja, es muss ja jemand machen.“
Ob das stimmt? Masire ist ein diskreter Mensch, aber nicht ohne Stolz. Er hat in seiner langen Amtszeit als Präsident seine Heimat Botswana zu einem der stabilsten und reichsten Länder Afrikas gemacht. Masire strahlt die gleiche Ruhe aus wie sein Land, Lichtjahre entfernt von der Aufregung des Kongo.
Masires Lebensstil drückt das aus. Seine Straußenfarm 75 Kilometer außerhalb der Hauptstadt ist 237 Hektar groß, aber alle Gebäude sind streng funktional. Er tritt seinen Besuchern betont einfach gegenüber. Er hat nur einen Leibwächter. Auch sein Nachfolger als Botswanas Präsident, Festus Mogae, reist in Begleitung eines einzigen Polizeiautos. Im Regierungsviertel der Hauptstadt Gaborone sieht man keine Polizei- oder Armeeuniformen. Als sei Botswana das Schweden von Afrika und daher ähnlich wie die skandinavischen Länder prädestiniert für schwierige Konfliktvermittlung.
Heute ist Masire 76 Jahre alt. Die Bürger Botswanas respektieren ihn als Landesvater – die Führer der kongolesischen Kriegsparteien könnten sämtlich seine Kinder sein. Der ehemalige Schulrektor ist so etwas wie der Oberlehrer des Kongo geworden. Vielleicht ist es das, was ihn an der so gut wie unmöglichen Aufgabe reizt, den Kongo zu befrieden.
„Ich bin ein Pionier“, sagt Masire im Rückblick auf seine lange politische Karriere. Gefragt, was er für seine größte Leistung hält, wird er sogar ausschweifend. Allerdings benutzt er stets die Wir-Form: „Wir haben das Einkommensniveau erhöht. Das ist eine Leistung, die nichts mit Pomp und Glanz zu tun hat, sondern damit, das Leben lebenswerter zu machen. Wir haben fast 100 Prozent Einschulungsquote, es gibt alle 50 Kilometer eine Klinik, es gibt sauberes Trinkwasser für alle, es gibt wirtschaftliche Chancen und Selbstbewusstsein im Land. Die Menschen dieses Landes haben ihre Kinder stolz darauf gemacht, ihre Kinder zu sein.“
Für den geduldigen Lehrer Masire sind die kongolesischen Politiker ein bisschen wie seine Schüler. Aber alles hat Grenzen. Auch Masires Geduld. Er hat seit Beginn seiner Arbeit von allen Seiten Kritik gehört: von den Geldgebern, von Kongos Kriegsparteien. Als der erste Versuch zum „innerkongolesischen Dialog“ im Oktober 2001 in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba platzte, sagten sie alle, Masire sei schuld. Er habe das Treffen schlecht vorbereitet.
Da regt er sich auf. „Ungefähr zehn Tage vor dem Treffen merkte ich, dass wir nicht genug Geld hatten. Die Hotels in Addis verlangten eine Million Dollar Vorkasse, und wir hatten nur 250.000.“ Da wandte er sich an die Teilnehmer des Dialogs und sagte, sie sollten ihre Delegationen von je 62 auf 15 reduzieren und nur eine Woche lang tagen. Dies hätten gewisse Kongolesen als Vorwand genommen, die Gespräche gar nicht erst ernsthaft zu beginnen und gleich wieder abzureisen. Masire nennt keine Namen, aber Augenzeugen der Verhandlungen wissen, dass die Regierungsdelegation gemeint ist.
An dem Geldproblem, sagt Masire, seien schließlich die Finanzierer des Dialogs schuld und nicht er. Die Geber – vor allem die EU, Belgien, Frankreich und Großbritannien – zahlten so ineffizient, dass von 6 Millionen Dollar, die bis Ende 2001 überwiesen wurden, 265.000 für Umtauschgebühren draufgingen. Masire hat für so etwas kein Verständnis. Er war auch einige Zeit Finanzminister von Botswana. Als Staatschef erwirtschaftete er Haushaltsüberschüsse und häufte Devisenreserven an.
Ein von Kongolesen oft gegenüber Masire geäußerter Vorwurf war, dass er kein Französisch spricht, sondern nur Englisch. Das stimmt, aber etwa die Hälfte seiner 17 Mitarbeiter in Gaborone und alle 16 Angestellten seines vom Mauretanier Ould Lebatt geleiteten Büros in Kongos Hauptstadt Kinshasa beherrschen die Sprache Molières. Außerdem sprechen viele Kongolesen Englisch, angefangen mit Staatspräsident Joseph Kabila, seinem Innen- und Außenminister und den meisten Führern der Rebellengruppen. Masire kennt auch die Probleme des Afrika der Großen Seen. Er leitete eine „Eminent Persons Group“, die 1994 im UN-Auftrag den Völkermord in Ruanda untersuchte.
Heute hofft der Botswaner, die Zeit der Vorwürfe hinter sich gelassen zu haben. Die vier Millionen Dollar, die für 45 Tage Verhandlungen zwischen 300 Kongolesen in Südafrika benötigt werden, hat er besorgt. Geld oder Sprache fallen jetzt als Kritikpunkte aus. Da diese Punkte ohnehin nur vorgeschoben waren, heißt das nicht, dass die Probleme des Dialogs gelöst sind. Aber aus Masires Sicht liegt der Ball jetzt bei den Kongolesen. An ihnen ist es, Verantwortung zu übernehmen. Was nicht heißt, dass Masire optimistisch wäre. Dazu hat er zu viel politische Erfahrung. „Ich bin optimistisch, dass wir am 25. in Sun City anfangen werden“, sagt er listig auf die entsprechende Frage.
Er antwortet auf Fragen mit kurzen, durchdachten Sätzen voller Understatement. Wenn er etwas nicht sagen will, sagt er es nicht. Wie viel Vieh besitzt er? „Hier in Botswana protzen wir nicht.“ Hat er Vertrauen in Kongos Präsidenten Kabila? „So viel Vertrauen, wie ein Mensch in einen anderen haben kann.“ Man versteht, wie dieser Mann sogar die Queen beeindruckte, die ihn 1994 in den britischen Adelsstand erhob. Auf die Frage, womit er das verdient hat, antwortet er: „Denken Sie, ich weiß das?“
Durchdacht äußert er sich auch zu Robert Mugabe, der Botswanas Nachbarland Simbabwe gerade in die Krise führt. „Als ich Präsident war, hatten wir die besten Beziehungen“, sagt er. Er habe ihn letzten Monat in Malawi getroffen, und „er war derselbe freundliche Mugabe wie immer“. Durchdacht ist diese Antwort deshalb, weil die simbabwischen und kongolesischen Krisen miteinander verknüpft sind. Simbabwes Truppen im Kongo sind die wichtigste militärische Stütze der Regierung Kabila. Sollte bei Simbabwes Wahlen im März die Opposition siegen und diese Truppen wie angekündigt abziehen, dürfte dies Kabila zu Konzessionen im Dialog bewegen – bei Mugabes Sieg wäre das Gegenteil der Fall. Hier könnte Masire als einem der wenigen Politiker, der in London und von Mugabe geschätzt wird, eine wichtige Rolle zukommen.
Dieses Gewicht erleichtert nicht unbedingt seine Vermittleraufgabe. „Der Kongo ist seit über 40 Jahren falsch regiert worden“, sagt Masire. „Die Leute misstrauen einander alle und denken nur daran, was sie für sich aus der Lage herausholen können. Und wenn man hinfährt, projizieren sie das auf dich und denken, du bist gekommen, um Diamanten zu stehlen.“ Ein anderes Problem ist die Schwäche der organisierten Politik. „Es gibt 200 bis 800 Parteien im Kongo. Das Leben ist bunt, aber doch nicht so!“
Wie geht man mit so einer Konstellation um? Er könnte es sein lassen, aber das tut Masire nicht. Er ist nicht fatalistisch. „Sonst wäre ich nicht in der Politik“, sagt er, und daher will er den Kongolesen auch keine Ultimaten stellen. „Weder ich noch die Kongolesen sollten Fristen setzen. Wir müssen in gutem Willen verhandeln.“ Daher weigert er sich auch, auf kongolesische Kritik kritisch zurückzuschießen. „Seien wir ehrlich“, sagt er. „Ich werde den innerkongolesischen Dialog leiten. Wenn ich hier sitze und sage, was das für schreckliche, raffgierige Leute sind, wird es für das Treffen nicht hilfreich sein.“ Masire sagt es nicht, aber nach seiner Karriere erträgt er es schwer, wenn ihn Neulinge kritisieren. Dann wird er hart im Ton, ändert aber seine Linie nicht. Die schwierigen Situationen zwischen ihm und den jungen Kongolesen beschreibt er so: „Ich habe sie beschimpft, und sie haben mir verziehen, und ich bin beschimpft worden und habe verziehen.“
Was Masire denkt, ist oft schwer zu erahnen. Aber eines ist sicher: Er misstraut Dogmen und Vorurteilen. Er widerspricht nicht, wenn man ihn einen Pragmatiker nennt. Gerade deshalb verehrt er die großen Politiker des südlichen Afrika: Nelson Mandela, Julius Nyerere, Kenneth Kaunda. Aber Verehrung heißt nicht Nachahmung. Sogar als in Südafrika die Apartheid herrschte, nahm Masire zwar schwarze Flüchtlinge aus Südafrika auf, unterließ aber provokante öffentliche Kritik am Apartheidregime. Sein Vorbild Mandela hat letztes Jahr in Burundi ein Friedensabkommen erreicht, das den Krieg dort nicht beendet hat. Nun wird sich zeigen, ob Masire mit dem Kongo mehr Erfolg hat.
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