: Trubel versus Theaterspiel?
Betriebsräume weichen einer Bar: Unsensibler Umbau verändert Charakter der traditionsreichen Kammerspiele gravierend ■ Von Annette Stiekele
Die Gemüter sind erhitzt, die Nerven liegen blank. Die Diskussion um die Umbauten an der Dauerbaustelle Hamburger Kammerspiele nimmt täglich bizarrere Wendungen. Vorläufiger Höhepunkt: die Umgestaltung des Logensaals. Kammerspiele-Intendant Ulrich Waller wirft Erbpächter Jürgen Hunke vor, den historischen Boden, auf dem von September 1941 bis Oktober 1943 mindestens 300 jüdische Mitbürger Hamburgs auf ihre Deportation warten mussten, einfach mit Estrich auszugießen.
Der Holzboden sei alt und renovierungsbedürftig, konterte Hunke. Der Denkmalschutzbeauftragte Luis Moreno sprang ihm zur Seite. Der Boden stamme aus den 40er-Jahren. Ob es die originalen Dielenbretter sind, weiß heute niemand mehr, vermutlich sind sie eine erneuerte Schicht über dem Originalboden. Hunke erklärt dazu, dies sei ein Raum der Hamburger Kammerspiele Betriebsgesellschaft – deren Mitgesellschafter er ist. „Und wir möchten ihn so haben, wie er jetzt gestaltet wird.“
Daran kann man ihn nicht hindern, denn Kulturbehörde und Denkmalschutz waren in alle Planungen einbezogen. Dem neuen Estrich wird nun eine Zwischenschicht aus Wachstuch vorgelagert, so dass der Ursprungszustand jederzeit wiederhergestellt werden kann. Gleiches gilt für die Außenfassade, ursprünglich als verglaste Rundbögenkonstruktion gedacht. Auf Grund der Brandschutzauflagen der Stadt wird sie nun an den Seiten durch hässliche Betonwände mit dem Haus verbunden. Doch auch hier bleibt ein kleiner Spalt, der mit Materialien gefüllt wird, die wieder entfernt werden können.
Also alles reversibel. Kein Grund zur Aufregung? Für Intendant Waller ist es so, „als ob eine Freundin, mit der man alt werden wollte, in die Hände eines Schönheitschirurgen geraten ist und man sie hinterher nicht wiedererkennt. Es war ein großer Fehler der Stadt, das Haus vollständig in die Hände eines Privatmannes zu geben.“ Die Tatsache, dass Hunke formal alle Auflagen erfüllt, tröstet den Waller nicht. „Es geht darum, dass der Charakter des Hauses gravierend verändert wird. Und damit verschwindet ein Stück Geschichte.“
Juristisch ist der Umbau allerdings abgesichert: Bereits vor sieben Jahren wurden die Pläne in einem – von der Bürgerschaft einstimmig beschlossenen – Konzept festgeschrieben, wonach die Kammerspiele in erster Linie ein Sprech-Theater sein sollen. Weiter heißt es darin: „Da Kultur aber auch Kommunikation beinhaltet, soll es beim Theater nicht bleiben. Die Kammerspiele sollen zu einem Ort der toleranten Begegnung werden.“ Vorgesehen sind neben dem Theater auch Ausstellungen im Logensaal sowie die Einrichtung einer Bibliothek. Doch vor einem Kultur- und Kommunikationszentrum graust es Ulrich Waller. „Ich weiß nicht, wie wir hier ein produzierendes Theater betreiben sollen, wenn den ganzen Tag Trubel herrscht.“
Zur Vorgeschichte: 1997 hatte der Hamburger Kaufmann Jürgen Hunke das damals baufällige Gebäude von der stadteigenen Sprinkenhof AG für zwei Millionen Mark in 40-jähriger Erbpacht erworben. Dafür sicherte er die Durchführung notwendiger Sanierungsmaßnahmen zu. Als Erbpächter hat er eigentümerähnliche Rechte und beim Umbau weitestgehende Handlungsfreiheit.
Doch an der Ästhetik scheiden sich die Geister: Den vormaligen Jahrhundertwende-Stil soll künftig eine kühle Schwarzweiß-Verspiegelung ersetzen. Der Kneipenraum wird vergrößert, das Foyer ist zum Teil ins untere Stockwerk verlagert, oben soll ein überdachter Glasvorbau als vergrößertes Foyer dienen. Im ersten Stock müssen drei dringend benötigte Betriebsräume des Theaters einer Bar weichen.
Doch Hunke weist alle Vorwürfe, er wolle sich auf Kosten der Geschichte des Hauses als Unternehmer bereichern, zurück. „Nach meiner Auffassung bin ich bisher der einzige, der in diesem Haus die jüdische Tradition bewahrt.“ Zu Unrecht sieht er sich als Investor an die Wand gestellt. „Es kann nicht sein, dass die wenigen Leute, die in dieser Stadt noch was machen, sich am Ende noch rechtfertigen müssen.“
Kulturbehörden-Sprecher Kai Hartig bestätigt, dass der Zustand des Theaters nicht mehr den baulichen Anforderungen an einen öffentlichen Raum genügt. Den tatsächlich nötigen Umfang der Sanierungsmaßnahmen brachte allerdings erst die Sanierung der maroden Elektrik ans Licht. Daher rühren auch die zeitlichen Verzögerungen, die dem Theater Einbußen von geschätzten 300.000 Euro beschert haben, für die derzeit kein Ersatz in Sicht ist. Ende April soll alles fertig sein. „Ich wollte noch einmal eine Diskussion darüber entfachen, ob dieser Umgang mit einem öffentlichen Erbe in dieser Stadt so gewollt ist“, begründet Waller seine Empörung.
Jetzt wäre die Stadt als Eigentümerin gefragt. Dem Vernehmen nach hat die Kultursenatorin bereits eine Liste eventuell aus den Kammerspielen verschwundener jüdischer Kulturgüter angefordert. Auch der Kulturausschuss plant eine Begehung.
Bleibt die Frage, ob die Kammerspiele weiterhin Theater auf hohem Niveau anbieten können. Wallers Mietvertrag läuft im Juni 2003 aus. Jürgen Hunke kann dann frei entscheiden, wen er als Mieter im Haus haben will. Die frühere Prinzipalin Ida Ehre schrieb zur Wiedereröffnung des Theaters 1945: „Wir wollen leben für unsere Bühne und spielen für das Leben“. Hoffen wir, dass das so bleibt.
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