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The beep goes on

von CAROLA RÖNNEBURG

Bevor er ein Künstler wurde, vernichtete er die Kunstwerke anderer. 1932, als Chuck Jones sein Studium abgeschlossen hatte und seinen ersten Job in einem Animationsfilmstudio antrat, wurde er cell washer: Wenn ein Trickfilm Bild für Bild abfotografiert war, wusch man damals die vielen Einzelzeichnungen von den Folien herunter, um sie abermals verwenden zu können. Heute erzielen diese Originale Spitzenpreise bei Auktionen, damals aber dachte man nur daran, dass cells sieben Cent pro Stück kosteten. Ein knappes halbes Jahr spülte Chuck Jones also Tinte in den Ausguss, dann begann sein Aufstieg.

Er durfte die Vorlagen der Zeichner übertragen; man ließ ihn die Zwischenphasen in Filmen zeichnen, er übernahm die Weiterentwicklung von Figuren. 1936 wechselte Chuck Jones in die Schlesinger Studios, die bald an Warner Brothers verkauft wurden, und stieß dort auf ein Team junger Autoren und Regisseure, das Cartoongeschichte schreiben sollte. Animationsabteilungen arbeiteten in diesen Jahren nahezu autonom. 30 Filme pro Jahr mussten produziert werden – wie, das spielte fast keine Rolle. Einmal erzählte Chuck Jones von Leon Schlesingers Besuchen bei seinen Angestellten: „Wir wussten, dass er ohnehin nicht zuhörte. Also sagten wir, wir arbeiten gerade an einer Duffy-Episode, in der sich herausstellt, dass Duffy gar keine Ente ist, sondern ein tranvestitisches Hühnchen. Und Schlesinger sagte, das ist gut Jungs, bringt noch ein paar Witze unter.“

Über Witze wussten Chuck Jones und seine Kollegen bestens Bescheid. Strenge Vorgaben sorgten dafür, dass sie Komik einzigartig planvoll einsetzen mussten: Die Filme hatten exakt sechs Minuten lang zu sein und durften nicht geschnitten werden. Man konnte also keine Szene im Nachhinein durch Kürzen verbessern – Erzählung und Tempo mussten von Anfang an stimmen.

Anders als etwa Tex Avery zählte Chuck Jones zunächst nicht zu den wildesten Regisseuren. Er hatte als Zeichner bei Avery angefangen, der sich mit ihm und Bob Clampett in einem Häuschen namens „Termite Terrace“ entschlossen dem Vorsatz widmete, „ein paar lustige Filme zu machen“. Jones erste eigene Geschichten waren dagegen eher rührend, seine Figuren muteten wie Disney-Charaktere an. Die Gesellschaft von jungen Zeichentrick-Enthusiasten wie Friz Freleng, Bob Clampett und Frank Tashlin konnte jedoch nicht ohne Folgen bleiben. In jener Zeit wurde unter der Regie von Ben Hardaway Bugs Bunny geboren. Er hatte zunächst nur einen Auftritt als übergeschnapptes Kaninchen in einem Film mit Porky Pig, doch zwei Jahre später begann Tex Avery, den Charakter des Hasen zu entwickeln: Bugs Bunny wurde zum überlegenen Jägerschreck. Bald darauf drehte auch Chuck Jones, neben Friz Freleng, Frank Tashlin und Bob Clampett, Filme mit Bugs Bunny; es folgten Episoden für Duffy Duck.

Während die berühmtesten Stars der Looney-Tune- und Merrie-Melodies-Ära also grundsätzlich mehrere Väter hatten, gehört eine Figur ganz allein Chuck Jones: Wile E. Coyote, der erfolgloseste Fleischfresser aller Zeiten. Für seine Roadrunner-Geschichten stellte Chuck Jones ein herrlich absurdes Regelwerk auf. „Keine Dialoge außer beep-beep“, lautete eine Verordnung, „Der Roadrunner verlässt nie die Straße“ eine andere. Die wichtigsten Gesetze aber betrafen eine Firma namens ACME. ACME, erzählt Jones in seiner Autobiografie „Chuck Amuck“, war eine Buchstabenreihenfolge, die damals sehr viele Geschäftsleute benutzten, um im Branchenbuch möglichst weit vorn aufzutauchen. Jones’ ACME-Unternehmen lieferte Dynamitstangen, Superkleber und andere Produkte an den Kojoten, der nie eine andere Wahl hatte: Alle Gerätschaften, die der Kojote einsetzte, um den Roadrunner zu fangen, mussten aus dem Hause ACME stammen – und einer weiteren Regel entsprechend funktionierten sie nie. Der feste Rahmen, in dem Chuck Jones die Raodrunner-Serie angesiedelt hatte, bot ihm übrigens die Möglichkeit, zwischendurch an anderen Filmen zu arbeiten. Offiziell bereits mit der nächsten Episode beschäftigt, die später in Rekordtempo gedreht wurde, bastelten Chuck Jones und sein Team etwa an der Kurzfassung vom „Ring des Nibelungen“ oder an der wunderbaren Froschparabel „One Froggy Evening“.

1962 schloss Warner Brothers seine Studios. Chuck Jones wechselte in den folgenden Jahren zu MGM, gründete eine eigene Produktionsfirma, wurde für Animationsfilmsequenzen bei Realfilmen eingesetzt und vertrieb gemeinsam mit seiner Tochter Trickfilmkunst – cells zum Beispiel. Chuck Jones ist sehr alt geworden. Seine Verdienste wurden zu Lebzeiten anerkannt, so dass er vermutlich in Frieden ruht. Es sei denn, der Himmel wurde von ACME eingerichtet.

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