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brotfrau und brotmann von JÜRGEN ROTH

In einem Sommer schlenderte ein Mann über einen etwa fünfzig mal siebzig Meter messenden Platz inmitten einer hinreichend großen Stadt.

Der Mann war natürlich gekleidet. Er trug Jeans, feste schwarze Schuhe und eine dunkle Stoffjacke. Durch die Wipfel der Ahornbäume, die den Platz säumten, strich ein frischer Wind, und nicht dass die Brise den Mann zu besonderen Gedanken beflügelt hätte, nur aus einer Laune heraus entschied er, nicht den Kiosk anzusteuern, den er jeden Morgen aufsuchte, bevor er seine Arbeit begann. Er lief stattdessen auf ein Geschäft zu, das er noch nie betreten hatte und über dessen Fensterfront ein leuchtendes rotes Schild die Bäckerei Nachtsheim verhieß.

Die Tür öffnete sich ohne Glockenton. Links stand ein Regal voller Milchflaschen, Erfrischungsgetränke und Zuckerkästchen. Vor dem Mann erhob sich eine Glastheke, in der Buttercroissants, Cremeschnitten und Mohrenköpfe auslagen. Hinter ihr warteten zwei Damen. Sie hielten die Arme vor den Brüsten verschränkt und murmelten „Guten Morgen“.

Der Mann zog den Jackenreißverschluss herunter und gab eine Bestellung auf. Die dickere der beiden griff eine Papiertüte, kniff die Augen zusammen, blinzelte und klaubte schließlich aus den Körben hinter der Theke eine „Roggensemmel, oder?“ und „was? Drei Laugenbrötchen? Vier Laugenbrötchen, bitte!“

Schon wollte der Mann froh sein, dass alles gut geklappt und sein erster Auftritt im fremden Geschäft keine Schwierigkeiten bereitet hatte, als linker Hand ein noch stärker beleibter Mensch, ein Mann, aus der Backstube auftauchte und durch sein Erscheinen die Übergabe der Brottüte unterbrach. Die Brotfrau wandte sich ihm zu und sprach auf ihn ein. Der Bäcker, das musste er sein, vermutete der Mann, brummte eine Antwort zurück, hörte ein paar spitze Töne und knurrte weiter. Mit der linken Hand wühlte er in den Mohnsemmeln herum, und die Frau fuhr fort, Laute zu formen, die der Mann nicht verstand. Eine Folge dieser Laute erregte aber plötzlich den Zorn des Brotmannes, und vor den Augen des Mannes drehte sich der mächtige Kerl herum und wählte nun scharfe Worte, um gegen die Frau in die Offensive zu gehen.

Der andere Mann hätte auch dann nichts verstanden, wären die Worte, die fielen, klarer gewesen, denn er blickte jetzt, ohne dass er etwas dagegen hätte unternehmen können, auf eine weißblau karierte Hose, die zur Gänze unter einem mehlig-weißen, ranzig-teigigen Arsch hing, und dieser vollständig entblößte Riesenarsch spazierte von da an hinter der Glastheke einige Minuten lang hin und her, sodass der unfreiwillig gebannte Beobachter dieses Schauspiels nach etlichen Augenblicken beglückt eine einzigartige Symbiose aus Lebensmittel und Lebensweg, vielleicht besser: Lebenswandel, erkannte.

Seit jener Entdeckung am Rande des Schönplatzes ruft der Mann allmorgendlich der Frau daheim zu, er gehe rasch zur Arschbeschau bei Familie Nachtsheim. Ob er Brötchen mitbringe, könne er leider nicht versprechen.

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