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Arbeitslos ist nicht gleich arbeitslos

Bundesanstalt für Arbeit will Joblose, die gar nicht aktiv eine Stelle suchen, aus der Statistik werfen. FDP: Dann müssen wir auch die Kurzarbeiter und die ABM-Kräfte berücksichtigen. Grüne: Zeitpunkt für Reform ist „nicht intelligent“ gewählt.

aus Berlin ULRIKE HERRMANN

Es gibt Arbeitslose in Deutschland. Oder doch nicht? Jedenfalls kennt die deutsche Faulenzerdebatte nun eine weitere Variante: Gestern ließ Arbeitsminister Walter Riester erneut wissen, dass er die Arbeitslosenstatistik so schnell wie möglich reformieren will. 1,2 Millionen Arbeitslose, so schätzt Riester, haben nämlich eigentlich andere Pläne, als sich einen Job zu suchen. Das ist knapp ein Drittel der 4,3 Millionen Personen, die die aktuelle Arbeitslosenstatistik erfasst.

Basis dieser Hochrechnung ist eine Studie von infas, die im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeit (BA) 20.000 Arbeitslose telefonisch befragt hat, wie engagiert sie eine neue Beschäftigung suchen. Ergebnis war, dass 5 Prozent der Arbeitslosen bereits eine neue Stelle haben und demnächst antreten wollen, dass 15 Prozent auf die Rente warten und dass weitere 7 Prozent viele gute Gründe nennen können, warum sie sich nicht um einen Job kümmern – ob dies eine Schwangerschaft ist oder ein bevorstehender Wehr- bzw. Zivildienst.

Für Riester ist es daher ein Gebot der „Transparenz“, die Arbeitslosenstatistik um dieses Drittel zu bereinigen. Der Abgeordnete Dirk Niebel (FDP), der selbst lange als Vermittler im Arbeitsamt Heidelberg tätig war, hat dafür sogar Verständnis: „aber bitte nicht einseitig“. Eine reformierte Arbeitslosenstatistik müsse dann auch die Kurzarbeiter berücksichtigen sowie die Beschäftigten in den Arbeitsbeschaffungs- und Strukturanpassungsmaßnahmen. „Denn die sind nur geparkt und suchen eigentlich Arbeit“, sagte Niebel zur taz.

Das sieht Riesters Pressesprecher, Klaus Vater, deutlich anders: „Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind Berufsvorbereitung.“ Und wer einen Beruf erst erlernt, kann ihn nicht gleichzeitig ausüben wollen – so die Logik. Und Kurzarbeiter? „Die haben doch einen Job!“ Wenn auch einen, der vorübergehend in der Flaute sei.

Jetzt soll die BA eine Statistikreform vorbereiten, bis zum Sommer soll diese abgeschlossen sein. Ob dafür Gesetzesänderungen nötig sind, konnte Vater noch nicht sagen; dies würden Fachleute im Arbeitsministerium momentan prüfen. Doch sind Gespräche mit den Fraktionen im Bundestag geplant.

Ebenso unklar ist bisher, wie die neue Arbeitslosenstatistik erhoben werden soll. Ob sie nur eine Hochrechnung darstellen wird, analog zur infas-Untersuchung, oder ob sie – sehr viel genauer – Einzelfälle registriert. „Dies muss uns die Bundesanstalt für Arbeit sagen“, so Vater zur taz. „Vielleicht teilen die uns auch mit, dass die Abgrenzungsprobleme zu groß sind.“

Die Grünen können Riesters Wunsch nach „Statistikbereinigung“ zwar nachvollziehen. „Aber den Zeitpunkt hätte man intelligenter wählen können“, kritisierte Haushaltsexperte Oswald Metzger gegenüber der taz. So würde der Opposition nur ein billiges Wahlkampfargument geliefert. Und in der Tat sprach Kanzlerkandidat Edmund Stoiber vor CDU-Ostpolitikern auch nur noch von Schröders „Tricks“.

Unterdessen zeigen sich bereits erste Differenzen zwischen Arbeitsminister Riester und seinem neuen Leiter der Bundesanstalt für Arbeit. Während Florian Gerster in mehreren Interviews forderte, die Landesarbeitsämter abzuschaffen, will Riester diese Frage momentan nicht diskutieren. Vor den versammelten 181 Direktoren der deutschen Arbeitsämter sagte er in Nürnberg, dass die Zukunft der Landesämter erst bis Mitte August entschieden werde.

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