: Strahlende Mobilfunk-Zukunft
■ UMTS: Gesundheitsrisiko oder Panikmache? Wissenschaftler sehen Forschungsbedarf
Während der Widerstand sich längst organisiert hat, streitet die Wissenschaft noch über die Wirkungen von UMTS-Antennen. Die taz bat zwei Bremer Biologie-Professoren zum Streitgespräch: Rainer Frentzel-Beyme forscht am Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin (BIPS), Alexander Lerchl an der International University Bremen.
taz: Müssen die Bremer Angst vor der Rolle als UMTS-Modellstandort haben?
Rainer Frentzel-Beyme: Angst entsteht, weil etwas passiert, das wir uns nicht erklären können. Sprachschwierigkeiten, Schwindelgefühle – so etwas kann objektivierbare Gründe habven oder sich irrational hochschaukeln. Die Aufgabe der Wissenschaft ist es, mögliche Kausalzusammenhänge zu untersuchen. Das hilft Ängste abbauen, nicht etwa verstärken.
Sind die aus wissenschaftlicher Sicht denn gerechtfertigt?
Alexander Lerchl: Es gibt bislang nur Anekdoten und dokumentierte Einzelfälle, aber noch keine wissenschaftlich harten Daten, die eine Gefährdung durch Mobilfunkanwendungen belegen würden.
Bräuchte man die nicht, bevor man die Technik einsetzt?
Lerchl: Ein berechtigter Einwand, aber dahinter stecken massive wirtschaftliche Interessen – 100 Milliarden DM für die UMTS-Lizenzen sind ein Argument. Eigentlich müsste man, bevor man eine neue Technologie auf den Markt bringt, ihre Unschädlichkeit beweisen. Aber neu sind ja nicht elektromagnetische Felder, sondern nur die Frequenz. Wir müssen nun begleitend forschen, um etwaige langfristige Auswirkungen zu dokumentieren.
Gibt es denn Untersuchungen über Menschen, die besonders starker elektromagnetischer Strahlung ausgesetzt sind?
Frentzel-Beyme: In der Schweiz gab es einen Kurzwellensender, der aufgrund der Effekte auf die umgebende Bevölkerung vor zwei Jahren abgeschaltet wurde. Menschen, die im aktuellen Sendestrahl schliefen, sind davon schweißgebadet aufgewacht, die Schulleistungen der Kinder ließen nach, Tumore häuften sich – ohne Zweifel physiologische Wirkungen. Wir wissen nicht, ob die Intensitäten dafür auch bei Mobilfunkmasten ausreichen. Die in den Versuchen eingesetzten Strahlungsdosen werden in der Natur kaum erreicht. Andersherum: Können multiple Einwirkungen, die in Experimenten selten kombiniert werden, sich potenzieren? Solange wir das nicht adäquat untersucht haben, gilt die Regel: Vorsorge ist wichtiger, als die Ergebnisse zu analysieren, wenn es zu spät ist.
Wie stark ist denn die Strahlung eines Kurzwellensenders?
Frentzel-Beyme: Etwa 20.000 Mal so hoch wie die eines Handys. Die von einem Mobilfunkmast liegt noch mal deutlich unter der des Handys.
Lerchl: Ich habe die Strahlenbelastung durch die Basisstationen für Bremen ausgerechnet. Die gesetzlichen Grenzwerte werden durchschnittlich um das 6000-fache unterschritten. Durch ein paar Minuten Handy-Telefonat absorbiert man die gleiche Strahlung wie über 24 Stunden durch Basistationen. Diese Diskrepanz spiegelt sich leider nicht im öffentlichen Bewusstsein wider – viele der erklärten Mobilfunkgegner benutzen nach wie vor ihr Handy.
Frentzel-Beyme: Dennoch, Sie haben ja im Experiment interessante Wirkungen nachgewiesen ...
Lerchl: Wir haben in Münster Hamster 60 Tage lang dem zulässigen Grenzwert ausgesetzt. Da gab es geringfügige, aber signifikante Effekte: Das Körpergewicht und die Zellteilungsrate nahmen zu.
Heißt das, die Strahlung könnte krebsfördernd sein?
Lerchl: Prinzipiell geht das in die Richtung. Aber bei den tatsächlich vorkommenden Dosen wären die Effekte sehr unwahrscheinlich.
Frentzel-Beyme: Es wäre zu untersuchen, ob die verstärkte Zellteilung vom Zentralnervensystem gesteuert ist, über die Hormone. Und man müsste sich experimentell an tatsächlich vorkommende Strahlungsdosen herantasten.
Lerchl: Entsprechende Forschungsanträge sind gestellt.
Müdigkeit, Konzentrationsschwächen, Reizbarkeit, Kopfschmerzen – kann man solche Symptome der Strahlung von Mobilfunkmasten zuschreiben?
Lerchl: Ich sehe keine Effekte in dieser Richtung. Häufig fühlen sich die Menschen schon schlecht, wenn ein Mobilfunkmast aufgestellt wird; bevor er in Betrieb geht.
Frentzel-Beyme: Beobachtungen existieren aber. Natürlich gibt es auch eingebildete Kranke. Aber ebenso Gegenbeispiele: Versteckte Masten, nach denen die Betroffenen erst wegen ihrer Beschwerden gesucht haben. Das ist alles noch nicht wissenschaftlich untersucht, aber ich habe ein Konzept dafür.
Was nützt das „elektrosensiblen“ Menschen, die heute schon kein Auge mehr zu tun?
Lerchl: Bislang gibt es noch keine Belege für das Phänomen, aber das Bundesamt für Strahlenschutz lässt es untersuchen.
Frentzel-Beyme: In einer Schweizer Studie hat ein Teil der Leute im Schlaf auf Bestrahlung mit Unruhe reagiert und ist von der Strahlenquelle weggerückt. Man kann nicht behaupten, das sei unwissenschaftlich! Die Elektrosensitiven sind richtig frustiert. Die fahren abends mit dem Wohnmobil woanders hin, um zu schlafen.
Das niedersächsische Suderbruch wehrt sich gegen einen Mobilfunkmast, weil es ein Kurort für Elektrosensitive werden will ...
Frentzel-Beyme: Ja, da ist noch ein Loch. Mecklenburg-Vorpommern könnte das auch als Vorteil darstellen – für Leute, die im Urlaub nicht telefonieren müssen.
Für den Wirtschaftsstandort Bremen ruhen ja große Hoffnungen auf der UMTS-Entwicklung. Fordern Sie Vorab-Forschung?
Frentzel-Beyme: Begleitend muss man eine Vorher-Nachher-Untersuchung durchführen. Das muss bei den Summen mit drin sein, die da bewegt werden.
Was kann so was kosten?
Lerchl: Epidemiologische Untersuchungen würden viele Millionen kosten. Tierversuche wären billiger zu haben.
Was raten Sie Eltern kleiner Kinder? Vielleicht lieber nicht zum Fernsehturm ziehen?
Lerchl: Vielleicht. Es gibt keinen Nachweis, dass UMTS schädlich für Kinder ist. Aber: Ganz sicher sollte man Kindern und Jugendlichen kein Handy schenken und auch als Erwachsener nicht ständig mobil telefonieren, weil die am Kopf absorbierten Strahlenbelastungen Wirkungen haben könnten.
Sollten junge Familien direkt unter die UMTS-Antenne ziehen?
Frentzel-Beyme: Das ist der beste Ort, weil die Strahlen radial abgehen.
Lerchl: Die Antennen gehören auf Kindergärten, Schulen oder Krankenhäuser. In 200 Metern Entfernung ist die Strahlungsintensität viel höher. Fragen: Jan Kahlcke
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