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Gott lebt und ist nur leicht beleidigt

Der Philosoph hängt in den Seilen, und der Sound-Architekt schlägt mit einem Hämmerchen auf eine elektronisch verstärkte Stahlfeder: Das Frankfurter Schauspielhaus leistet sich mit „Nihilismus de Luxe“ ein Nietzsche-Spielwerk

Manchmal bedeutet Avantgarde schlicht, dass alle zu wissen meinen, worum es geht. Bewegt man sich als Avantgardist im Cross-over von Bühnenkunst, Sounddesign und collagierten Videobildern, macht man keinen Fehler, lässt man den Namen Nietzsche fallen. Da meint jeder zu wissen, dass Wahnsinn im Spiel ist, Frauen angeblich mit Peitschen gestreichelt sein wollen und Gott tot ist. Von der philosophischen Nietzsche-Vermessenheit hat sich die westliche Wertegemeinschaft bis heute nicht wirklich erholt. Das hat unter anderem zur Folge, dass im Theater immer mal wieder mit Nietzsche-Abenden erforscht wird, wie es denn um den Hammerphilosophen aktuell bestellt ist.

In Frankfurt am Main hat die neu gestartete Schauspielintendantin Elisabeth Schweeger jetzt einen derartigen Abend initiiert – und zwar standesgemäß nicht im Schauspielhaus, sondern auf einer Spielstätte, die unter dem Titel „Kommunikationsfabrik“ läuft. Da steht man an einem Laufsteg und darf dem Herrn Nietzsche zusehen, wie er in Gestalt von Jennifer Minetti mit einem überaus buschigen Oberlippenbart zuerst einmal in einer Art Korsett und mit einem Elektrodenhelm bestückt in den Seilen hängt. Auf dem Laufsteg steht FM Einheit, ehemals Einstürzende Neubauten, der an einer Soundmix-Anlage Atmosphärisches mixt und mit einem Hämmerchen auf eine elektronisch verstärkte Stahlfeder schlägt. Jennifer Minetti zuckt, bis allen klar ist: Wahnsinn schmerzt im Kopf gar schrecklich.

FM Einheit schneidet allerdings irgendwann die Sprechdiva los. Dann geht sie ihrem eigentlichen Beruf nach und gibt einen gelungenen Text des Münchner Journalisten und Autors Andreas Ammer zum Besten. Das wiederum hat die gute Nachricht des Abends zur Folge: Gott ist nicht tot und nur ein bisschen beleidigt. Er lebt und erscheint als Videocollage auf einer Leinwand am Ende des Laufstegs, um dem dilletierenden Herrn Nietzsche die Meinung zu grollen. Dabei fragt er sich, wie er nur so blöde sein konnte, einem wie Nietzsche das Schreiben zu lehren. Für den nur ganz dezent beleidigten Gott ist Nietzsche in Wirklichkeit ein „Nichtssche“, und die Frankfurter Uraufführung des Projekts aus dem Hause FM Einheit / Ammer wäre gut beraten gewesen, dem Textanteil des „Spielwerks von Nietzsches Wahnsinn“ mehr zu vertrauen. Und man wäre gut beraten gewesen, die Schauspielerin Minetti tatsächlich zu inszenieren und dabei mehr Sorgfalt auf Sprechregie zu legen.

In diese Richtung wurde aber wenig getan, so dass Minetti den Ammer-Text immer in gehobener Tonlage und fast schon deklamierend zum Besten gibt. Das ist insofern verwunderlich, als für diesen Abend tatsächlich ein Regisseur angegeben ist. Er heißt Marlon Metzen und arbeitet zurzeit hauptsächlich in Mannheim, wo er gerade eine sehr gute Inszenierung von Mark Ravenhills „Gestochen scharfe Polaroids“ vorgelegt hat. In Frankfurt scheint er untätig zugesehen zu haben, wie sich eine eigentlich hervorragende Schauspielerin und ein Sound-Architekt in einer eitlen Veranstaltung tummeln.

JÜRGEN BERGER

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