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Pisa zeigt erste Wirkungen

Knapp drei Monate nach der Pisa-Studie lässt sich die Debatte um die Schulstruktur nicht mehr tabuisieren. Gesamtschullehrer sind vom „Auslese-Bazillus“ befallen. Selbst Baden-Württemberg stößt an die Grenzen des dreigliedrigen Schulsystems

von CHRISTIAN FÜLLER

Seit der Veröffentlichung der Pisa-Studie am 6. Dezember vergangenen Jahres ist es praktisch verboten, diese Frage zu stellen: Könnte es sein, dass die deutsche dreigliedrige Schule eine Ursache dafür ist, dass die deutschen 15-Jährigen bei dem internationalen Schulleistungsvergleich so mäßig abgeschnitten haben?

Der Chefstatistiker der OECD, Andreas Schleicher, der das „Programme of International Students Assessment“ auswertet, musste sich bittere Vorwürfe anhören, als er eher beiläufig über die frühe Auslese der Deutschen in Hauptschule, Realschule und Gymnasium spottete.

Hierzulande gilt: Die traditionell nach Begabungen gegliederte Schulstruktur ist ein absolutes Tabu – egal welche politische Farbe sich äußert. Nicht einmal die Bildungsgutachter der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung wollten die Gretchenfrage der deutschen Schule stellen. In ihrem Papier zur „Chancengleichheit“ (die laut Pisa in deutschen Schulen mit Füßen getreten wird) finden sich alle möglichen interessanten Aspekte zum Thema Schule – bloß kein Hinweis auf die Problematik einer frühen Auslese nach Begabung. Dafür hat sich die Böll-Stiftung herbe Kritik eingefangen.

Wir hätten uns mehr Mut erwartet! Enttäuscht zeigten sich vergangenes Wochenende gleich mehrere Teilnehmer einer Diskussion in der Böll-Stiftung. „Sie drücken sich um die Diskussion der Schulstruktur“, verwies ein Lehrer auf die dreigeteilte deutsche Schule. Nach der eigenen Erfahrung des Pädagogen behindern Schulen, die alle kognitiven Niveaus von Schülern in einer Klasse integrieren, Höchstleistungen nicht. Im Gegenteil: Der Mann weiß, wovon er spricht. Lothar Sack ist Rektor der Fritz-Karsen-Schule in Berlin, der ältesten staatlichen Gesamtschule Deutschlands. Was er an seiner Schule täglich erlebt, hat Pisa empirisch untermauert: Integrierte Schulsysteme wie das finnische oder das kanadische erzielen bei der Lesekompetenz geradezu Traumergebnisse.

Die Schlussfolgerung von Studienrat Sack war überraschend: Die Auslesemechanismen der Gesamtschule deutscher Art seien nicht unbedingt andere als die in der gegliederten Schule. „Auch Gesamtschullehrer sind vom Bazillus der Selektion befallen – sonst würden sie die äußere Differenzierung nicht wie einen Götzen hochhalten“, klagte der Rektor, an dessen Schule so genannte Hauptschüler wie Gymnasiasten in derselben Klasse unterrichtet werden.

Unter den weit über 100 DiskutantInnen in der Böll-Stiftung war damit praktisch die erste öffentliche Debatte über die Schulstruktur ausgebrochen. Bewegt sich da was? Ja, es tut sich etwas – und das nicht nur diskursiv. Auch in der Realität gehen die Bemühungen inzwischen weit über jene sieben Handlungsfelder hinaus, welche die übervorsichtigen Kultusminister noch im Dezember verabschiedet hatten. Baden-Württemberg etwa geht überraschende Wege. Annette Schavan (CDU), die sich als Kultusministerpräsidentin im Dezember noch den Titel der begabtesten Pisa-Zaudererin erwarb, adelte die Hauptschule in Niederstetten mit dem Titel „Bildungswerkstatt“.

Schavan erklärte damit eine Schule zum Modellfall, die Schwaben und Badener vor Pisa wohl als Summer-Hill des Südwestens angesehen hätten: In Niederstetten im Main-Tauber-Kreis gibt es keinen Stunden- und Lehrplan, sondern Vorlesungsverzeichnisse – für Hauptschüler. Grundlage sind die Kernfächer Deutsch, Englisch und Mathematik sowie TIP. Das ist „themen-, interessen- und projektorientierter“ Unterricht. Dafür sind Klingelzeichen und Noten, Symbole deutscher Maßregelpädagogik, in Niederstetten verschwunden. Schavan will noch im Herbst allen Realschulen einige der Niederstettener Freiheiten geben.

Doch so fortschrittlich das auch klingen mag, die Debatte bei Heinrich-Böll zeigte, dass eigentlich alle Nach-Pisa-Reformen ohne die Strukturfrage nicht machbar sind. Ein Ministerialdirektor Schavans erläuterte das neue Kerncurriculum so, dass dort je nach Begabung „abnehmerseitig“ Lernziele definiert würden. Mit anderen Worten: Für Hauptschule, Realschule und Gymnasium sprechen die späteren Abnehmer mit, was die Schüler lernen sollen. Pech für den Schüler, der begabungsmäßig einem bestimmten Schultyp zugeordnet wird: Für ihn wird die Bildungskarriere zur schicksalhaften Vorbestimmung. Bei der Böll-Stiftung lautete ein Kommentar dazu: Ohne Schulreform sind Pisa-Reformen nichts.

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