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Theater der Grausamkeit

Die Realität, ein zusätzlicher Schauder: In dem Vortrag „Gewalt der Ereignisse, Gewalt der Bilder“ an der TU Berlin verband Jean Baudrillard Mogadischu mit Manhattan

Die perfekte Medieninszenierung sieht anders aus: Was passiert, wenn Jean Baudrillard, der prominente Kulturphilosoph, Medientheoretiker und einer der Letzten der alten Garde französischer Intellektueller, zu einem Vortrag in die TU eingeladen ist? Der vollkommen überfüllte Minihörsaal glich anfangs der Simulation eines Kneipenkonzerts, mit Mikrofonzusammenbruch, Vorabbeifall, Tumult und „Umziehen!“-Rufen. Ins Audimax ließ sich die Veranstaltung (warum auch immer) nicht verlegen. Seltsam beim Gastspiel eines solchen Starintellektuellen, bei dem auch Seine Exzellenz Monsieur l’Ambassadeur de la France zugegen war.

Was Baudrillard bot, war ein brillanter Remix seines aktuellen Aufsatzes „Der Geist des Terrorismus“ mit dem fast 25 Jahre alten Text „Unser Theater der Grausamkeit“, der seinerzeit die Ereignisse von Mogadischu reflektierte und dessen Analyse er bruchlos auf die Gegenwart übertrug. Baudrillard übernahm ganze Passagen unverändert. War der 11. September verglichen mit „Pseudo-Ereignissen“ wie der Fußball-WM zwar gewiss ein Singulärereignis, könne dennoch von einer „Rückkehr des Realen“ kaum die Rede sein.

Die Realität habe die Fiktion eben nicht übertroffen, vielmehr sei das im Minutentakt wiederholt gesendete „Urbild“ der einschlagenden Flugzeuge in seiner Spektakularität schließlich nur mit dem „zusätzlichen Schauder“ der Realität angereichert worden; wie schockierend die Tatsächlichkeit des Ereignisses auch war, das Bild kam zuerst. In der Folge erzwinge damals wie heute das „Spektakel des Terrorismus“ den „Terrorismus des Spektakels“, der mediale Overkill verschlingt das Ereignis selbst. Die herrschende Ordnung versucht, die Katastrophe diskursiv zu integrieren und damit beherrschbar zu machen. Die unvorstellbare Bruchstelle im Kontinuum soll mit der Reproduktion von Sinn gestopft und gleichzeitig durch die Überführung ins Imaginäre ausgelöscht werden: Das ist die Aufgabe der Massenmedien wie der Politik.

Dagegen stellt Baudrillard den Terror als die systemimmanente phantom menace einer globalisierten Weltordnung heraus, deren permanenter Expansionsdrang langsam ins Stocken gerät und sich gegen sich selber wendet. Die Attentäter sind selbst Produkte jener totalisierenden New World Order, deren Zerrbild sie darstellen und deren größtes Tabu sie zur ultimativen verbotenen Waffe machen: Der Untergang des Abendlandes ereignet sich als Selbstmord, dem Suizid der Terroristen entspricht die Implosion der Twin Towers als den Symbolen einer kollabierenden Monopolweltmacht.

Es war ein Abend, um zu einem Baudrillard-Fan zu werden. In der an den Vortrag anschließenden Diskussion entgegnete der Meisterdenker dem „Johann, hilf!“ einer Attac-Aktivistin mit dem Hinweis auf die praktische Unverantwortlichkeit des Intellektuellen. Die folgende unvermeidliche Ich-will-auch-mal-Wortmeldung „Die epistemologische Dimension des Begriffs der Singularität …“ beantwortete er très charmant mit: „Ja, das könnte sein.“ AXEL WERNER

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