: Übung macht den Sozialhilfeempfänger
Aus Protest gegen drohende Arbeitslosigkeit, besuchen Azubis des öffentlichen Dienstes schon mal das Sozialamt
Mit Sozialhilfeanträgen kennen sich einige von ihnen aus. Nur hätten sie nicht erwartet, dass sie diesen Antrag auch mal selbst ausfüllen müssen. Denn den 23 Beamtenanwärtern des mittleren Verwaltungsdienstes hatte die damalige Innenverwaltung nach Abschluss ihrer Ausbildung eine Übernahme zugesagt. Nun ist ihre Ausbildung zu Ende – und ihr Dienst beim Land Berlin auch.
Mit einer symbolischen „Stürmung des Sozialamtes“ haben rund 50 Auszubildende des öffentlichen Dienstes am Mittwoch im Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf gegen ihre Entlassungen protestiert. Sie kritisierten Senatspläne, im Bereich der Ausbildung in den nächsten Jahren 12,8 Millionen Euro einzusparen. Symbolisch beantragten sie Sozialhilfe. Dazu aufgerufen hatten die Jugend- und Auszubildendenvertretungen der Bezirksämter Steglitz-Zehlendorf und Mitte. Ihr Vorsitzender Holger Meuser sagte, dass es in den Bezirken schon jetzt erheblichen Personalbedarf gebe. Bei einem Durchschnittsalter der Angestellten von 45 Jahren sei es unverantwortlich, gerade beim Nachwuchs zu sparen.
Bereits mehrfach hatten der Gesamtpersonalrat des Landes mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und Innensenator Erhardt Körting (beide SPD) geredet. Sie forderten den Senat auf, die Azubis zumindest für ein Jahr einzustellen. So bekämen die rund 100 Betroffenen wenigstens Berufserfahrung und Anspruch auf Arbeitslosenhilfe. Doch der Senat bleibt hart: bei der momentanen Haushaltssperre gebe es keine Ausnahmen. Auf dem freien Markt haben die Azubis kaum Chancen. Sie seien zu sehr auf den öffentlichen Dienst spezialisiert, bestätigt eine Arbeitsamtsprecherin.
Unterstützung erhielten die Azubis von zwei Bezirksbürgermeistern. Herbert Weber (CDU) aus Steglitz-Zehlendorf bezeichnete Wowereits Vorgehen als „Zeichen sozialer Kälte. Immerhin habe ich erreicht, dass Steglitz-Zehlendorf fünf Azubis übernehmen wird“, sagte Weber. Reinickendorfs Bürgermeisterin Marlies Wanjura (CDU) zog nach. Sie überreichte vor laufender Kamera dem Personalrat eine Urkunde, die zwei der elf Auszubildenden ihres Bezirks die Übernahme zusichert. Dem Personalrat genügte das nicht. Er kündigte weitere Proteste an. FELIX LEE
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