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Kleiner Sender, große Wellen

Seit Oktober sendet Rádió© für die rund 150.000 Roma in Budapest. Rundfunk ist nicht billig. Deshalb geht der Sender betteln, setzt auf Unterstützung von der Regierung – und stört sich nicht daran, dass gerade Wahlkampf ist

Es war ein langer Weg, bis die Roma in Osteuropa ihren ersten eigenen Sender erhielten. Im vergangenen Oktober ging Rádió© in Budapest auf Sendung, wo rund 150.000 Roma leben. Das © im Sendernamen steht für Cigány, also „Zigeuner“. Das Programm ist eine Mischung aus Unterhaltung und seriösen Nachrichten, aus feuriger Musik und knallharten Debatten – und spiegelt das Leben der größten Minderheit Ungarns wider: eine lebensfreudige Kultur in fast unmenschlichen Lebenslagen.

Lange Zeit wollte Ungarn nichts wissen von den schätzungsweise 800.000 Roma, die in dem Land leben. Bis zum Frühjahr 2000. Damals wanderten ungarische Roma nach Frankreich aus und erhielten Asyl in Straßburg – für einen EU-Beitritt Ungarns nicht gerade die beste Empfehlung. In dieser Zeit musste der ungarische Medienrat gerade entscheiden, welches Nonprofit-Radio die Wellenlänge FM 88,8 in der Hauptstadt erhält. „Radio Vatikan“ rechnete sich Chancen aus, ebenso das linksradikale „Radio Verboten“.

Der Rat verschob mehrmals die Entscheidung, um dann im vergangenen März das Roma-Radio zum Sieger zu erklären. Wie bekannt wurde, stimmten die zwei Delegierten der größten Regierungspartei gegen den Willen ihrer eigenen Koalitionspartner für den Sender. Der Vertreter der antisemitischen MIÉP war bei dem „Trauerspiel“ nicht anwesend und reichte gleich eine Klage gegen die „verräterische“ Entscheidung ein. Und „Radio Verboten“ wunderte sich, wieso die Roma für Sendeerfahrung acht Punkte erhielten, obwohl sie erst 30 Probetage hinter sich hatten; der radikale Hörfunk bekam trotz zehn Jahren Sendeerfahrung gerade mal drei Punkte.

Das wäre nicht weiter interessant – doch Rádió© geriet gleich nach dem Sieg in die Kritik von Roma-Vertretern. Der Vorwurf der eigenen Minderheit: Für eine Sendegenehmigung hätten die Vertreter des Radios zu viele Zugeständnisse an die größte Regierungspartei Fidesz gemacht. So konnte diese ihre Leute auch im Vorstand unterbringen. Im April stehen in Ungarn Parlamentswahlen an, und die Roma-Frage ist dabei, Hauptthema des Wahlkampfs zu werden.

Sender auf dem Strich?

Die Opposition entdeckte die Minderheit, die mit geschlossener Wahlbeteiligung die Regierung stürzen könnte. Und die Koalition wehrt sich, indem sie mit Erfolg versucht, die Minderheit politisch zu teilen und zu polarisieren. Das neue Roma-Radio muss das erste Halbjahr im Wahlkampf überstehen. Keine leichte Aufgabe für das unerfahrene Team. Roma-Vertretungen werfen dem Radio vor, der Sender würde im Auftrag der Regierung „auf den Straßenstrich geschickt“, wie die Wochenzeitung Magyar Narancs aus der Sitzung eines Roma-Forums zitierte.

Zwanzig Prozent der Mitarbeiter sind keine Roma, auch Chefredakteur György Kerényi nicht, ein erfahrener Journalist, der auch die angesehene Roma-Zeitung Amaro Drom leitet. Die Redakteure des Radios fühlen sich in die Ecke gedrängt. Nach ihrer Einschätzung muss der Sender in den ersten Jahren auf finanzielle Unterstüzung der Regierung hoffen. Kerényi selbst gibt zu, den Ministerpräsidenten vor der Entscheidung des Medienrates getroffen zu haben – und erklärt der taz gegenüber, dass das Radio in den ersten Jahren betteln müsse, nur um überleben zu können. Er hofft auf finanzielle Hilfe von der Regierung, von der EU und auf Unterstützung aus der Bevölkerung. Die Soros Foundation und die Open Society Institute gaben für das erste Sendejahr das meiste Geld. Beide Einrichtungen gehören dem in Amerika lebenden ungarischen Großaktionär George Soros.

Der Chefredakteur behauptet jedoch, inhaltlich nehme keine Partei Einfluss auf die Arbeit der Redakteure. Über den Wahlkampf wolle er seriös und ausgewogenen berichten. Alle Parteien würden anhand ihres Engagements für die Roma-Minderheit beurteilt. Die finanziell schlecht gestellten ungarischen Roma jedoch brauchen die Unterstützung der Regierung. Und noch einmal betont György Kerényi, wie aufwändig es ist, Radio zu machen.

Sprache der Minderheit

Das junge Team bietet tagsüber ein anspruchvolles Programm mit leichter Unterhaltung und Talksendungen. Am Mittag und am Abend wird das Angebot durch ernste Themen abgerundet. Täglich eine Stunde sendet das Rádió© auf Romani, der Sprache der Minderheit.

Chefredakteur Kerényi weist dabei auf die Statistik hin: Bis zu 80 Prozent der ungarischen Roma beherrschen ihre eigene Sprache nicht, und in Budapest selbst ist der Anteil der Sprachunkundigen noch größer. Natürlich kosten die Sendungen auf Romani viel mehr, und das ist schon wieder das Hauptproblem: Geld.

Inzwischen kennen alle Roma in der ungarischen Hauptstadt das Rádió©. Immer mal wieder kreuzen Menschen in der Zentrale im achten Bezirk auf – und tags darauf moderieren sie auch schon. In einer Probesendung stillte eine Frau während des von ihr geleiteten Programms ihr kleines Kind. Ab und an kam es sogar zu Schlägereien zwischen verschiedenen Romafamilien. Noch sind überall Vorurteile zu spüren. Vielleicht aber gerade durch diese heftigen Angriffe von rechts und links, von Ungarn und Roma, rauft sich das kleine Team immer wieder zusammen.

Es war ein steiniger Weg, bis die ungarischen Roma ihr erstes Radio erhielten, und es wird noch ein steiniger Weg, bis die Mitarbeiter des Senders eine Einheit bilden. Sobald der Wahlkampf vorbei ist, wird das Rádió© die Chance erhalten, seine Normalität zu finden.

Kerényi jedenfalls gibt sich optimistisch. Er glaubt, in zwei Jahren werden auch Roma umworbene Kunden der großen Konzerne sein. Dann werde sich der Sender mit den gesetzlich erlaubten drei Werbeminuten pro Stunde über Bord halten können und die Politik außen vorbleiben. Nur so können die wichtigen Fragen nach Gleichberechtigung und Chancengleichheit gestellt werden. GERGELY MÁRTON

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