: In der Republik Moldau wackelt die Regierung
Im Zuge von Massenprotesten gegen den Status der russischen Sprache wird nach dem Bildungsminister auch der Innenminister geschasst
BERLIN taz ■ Der Republik Moldau kommt Stück für Stück ihre Regierung abhanden. Gestern trat Innenminister Wasile Dregenel zurück. Bereits einen Tag zuvor hatte Staatspräsident Wladimir Woronin Bildungsminister Ilie Wancea entlassen.
Auslöser für die Regierungskrise in der früheren Sowjetrepublik, in der seit einem Jahr die Kommunisten regieren, ist ein Streit über die Einführung von Russisch als Pflichtfach an Schulen, die Streichung des Faches „Geschichte der Rumänen“ sowie die Aufwertung des Russischen zur zweiten Staatssprache.
Unter der Ägide der oppositionellen, nationalistischen Christlichen Demokratischen Volkspartei (PPCD) von Iurie Rosca demonstrieren seit dem 9. Januar Tausende Moldauer gegen die Maßnahmen. Mit Slogans wie „Nieder mit den Besatzern“ oder „Wir wollen keinen bolschewistischen Präsidenten“ wurden dabei in der vergangenen Woche erstmals auch Forderungen nach einem Rücktritt der gesamten Regierung und nach vorgezogenen Neuwahlen laut. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichten die Proteste am vergangenen Sonntag, als allein in der Hauptstadt Chisinau 70.000 Menschen auf die Straße gingen.
Kommunist Woronin, der mit dem Versprechen, sich der Belange der russischsprachigen Bevölkerung anzunehmen und einen Beitritt zur russisch-weißrussischen Union anzustreben, 2001 für seine Partei die Mehrheit der Stimmen eingefahren hatte, war alarmiert. In einer Ansprache Anfang vergangener Woche sagte er, das Land sei von einem Virus des Nationalismus, Extremismus und Wahnsinns befallen. Die Regierung werde diese Art von Sabotage jedoch nicht dulden.
Zwar wurden die umstrittenen Maßnahmen rückgängig gemacht und Bildungsminister Wancea entschuldigte sich, er habe es an der nötigen Sensibilität fehlen lassen. Ob sich die Gemüter in dem 4,5-Millionen-Einwohner-Staat, wo 36 Prozent der Bevölkerung Russisch als ihre Muttersprache angeben, beruhigen, ist fraglich. Nationalist Rosca, der eine Vereinigung mit Rumänien propagiert, kündigte an, die Proteste „gegen die kommunistische Diktatur“ fotzusetzen.
Angesichts des jüngsten Aufruhrs glüht auch der Draht nach Moskau wieder. Gestern wurde Regierungschef Vasile Tarlev in Moskau vorstellig. Die moldauische Tageszeitung Tara behauptete, Moskau habe Woronin aufgefordert, als Erster Sekretär der KP zurückzutreten und die Regierung zu entlassen. Bereits in der vergangenen Woche hatte das russische Außenministerium die Demonstranten antirussischer Akte gegen die russische Botschaft in der Republik Moldau bezichtigt. Derartige Aktivitäten würden nicht zu einem zivilgesellschaftlichen Konsens im multiethnischen Moldau beitragen. Gleichzeitig hatte Moskau der Regierung in Chisinau seine Unterstützung versichert und das Bemühen um Reformen hervorgehoben. Doch die sind nicht zu sehen. Mit einem Durchschnittsverdienst von einem Dollar pro Tag ist Moldau das ärmste Land Europas. Hier dürfte der wahre Sprengstoff liegen.
BARBARA OERTEL
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen