DIE DEBATTE UM DIE ZUWANDERUNG NACH DEUTSCHLAND GREIFT ZU KURZ: Einwanderer als Entwicklungshelfer
Im Streit um das Zuwanderungsgesetz zeigt sich, wie wenig unsere Gesellschaft begriffen hat, dass wir uns ändern müssen, damit die Einwanderer nach Deutschland kommen und sich wohl fühlen. Stichworte dafür: das scheinbare Ende von Multikulti, die Leitkulturdebatte und die Verengung der Debatte auf die Integrationsleistung, die die Einwanderer erbringen sollen.
Auch Schröders Green-Card-Initiative hat dieses Defizit nicht abgetragen. Die Initiative ist nur die modernistische Wiederholung einer alten Politik: Wir brauchen mehr Ausländer, die uns nützen! Wie in den 1950er-Jahren verlangen vor allem die Unternehmer, dass nun gehandelt werden müsse. Denn die Zahl der in Deutschland geborenen Babys, die im vorigen Jahr auf einen historisch Tiefstand gefallen ist, reiche nicht aus, um Werkbänke, Sozialkassen und die sich dramatisch entleerenden ostdeutschen Städte zu füllen.
Diese unverblümte demografische Ausbeutung der ärmeren Ländern konterkariert die Bemühung um eine Entwicklung der Länder, der sich die rot-grüne Regierung eigentlich widmen wollte. Der Brain-Drain, also die Abwanderung gut ausgebildeter Menschen aus Osteuropa, Afrika und Asien, ist eine immense Belastung. In Indien wird nach Angaben der UNO im Bericht zur menschlichen Entwicklung 2001 davon ausgegangen, dass eine Universitätsausbildung im Schnitt 1.500 bis 2.000 US-Dollar pro Fachkraft kostet. Da erwartet wird, dass jährlich 100.000 indische Fachkräfte in die USA auswandern, entstehen Kosten von rund 2 Milliarden US-Dollar für den indischen Staat. Und in Südafrika drängt die Regierung seit Jahren darauf, dass Großbritannien unterlassen soll, dringend benötigtes Pflegepersonal abzuwerben. Erst als Nelson Mandela in London persönlich vorstellig wurde, willigte die Regierung Blair ein.
Der Bericht der Vereinten Nationen räumt jedoch auch ein, dass die Diasporas eine wertvolle Quelle sein können, weil sie ihren Herkunftsländer durch Ressourcentransfers helfen. Aus Indien ist bekannt, dass die Diaspora in die Ausstattung von Universitäten investiert. Um diesen positiven Transfer zu verstärken, sollte die jetzige Zuwanderungsdebatte dringend ergänzt werden. Vorstellbar wäre, dass sich der Einwanderer nicht dauerhaft entscheiden müsste, ob er in seiner neuen oder alten Heimat bleiben will. Er sollte vielmehr in die Lage versetzt werden, zwischen Herkunftsland und neuer Heimat pendeln zu können. Dabei transportiert er in beide Richtungen Wissen und Erfahrungen, das der Entwicklung im Herkunftsland und dem Verständnis über „die Welt da draußen“ bei uns beiträgt. Hierfür müssten Aufenthaltsbedingungen entwickelt werden, die das Pendeln gemeinsam mit den Familienangehörigen ermöglichen. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit könnte ein solches Pendeln durch Studien- und Lehrprogramme mit Stipendien unterstützen. Wichtig dabei ist, dass ein Einwanderer erste berufliche Praxiserfahrungen sammeln kann, denn erst dann kann er den dringend benötigten technischen Wissenstransfer für sein Herkunftsland erbringen. Ausgestattet mit einem deutschen Darlehen könnte er sogar in seinem Herkunftsland ein Unternehmen gründen, das über beste Kontakte zu Deutschland verfügt.
Doch auch hier stößt die Zuwanderungsdebatte auf eine immer noch nicht vorbereitete deutsche Bevölkerung, deren Angst vor Überfremdung bis weit in die Mitte reicht. Auch die Politik hat noch kein Bild über die Zukunft der Identität Deutschlands entwickelt. Abrücken sollten wir von der Vorstellung, dass sich die Menschen, die zu uns kommen, für Deutschland entscheiden müssen, wie es das geänderte Staatsangehörigkeitsrecht immer noch vorsieht.
Eine Mehrstaatlichkeit wäre die Versicherung dafür, dass ein Einwanderer in seinem Herkunftsland ungehindert ein Business beginnen könnte. Viele Einwanderer werden sich wie in der Vergangenheit entscheiden, in Frankreich, Deutschland oder anderswo in Europa zu bleiben. Doch den anderen sollte der Weg zurück als „Entwicklungshelfer“ und Mittler offen gehalten werden. Unsere demografischen Probleme sollten wir selber lösen – mit einer anderen Familien- und Frauenpolitik.
ARMIN OSMANOVIC
Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Afrika-Kunde in Hamburg und Lehrbeauftragter an den Universitäten Hamburg und Leipzig.
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