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Die schönen Scheine von Kabul

Das afghanische Geld wird immer noch in Moskau gedruckt – doch Afghani ist nicht gleich Afghani

aus Kabul SVEN HANSEN

Auf dem matschigen Boden eines Innenhofes stehen dicht gedrängt dutzendweise in Umhänge gekleidete Afghanen mit Filzmützen, Turbanen oder weißen muslimischen Kappen auf den Köpfen. Wild zeigen die Männer mit ihren Fingern Zahlen in die Luft. Von einem Balkon rufen andere herunter. „605“, ruft einer, „606“ ein anderer. Der matschige Hof ist das „Parkett“ des Schasada-Devisenmarktes im Zentrum der afghanischen Hauptstadt. Hier gibt es keine elektronischen Tafeln und nicht einmal solche, wo Kurse mit Kreide notiert werden. Trotzdem wird im Schasada-Markt an sechs Tagen der Woche der Kurs der pakistanischen Rupie zum Afghani ausgehandelt, heute sind es eins zu 605 im Tagesmittel. Danach wird der Kurs der Landeswährung zum US-Dollar berechnet. Per Telefon tauschen sich die Händler mit Kollegen in Pakistan und London aus.

Schon vor dem Basar wird man mit „Dollar?“-Fragen begrüßt. Die Händler mit Taschen voller Geld wedeln mit Bündeln von 10.000-Afghani-Scheinen. Andere haben auf den Holzkisten vor sich Packen mit einer Million Afghani und warten hinter ihren Taschenrechnern auf Kundschaft. Manche der blaugrünen Scheine sind druckfrisch und noch bündelweise in Plastik eingeschweißt. Einige Männer zählen Geld oder binden Pakete zu zehn Millionen Afghani, rund 300 Euro, andere tragen Säcke voll Geld. Innerhalb des Marktes ist das Gedränge noch größer als auf der Straße davor – ein Albtraum für Freunde diskreter Geschäfte. Im Innenhof drängen sich hunderte Männer. Ein Wächter schlägt mit einem Riemen auf Herumlungernde ein und fordert sie auf, weiter zu gehen. Ein anderer Wächter lässt zwei in Burkas gehüllte Frauen nicht in den Hof. Das sei Sünde, sagt er, in dem Gedränge würden fremde Männer die Frauen unvermeidlich berühren. Sie sollten kommen, wenn weniger los ist. Da das so gut wie nie der Fall ist, ist Schasada für Frauen tabu.

Der Markt ist hierarchisch unterteilt. Während im Hof und davor die fliegenden Händler operieren, sind im Hof 300 nummerierte und lizensierte kleine Läden zu finden. Hier arbeitet – mangels funktionsfähiger Banken – die Crème der Pseudobanker von Kabul. Amin Nejusti ist ihr Sprecher. Der Paschtune mit der Filzmütze sitzt hinterm Fenster in der Sonne und schlichtet beim Tee Streit oder empfängt Besucher. Seine Angestellten reichen dicke Geldbündel über einen Tresen – zügig und ohne Belege. Nachgezählt werden die Bündel nicht. „Wir tauschen hier Geld aus der ganzen Welt“, sagt Nejusti stolz. „Die 300 Läden setzen täglich eine Million US-Dollar und 20 Millionen pakistanische Rupien (400.000 Euro) um.“ Beim Umtausch von 100 Dollar macht ein Händler laut Nejusti einen Gewinn von 10.000 bis 20.000 Afghani, 30 bis 60 Euro-Cent.

Nejusti hat keine Bankausbildung, ist aber seit 25 Jahren im Geschäft. „Die 80er-Jahre unter den Kommunisten waren die beste Zeit für uns“, sagt er, „da gab es die meiste Sicherheit. Da war das hier zwar ein Schwarzmarkt, der wurde aber geduldet und legalisiert.“ Seine Gewinne legt Nejusti jetzt angeblich wieder bei der Zentralbank an, andere bringen ihr Geld weiter per Kurier nach Pakistan oder Dubai.

Der Tadschike Achmad Schah sitzt im Laden 91 vor einem Heizstrahler und dem offenen Tresor. Hinter dem 35-Jährigen stapeln sich Pakete dreckiger 1.000-Afghani-Scheine die Wand hoch. „Das Geschäft läuft jetzt normal, es wird aber noch besser, wenn erst die ausländischen Hilfsgelder kommen“, glaubt Schah. Da er den Wächtern nicht traut, würde er hier auch gern Patrouillen der Internationalen Friedenstruppe sehen. „Schließlich ist das der wichtigste Markt von Kabul.“ Unter den Taliban lief das Geschäft gut, weil es sicher war, sagt Schah. Als die dann bei ihrer Flucht Mitte November selbst den Geldmarkt plünderten, blieb sein Laden verschont.

Bei Schah ist ein Dollar nicht gleich ein Dollar. Eine 100er-Note hat einen besseren Kurs als 50er, 20er oder noch kleinere Scheine. Auch bei den großen Scheinen sind die Kurse gestaffelt. „Scheine, die älter sind als 1990, nehme ich nicht, davon gibt es zu viele gefälschte. Die von 1993 bis 1995 haben einen schlechten Kurs, die ab 1999 den besten.“ Für bekritzelte oder eingerissene Scheine zahlt er weniger.

Doch auch Afghani sind nicht gleich Afghani. Noch immer wird Afghanistans Geld in Moskau gedruckt. Die Interimsregierung kontrolliert die Geldpresse so wenig wie die Regierungen der letzten zehn Jahre. Unter den Taliban druckte die von Russland unterstützte oppositionelle Nordallianz fleißig Geld. Und unter den von 1992 bis 1996 regierenden Mudschaheddin, die später zur Nordallianz mutierten, ließ der nordafghanische Warlord Rashid Dostum eigene Afghani drucken. Sie sind etwas heller und auf der Rückseite nur durch eine Lücke im Schriftzug zu erkennen. Auf dem Schasada-Markt sind Dostums Afghani nur die Hälfte wert. Unter den Taliban fiel der Afghanikurs auf 80.000 zum Dollar. Jetzt weiß niemand, ob die vielen druckfrischen 10.000er-Noten gedeckt sind.

Trotzdem erholte sich der Kurs zum Amtsantritt der Interimsregierung am 22. Dezember auf 14.500 zum Dollar. Inzwischen steht er wieder bei 36.000. Als kürzlich der Internationale Währungsfonds (IWF) gar die Abschaffung des Afghani und die Einführung des Dollar vorschlug, sackte der Kurs auf 42.000. Seitdem hat er sich etwas erholt, obwohl über die Währung noch nicht entschieden ist. Der Mord an Luftverkehrsminister Abdul Rahman vor einer Woche beeinträchtigte den Kurs nicht, allerdings trugen innerafghanische Kämpfe zwischen zum Kursverfall der letzten Wochen bei. Der Zufluss von Dollar aus dem Ausland und damit die gestiegene Nachfrage nach Afghani verhinderte bisher allerdings einen drastischeren Kurssturz.

Devisenhändler Schah überweist auch Geld, allerdings nur nach oder von München. Denn dort hat er einen Verwandten, der nach dem Harwala-System – das auf Vertrauen und telefonischem Kontakt beruht und sonst keine Spuren hinterläßt – schnelle Transfers ermöglicht. Die Läden im Schasada-Markt haben Agenten an allen Orten der Welt, wo Afghanen leben. So kann man über Najib in Laden 54 Geld aus London sowie aus den pakistanischen Städten Peschawar und Quetta und aus dem nordafghanischen Masar-i-Scharif transferieren. „Aus London werden über mich etwa 70.000 Dollar im Monat überwiesen“, sagt Najib. „Die Gebühr beträgt ein Prozent.“ Meist dauert der Transfer nur einen Tag.

Von so viel Effizienz kann man bei der „Da Afghanistan Bank“, der afghanischen Zentralbank, nur träumen. In der überdimensionierten Schalterhalte sitzen gelangweilte Angestellte, darunter auch Frauen. Den „Foreign Exchange“-Schalter zieren verblichene Werbeaufkleber für Travellerschecks. Dahinter gibt ein alter Mann mit Pudelmütze vom Volk der Hasara den Dollarkurs zunächst mit 990 Afghani an. „Das ist der offizielle Kurs. Wir sind aber realistisch. Deshalb richten wir uns nach dem Schasada-Markt.“ Auf weitere Nachfrage wiegelt der Mann ab: „Gehen Sie zum Schasada-Markt. Das ist besser.“

In der afghanischen Zentralbank findet sich kein einziger Computer, nur alte Schreibmaschinen

In der ganzen Halle ist nicht ein Computer zu sehen, vielmehr sitzen die Angestellten hinter mechanischen Schreibmaschinen. 20 Dollar für die Verlängerung eines Visums einzuzahlen dauert eine halbe Stunde. Der Überweisungsträger wird mit fünf Durchschlägen getippt und benötigt fünf Unterschriften verschiedener Stellen im Haus. „Unser Banksystem ist noch auf dem Stand der 40er-Jahre,“ räumt Zentralbankchef Abdul Kadir Fitrat ein.

Genau das hat jetzt Interimsregierungschef Hamid Karsai getan. Als er Anfang Februar die Vereinigten Arabischen Emirate besuchte, erhielt er von der dortigen Regierung 1,6 Millionen Dollar in bar. Karsai nahm das Geld im Flugzeug mit nach Kabul und zahlte es dann bei der Zentralbank in einen Notfonds ein, um es schneller verteilen zu können. Nach einem Übergangsfonds der UNO, der im Januar für Beamtengehälter bar ins Land gebracht worden war, war dies das erste Geld für den Wiederaufbau, das in Kabul eingetroffen ist.

„Es war sehr nett von der Regierung der Emirate, uns das Geld in bar zu geben. Sie wissen, dass unsere Banken nicht funktionieren“, so Karsai. Laut Fitrat werde es noch eine Weile dauern, bis Geld aus dem Ausland überwiesen werden könne. Bis dahin dürften die meisten Geberländer ihr Geld weder dem Harwala-System der Geldhändler noch dem Regierungschef in bar anvertrauen wollen. Bei den Afghanen selbst ist das Vertrauen in die Banken gering. Schließlich wurde auch die Zentralbank schon zweimal ausgeraubt – von den Mudschaheddin und den Taliban. Laut Fitrat werden die Afghanen den Banken erst dann wieder vertrauen, wenn wirklich Frieden herrscht.

Auf dem Schasada-Markt sehen die Geldhändler die Zukunft gelassen. „Ich bin optimistisch, dass unser Land wieder aufgebaut wird und wir Fortschritte machen“, meint Devisenhändler Schah. „Irgendwann wird es hier auch private Banken geben, und die betreiben wir Geldhändler selbst.“ Und wenn nicht? „Dann finden wir einen Weg, dass die Konkurrenz der Banken uns nicht den Garaus macht.“

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