: Leiden zum Wegwerfen
„Es zerfetzt mich jetzt wie einst“: Sascha Anderson stellte sein neues Buch vor und machte den großen Zampano
Das Kaffee Burger ist knackvoll an diesem verregneten Morgen. Sascha Anderson, der hier zum ersten Mal auftritt, um der Presse sein heute erscheinendes Buch vorzustellen (S. 13), sieht eigentlich ganz zufrieden aus. Und schon legt er los mit seiner Rede. Er sagt, er habe sich entschieden, in seiner Biografie die Gründe für das zu suchen, was er getan hat, die Gründe für die Mitarbeit bei der Staatssicherheit und den Verrat all derer, mit denen er als zentrale Figur des künstlerischen Undergrounds in der DDR zusammengearbeitet hat.
Abgesehen von der vielen Scheiße, von der Sascha Anderson redet, der Scheiße, die er seinen Führungsoffizieren seit den Siebzigern und auch noch nach der Ausreise in die BRD 1986 erzählt habe, der Scheiße, die er in den Neunzigern verzapft habe, um doch noch irgendwie um das Desaster seines Lebens herumzukommen, ist der entscheidende Punkt seiner Rede der: „Ich machte den großen Zampano. Wenn ich hätte zugeben können, dass ich das nicht war, wäre vielleicht alles anders gelaufen.“
Sascha Anderson, der Womanizer, der er wohl war, als grobschlächtiger, bärbeißiger Anthony Quinn in Fellinis „La Strada“, der sich Kraft seiner Lungen die Ketten von der Brust sprengt – dieser Vergleich hat was. Denn der Zampano, der sich schon insofern auf die Brust trommelt, indem er behauptet, einer gewesen zu sein, bleibt auch an diesem Vormittag dem Image des starken Manns im Zirkus treu – eine arme Wurst, die nicht „Ich weiß nicht“ sagen kann.
„Es gibt nichts wieder gutzumachen“: Obwohl Sascha Anderson im Kaffee Burger genauso wie in seinem Buch immer wieder zugibt, ein Denunziant gewesen zu sein, irritiert die Art, wie er das sagt. Sie lässt auf sein ungebrochenes Selbstbewusstsein schließen. „Es zerfetzt mich jetzt wie einst“ – solche expressionistischen Sätze klingen, als ob da etwas redet, bevor es denkt. Auf die Frage, wozu das Zitatengewitter in seinem Buch gut sei, antwortet er wohl präpariert: „Nur 0,05 Prozent im Buch sind Zitate.“ Dem Vorwurf, dass er in seinem Buch die Banalität des Verrats verdränge mit seinem Wortgeschwurbel und seinem Genie-und-Wahnsinn-Kult, begegnet er stoisch: „Es ging mir nicht darum, mich als Literat zu reinstallieren.“ Auf den Einwand, dass er sich kaum mit seinem Leidensdruck auseinander gesetzt habe, erwidert er, er habe den genau so abgebildet, wie er es empfunden habe, nämlich wie „so ein kleines Wegwerfding“. Dass er heute, in seinem Buch, hätte nachdenklicher sein können, diese Frage steht im Raum wie kalter Rauch. Als einer fragt: „Haste dich jetzt ehrlich geredet?“ und er antwortet: „Ich glaube, ja“, wirkt das nur ärmlich.
Eine Anekdote mit echtem Informationsgehalt hat Sascha Anderson dann aber doch noch auf Lager. 1995, als er im Druckhaus Galrev arbeitete, habe ihn sein Führungsoffizier Reuters gebeten, seinen soeben vollendeten Spionagethriller zu verlegen. Dann habe er ihn wie zu alten Zeiten zu einem Einkaufscenter weit draußen an der A 10 gebeten. Dort habe er ihm erzählt, wie schlimm es sei, dass er jetzt in der Reifenrunderneuerung arbeiten müsse. SUSANNE MESSMER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen