piwik no script img

Die Machnig-Maschine

Der Kampa-Mythos? Für Machnig ein Märchen. „Was wir hier machen, ist harte Arbeit.“Kommunikation, Imageproduktion, Themen besetzen – das ist für Machnig Politik

von JENS KÖNIG

Wenn Matthias Machnig morgens um halb sieben in der Dusche steht, dann beginnt er sich langsam zu verwandeln. Das warme Wasser, das an ihm herunterläuft, setzt ihn unter Dampf. In Machnigs Kopf beginnt es zu rattern, seine kleinen grauen Zellen senden ihm erste Signale. Er hört die Morgennachrichten und speichert sie ab.

Beim Anziehen geht Machnig in Gedanken seine Termine für den Tag durch. Er merkt, wie sich in seinem Körper die Spannung aufbaut. Seine Bewegungen werden geschmeidiger. Noch rasch einen Kaffee. Machnig schnappt sich sein Handy. Dann ein letzter Blick in den Spiegel. Der Anzug sitzt, die Haare sind wieder nicht gekämmt, das sieht lässiger aus. Perfekt.

Die Maschine läuft. Machnig ist jetzt Mr. Kampa.

Es ist 7.30 Uhr. Auf die Minute genau verlässt er sein Haus in Schmargendorf. Es ist nicht einfach, ihm auf den Fersen zu bleiben. Machnig ist nicht besonders groß. Er macht kurze, schnelle Schritte. „Politik ist ein schnelles Geschäft“, sagt er. „Und im Wahlkampf läuft alles noch schneller.“

Machnig hat keine Zeit zu verlieren. Niemals. Nicht eine einzige Minute. Im Auto, auf dem Weg in Berlins Mitte, liest er Zeitung. Machnig gibt viel auf seinen stressigen Ta- gesablauf. Er gehört zu seinem Image. Es macht ihm Spaß, davon zu erzählen.

8.00 Uhr. Machnig kommt in seinem Büro an. Er schaltet den Computer an und liest seine E-Mails. Die ersten Nachrichtenticker liegen auf seinem Tisch.

9.00 Uhr. Morgenlage. Machnig trifft alle Abteilungs- und Bereichsleiter der Wahlkampfzentrale. Die meisten von ihnen tragen gebügelte Hemden und Krawatte. Es geht um die Strategie für den heutigen Tag. Machnig stellt präzise Fragen. Seine Anweisungen sind knapp. „Jo, was macht die Vorbereitung für den Ost-Parteitag?“ Liegt im Plan. „Dirk, die neuen Plakate müssen gedruckt werden.“ Kein Problem. „Bernd, was ist mit den Umfragen?“ Werden immer besser. Machnig drückt aufs Tempo. Nur noch knapp 200 Tage bis zur Wahl.

„Wenn ich eins nicht leiden kann“, sagt Machnig, „dann sind es Debatten, die zu nichts führen. Ich will Ergebnisse sehen.“ Machnig war schon immer so. Reinhold Rünker hat mit ihm vor 15 Jahren bei den Jusos in Münster an großen Theorien gebastelt. „Bei Matthias war jeder Satz ein Ausrufezeichen“, erinnert sich Rünker. „Er wusste immer, was er wollte. Bei ihm gab es nicht so’n Weichei-Gelaber.“

Willkommen in der Kampa, dem größten Mythos der deutschen Politik seit Adenauers Rosenzüchtung!

Mythos? Interessiert Machnig natürlich nicht. Er hält das für Märchen. „Was wir hier machen, ist harte Arbeit“, sagt er. Das gehört zum Mythos dazu. In der Wahlkampfzentrale hält Machnig über 120 Mitarbeiter unter Strom, 24 Stunden am Tag. Ihr Durchschnittsalter: 34 Jahre. Sie arbeiten in zehn Projektteams zusammen, von der Gegnerbeobachtung bis hin zum Online-Wahlkampf. Dazu kommen Werbe- und PR-Agenturen. Machnig ist ihr Antreiber. „Die Kampa ist mehr als ein Haus“, sagt er. „Sie ist ein Arbeitsprinzip.“ Das Prinzip lautet: schnell, beweglich, flexibel. Wenn Stoiber etwas Relevantes sagt, braucht die Kampa höchstens eine Stunde, um darauf zu reagieren.

9.45 Uhr. Die Morgenlage ist vorbei. Machnig springt auf. In einer Viertelstunde ist SPD-Präsidiumssitzung. Im Auto schaltet er sich übers Telefon in die Schaltkonferenz ein: Kampa, Kanzleramt, Bundestagsfraktion und Bundespresseamt koordinieren wie jeden Tag ihre Manöver für die nächsten 24 Stunden. „Im Wahlkampf brauchen Sie schnelle Kommunikations- und Entscheidungswege“, sagt Machnig. Die SPD, findet er, hat genau das. Die Union, findet er, hat genau das nicht. Deren Wahlkampforganisation? „Ein einziges Chaos.“ Stoiber-Berater Michael Spreng, sein Gegenüber? „Ein Medienonkel.“

12.00 Uhr. Machnig trifft Franz Müntefering, seinen Chef. Seit über zehn Jahren sind Müntefering (61) und Machnig (41) ein unzertrennliches Paar. Wie früher Beckenbauer und „Katsche“ Schwarzenbeck beim FC Bayern. Seit drei Jahren ist Müntefering Generalsekretär der SPD und Machnig sein Bundesgeschäftsführer. Hier der Ruhigmacher der Partei, der den Sozialdemokraten aus der Seele spricht – dort der Abräumer, der die SPD organisatorisch umkrempelt und die alte Tante auf Trab hält. „Politik ist Organisation“, sagt Müntefering trocken, „diese Überzeugung teilen wir beide.“

13.00 Uhr. Machnig spult präzise sein Programm herunter. In einer Hinsicht ist jeder Termin wie der andere: Machnig spricht. Machnig denkt. Machnig raucht. Jetzt bei der Schatzmeisterin der Partei. Es geht ums Geld für den Wahlkampf. 25 Millionen Euro wird die SPD bis Herbst ausgeben; weniger als 1998.

Manche halten Machnig für einen Apparatschik, der sich nur modern gibt. Sie sehen in seiner Vision von der SPD als „Netzwerkpartei“ die Fortsetzung der disziplinierten Kaderarbeit von früher, als Machnig bei den Jusos Stamokap-Theorien predigte. „Ja, ja“, lästert Machnig, „das liegt alles in meinen Genen.“ Er will, dass die SPD modern und professionell organisiert ist. Er will, dass der schwerfällige Tanker rast. Vielleicht muss man, wie Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier, ein Mechaniker der Macht sein, um Machnigs Fähigkeiten zu bewundern. „Aus Ideen muss irgendwie Politik werden“, sagt Steinmeier. „Machnig hat die besondere Gabe, zu wissen, wie das geht.“

14.30 Uhr. Machnig diskutiert mit den Chefs der Werbeagentur KNSK, auch sie schon vor vier Jahren dabei. Es geht um neue Plakatentwürfe. Die Werbeprofis und der Wahlkampfmanager verstehen sich blind. Politik ist für sie Kommunikation, permanente Image-Produktion, das Besetzen von Themen.

Mit Machnig kann man stundenlang darüber reden. In seinem Büro stapeln sich die Bücher über Politik und Wahlkampfstrategien bis unter die Decke. Machnig hat in den USA zwei Wahlkämpfe von Bill Clinton und einen von George Bush beobachtet, er war in Großbritannien und in Schweden. Wenn er von Amerika spricht, sagt er „die Staaten“, als sei er dort zu Hause. Er schwärmt davon, dass es in Amerika 7.500 Consulting-Firmen für politische Beratung gibt. „Hier“, sagt Machnig mitten im Gespräch und knallt ein Buch auf den Tisch, „kennen Sie das? Das neueste Buch von Dick Morris: „The new Prince“. Eine Art Machiavelli für das 21. Jahrhundert.“ Morris war 1996 Clintons Wahlkampfberater.

Allein schon das macht Machnig für viele Sozialdemokraten verdächtig: Dass er Leute wie Morris für Gurus hält. Sie vermuten ohnehin, dass bei Machnig Parteiprogramme nur als altmodischer Schnickschnack gelten. Aber alle, die ihm das vorwerfen, äußern das lieber hinter seinem Rücken. „Machnig ist verliebt in seine Theorien“, sagt einer. „Er betreibt Politik nicht aus Zuneigung zu den Menschen.“ Ein anderer meint: „Der macht aus der SPD eine Public-Relations-Agentur.“

Machnig kennt die Vorwürfe. Er hält sie für absurd. Er hat, ganz zufällig, eine Geschichte parat. „Als 1972 das Misstrauensvotum gegen Willy Brandt scheiterte, habe ich mit meinem Vater vor dem Fernseher gesessen und vor Freude geheult. Ich war damals zwölf Jahre alt. Ich wusste nur, Willy Brandt ist ein Guter.“ Zehn Jahre später trat Machnig in die SPD ein. Schmidt war gerade gestürzt worden. Die Vorstellung, dass Kohl jetzt Kanzler wird, schien ihm unerträglich.

In Machnigs Wahlkampf dreht sich alles um die drei P, wie er sagt: Person. Programm. Performance. Machnig wäre sein Geld nicht wert, wenn er nicht so tun würde, als hielte er alle drei P für gleich wichtig. „Eine Partei kann eine ultramoderne Inszenierung hinlegen“, sagt Mr. Kampa, „wenn ihr Kandidat antiquiert wirkt und sie ein schlechtes Programm hat, kann die Partei nicht gewinnen.“

16.00 Uhr. Machnig diskutiert in der Kampa mit seinen Leuten vom Arbeitsbereich „Schröder-Tour“.

Manchmal glaubt man Machnig bei dem Gedanken zu ertappen, er könne alles steuern, habe alles im Griff. Stoiber? „Waren wir drauf vorbereitet.“ Die Krise der Regierung? „Ist doch schon wieder vorbei.“ Die schlechten Umfragen? „Das Pendel schwingt bereits zugunsten von Schröder zurück.“ Machnig will im Wahlkampf die gute Bilanz der rot-grünen Regierung herausstellen und eine Wertedebatte führen. Aber Schröders zentrale Botschaft für die Wahl? Aus Machnigs Mund fallen wieder hundert Sätze – nur nicht die Botschaft.

19.00 Uhr. Strategiesitzung in der Kampa. Machnig ist immer noch so konzentriert wie am Morgen. Nur seine Krawatte ist verrutscht.

Seine Mitarbeiter halten ihn für einen guten Chef. Hart, aber gerecht. Einer, der viel verlangt, aber auch viel kann. „Ich habe noch keinen getroffen, der besser ist als er“, sagt Jo Staschewski, Bereichsleiter Wahlkampf Ost. Vielleicht empfinden deswegen viele Machnig als Bedrohung. Stefan Lennardt, bis vor einem Jahr Sprecher der SPD in Nordrhein-Westfalen, erinnert sich noch genau daran, wie Machnig Ende 1999 in Düsseldorf einritt, um den Wahlkampf für Wolfgang Clement zu managen. „Wenn Machnig nicht gewesen wäre, hätten wir die Wahl nicht gewonnen“, sagt er. Trotzdem haben einige in der Staatskanzlei hinterher über Machnig gelästert. „Die Leute, die die größten Schwierigkeiten mit ihm haben, sind die Mittelmäßigen“, sagt einer aus der Kampa.

22.00 Uhr. Machnig arbeitet an seinem Schreibtisch. Er erinnert an den Hasen in der Duracell-Werbung. Er trommelt und trommelt und trommelt. Allen anderen ist schon der Saft ausgegangen. „Politik fasziniert mich einfach“, sagt er.

Die Machnig-Maschine steht immer noch unter Strom.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen