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Hass hinter dem Zottelbart

Nach den erfolgreichen religiösen Pogromen in Indien wollen die radikalen Hindu-Nationalisten ihre in die Vernunft abgeglittene Regierungspartei BJP auf den extrem rechten Weg zurückführen

aus Delhi BERNARD IMHASLY

In Ahmedabad haben die Barbiere Hochkonjunktur. Hindus, die nicht mit Muslimen verwechselt werden wollen, lassen sich glatt rasieren. Es ist eine persönliche Spielart ethnischer Säuberung nach den Massakern von letzter Woche. Sie schließt auch das Ablegen von anderen Signalen religiöser Zugehörigkeit ein – eine Vorliebe für grüne Kleider, die spezifische Kopfbedeckung, das Färben des Haupthaars. Muslime, die daran festhalten, suchen Sicherheit in Ghettos. Aufgeklärte Mittelklasse-Hindus sollen muslimische Nachbarn aufgefordert haben, doch wegzuziehen, um nicht den Mob anzuziehen. Flugblätter fordern die Hindu-Mehrheit auf, muslimische Geschäfte zu boykottieren.

Die geistigen Väter der Gewalt, im Gegensatz zum Mob von Jugendlichen allesamt alte Männer, traten am Montag in der indischen Hauptstadt vor die Kameras, ohne sich um ihr Aussehen sorgen zu müssen. Statt gepflegter Backenbärte lassen die Führer des „Welt-Hindu-Rats“ (VHP) ihr Gesichtshaar in langen Zotteln herunterhängen. Es ist ein Zeichen der Entsagung aller weltlichen Güter. Respekt vor dem Leben zählt offensichtlich nicht zu dieser Geisteshaltung. Die wilden Gestalten weigerten sich nicht nur, die Pogrome in Ahmedabad zu verurteilen. Sie erinnerten die Regierung der „Indischen Volkspartei“ (BJP) und besonders Premierminister Vajpayee daran, dass er seinen Posten der „Hindutva“-Bewegung zu verdanken hat, also den Hindu-Fundamentalisten.

Die langbärtigen Swamis hatten Recht. In den 80er-Jahren hatte die BJP begonnen, „positiven Säkularismus“ zu predigen. Er sollte die demografische Realität der überwältigenden Hindu-Mehrheit Indiens spiegeln und nicht so tun, als wären alle Religionsgemeinschaften gleich stark und damit gleichberechtigt. Die Partei machte dabei Ayodhya, ein Städtchen im zentralen Gangesbecken, zum Zentrum ihrer Kampagne. Ayodhya ist der mythische Geburtsort des Gottes Ram. Angeblich an der Geburtsstelle Rams aber baute ein Feldherr des ersten Mogul-Kaisers Babar 1528 eine Moschee. Dabei soll er den bestehenden Geburtstempel abgerissen haben – eine Behauptung, für die Beweise fehlen. Der Wunsch nach Rückeroberung des sakralen Geländes bot der BJP den emotionalen Kitt zur Herstellung einer „nationalen“ Hindu-Identität.

Am 6. Dezember 1992 gipfelte die Agitation in der Zerstörung der Babar-Moschee. Das löste schwere Unruhen aus, die über 2.000 Menschen, in der Mehrzahl Muslime, das Leben kosteten. Für die BJP zahlten sie sich aus: 1997 stellte sie erstmals die Regierung. Doch als Regierungspartei und Teil einer Koalition sah sich die BJP gezwungen, ihre Hassrhetorik zurückzunehmen.

Die Geister, welche die BJP gerufen hatte, wurde sie nun nicht mehr los. Während sie sich als staatstragende Partei zu etablieren suchte, übernahm die Schwesterorganisation VHP die Führungsrolle. Ursprünglich hatte der „Nationale Freiwilligenbund“ (RSS), die ideologische Mutter von beiden, den VHP als Kulturorganisation für die Verbreitung des Hinduismus im Ausland positionert. Doch das Aufrücken der BJP schuf ein Vakuum, das VHP-Präsident Ashok Singhal und seine bärtigen Kollegen nun füllten.

Der RSS übt Kontrolle über die BJP aus, indem er Kaderleute in Parteiposten platziert. So sind Vajpayee und Advani RSS-Mitglieder, ebenso Narendra Modi, der als Regierungschef in Gujerat in den letzten Tagen eine höchst dubiose Rolle gespielt hat. Da der RSS aber keine eingeschriebene Mitgliedschaft kennt, fällt es leicht, eine solche zu verneinen. Und die RSS-Anbindung reicht nicht, um die BJP in der Tagespolitik von Positionsbezügen zu verschonen, die sie von der radikalen Kernideologie des Hindunationalismus distanzieren.

Der Welt-Hindu-Rat VHP hat in den letzten drei Jahren mit neuen Kampagnen zum Tempelbau in Ayodhya den Druck erhöht, um daran zu erinnern, dass es der Hindutva-Bewegung um mehr geht als die Macht in Delhi. Die Massaker in Gujerat haben nun vollends eine politische Dimension aufgerissen. Atavistische Reflexe wurden neu geweckt und die beiden wichtigsten Volksgruppen Indiens erneut als historische Feinde markiert.

Der VHP wittert darin die Chance einer Massenmobilisierung unter der safrangelben Fahne des Hinduismus. Doch die RSS-Gerontokraten träumen von einem selbstbewussten, ausstrahlenden Indien – und ein Land, das sich selbst zerfleischt, kehrt diese Vision in einen Albtraum um. Der VHP ist nun vom Aufstand der Massen berauscht. Für ihn sei Premier Vajpayee, so VHP-Führer Paramhans am Montag, „nichts anderes als ein neu bekehrter Muslim“. Für den Swami, dessen Demagogie auch der Sannyasin-Bart nicht verdeckte, war es das schlimmstmögliche Schimpfwort.

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