: Händedruck mit Rita Hayworth
Soeben hat Goebbels gratuliert, und sehr diskret lässt Wilhelm Furtwängler sein Taschentuch von der linken in die rechte Hand wandern: István Szabós „Taking Sides – Der Fall Furtwängler“ spürt einmal mehr der Rolle des Künstlers im Faschismus nach
von BARABARA SCHWEITZERHOF
Heute nennt man es nonverbale Kommunikation oder Körpersprache, und deren gekonnte Interpretation wird in Managerkreisen, also da, wo’s wirklich drauf ankommt, hoch gehandelt. Im Unterschied zu den lügnerischen Worten und den trügerischen Gesichtern soll die Körpersprache stets die Wahrheit verraten. Was sagt uns also diese kleine Geste, die István Szabó am Ende von „Taking Sides – Der Fall Furtwängler“ als Dokumaterial einspielt: Wir sehen den Abschlussbeifall eines Konzerts, soeben hat Goebbels Furtwängler die Hand zur Gratulation gereicht, sehr diskret lässt dieser daraufhin ein weißes Taschentuch von der linken in die rechte Hand wandern. Will er sich die Hand abwischen? War ihm der Kontakt mit dem Propagandaminister unangenehm? Lässt sich daraus auf die Rolle des Künstlers im Faschismus folgern?
Furtwängler, Leiter der Berliner Philharmoniker, war als Stardirigent des Dritten Reiches zum kulturellen Aushängeschild des Nazi-Staats geworden und fand sich somit – trotz der zuletzt noch erfolgten Flucht in die Schweiz – nach der Kapitulation auf die Seite der Täter gestellt. Sein Entnazifizierungsverfahren endete mit einem Freispruch; er war nie der Partei beigetreten und beharrte auf der Trennung von Kunst und Politik. Szabós Film geht zum Ausgangspunkt des Verfahrens: Die Amerikaner wollen Furtwängler „drankriegen“, und Harvey Keitel als Major Steve Arnold soll die Vorermittlungen führen.
Als Beweise für Furtwänglers Schuld bzw. Unschuld werden kleine und größere Gesten bedeutend: ob ein Handschlag erfolgte oder absichtsvoll verhindert wurde, ob ein Konzert zu des Führers Geburtstag oder einen Tag davor stattfand. „Taking Sides“ beruht auf einem Theaterstück des britischen Dramatikers Ronald Harwood, und Szabó hat die Kammerspielstruktur der Vorlage beibehalten. So kann auch im Film noch das professionelle Handwerk bewundert werden, mit dem Harwood den Konflikt auf die Bühne bringt. Keitel gibt den ungebildeten Kunstgegner Arnold, der Furtwängler wie einen ganz normalen Versicherungsbetrüger behandelt. Ihm an die Seite gestellt sind Moritz Bleibtreu als Sohn jüdischer Emigranten in amerikanischer Uniform und Birgit Minichmayr als Tochter eines Widerstandskämpfers, beide voller Ehrfurcht vor dem großen Musiker. Ein paar hübsche Runninggags in der Nummernrevue der Zeugen, die von den drei vernommen werden, sowie eine gewisse erotische Spannung sorgen für den nötigen Unterhaltungsfaktor. Wie in jedem ordentlichen Gerichtsfilm wird argumentiert, was das Zeug hält, werden Aussagen zerpflückt, Menschen zum Stottern und heimliche Motive ans Tageslicht gebracht. Stellan Skarsgard interpretiert Furtwängler als stolzen alten Mann, besessen von seiner Arbeit, wie wir das von Genie-Dirigenten erwarten. „Aus Sorge um die deutsche Kultur“ sei er in Deutschland geblieben, und neben den Anklage-Varianten vom Täter oder Mitläufer wird die Möglichkeit, dass Furtwängler durch seine Musik auch so manchen Deutschen vor der Barbarei gerettet habe, durchaus erörtert.
Die versierte Mechanik der anglo-amerikanischen Stückvorlage sorgt für einen interessanten Verfremdungseffekt: All das Gerede über die Kunst und deren Missbrauch durch die böse Politik klingt auf einmal seltsam hohl. Und die schauspielerische Energie von Keitel als Jazzliebhaber verleiht dem ganzen Hochkulturgetue seiner Kontrahenten, diesem Beharren auf der reinen Geistigkeit des Kunstgenusses einen verdächtig deutschtümelnden Beigeschmack. Für Politik ist Kultur vielleicht äußerlich – aber sind nicht Äußerlichkeiten entscheidend? Was würden wir über die Geste mit dem Taschentuch denken, wenn nicht Goebbels, sondern Rita Hayworth Furtwängler die Hand geschüttelt hätte? Der Alte sei ganz schön ins Schwitzen gekommen.
„Taking Sides – Der Fall Furtwängler“. Regie: István Szabó; mit Harvey Keitel, Stellan Skarsgard u. a., A/D/F/GB 2001, 105 Min.
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