: Gefängnisstrafe für Arundhati Roy
Indiens berühmteste Schriftstellerin muss eventuell für drei Monate in Haft, weil sie eine Geldstrafe nicht zahlen will. Die wurde wegen „Beschmutzung der Würde der Gerichtsbarkeit“ verhängt. Hintergrund: Streit um den Narmada-Staudamm
aus Delhi BERNARD IMHASLY
Die Schriftstellerin Arundhati Roy ist gestern vom Obersten Gericht Indiens zu einer symbolischen Haftstrafe von einem Tag und einer Geldstrafe verurteilt worden. Das Gericht fand, Roy habe die oberste Justiz der Parteilichkeit verdächtigt und damit „die Würde der Gerichtsbarkeit beschmutzt“.
Roy wurde unmittelbar nach dem Urteil in das zentrale Tihar-Gefängnis am Stadtrand von Delhi gebracht – ein Zeichen, dass die Richter den Fall ernstnehmen. Normalerweise werden Eintagesstrafen mit Büroarbeit im Gericht abgesessen. Roys Anwalt will Revision beantragt, und aus ihrer Umgebung war zu hören, dass sie die Geldstrafe nicht entrichten werde, was eine strenge Haft von drei Monaten nach sich ziehen würde.
Vor dem Gerichtsgebäude kam es zu einer kleinen und lautstarken Demonstration von Anhängern des „Narmada Bachao Andolan“ (NBA). Diese NGO kämpft gegen den Bau eines Staudamms im Narmada-Tal, und die Autorin des Romans „Der Gott der kleinen Dinge“ hat sich deren Anliegen zueigen gemacht. Eine ähnliche Veranstaltung hatte den jetzt entschiedenen Gerichtsfall ausgelöst.
Am 18. Oktober 2000 hatte das Gericht grünes Licht für die Fertigstellung des Staudamms gegeben; eine Protestdemonstration gegen das Urteil zwei Monate später veranlasste eine Gruppe von Anwälten dazu, Roy, die NBA-Führerin Medha Patkar und ihren Anwalt zu verklagen. Obwohl voller Fehler, wurde die Klage wegen „Missachtung der Justiz“ zugelassen.
Medha Patkar und ihr Anwalt wiesen den Vorwurf der Beleidigung zurück, entschuldigten sich aber für den Fall, dass das Gericht aus ihrem Verhalten eine solche schließen sollte. Roy zog es vor, sich selbst zu verteidigen. Sie gab eine eidesstattliche Erklärung ab, in welcher sie aus der Zulassung der Klage folgerte, es gebe einen „beunruhigenden Hang, Kritik zum Schweigen zu bringen und jenen einen Maulkorb umzulegen, die nicht einverstanden sind“. Dies wollten die Richter nicht auf sich sitzen lassen, und sie hielten die Beleidigungsklage aufrecht.
In einer weiteren Stellungnahme insinuierte Roy, dass die Richter eine „Vendetta“ gegen sie führten. Sie bezog sich auf eine Rüge des Obersten Gerichts von 1999 gegen Passagen in ihrem Narmada-Essay „The Greater Common Good“, in dem sie die Justiz ebenfalls angegriffen hatte. Dies führte nun zum strengen Urteil.
Arundhati Roy geht es um mehr als Rechthaben. Sie wittert die Gefahr einer „Diktatur der Justiz“, wenn diese das Gesetz über Justizbeleidigung missbrauche, um Schriftsteller mundtot zu machen. Damit werde das Grundrecht der freien Meinungsäußerung angetastet. Falls sich die Justiz vom prüfenden Blick der Öffentlichkeit abschotte, sagte sie, „wird ein weiterer Pfeiler der indischen Demokratie einstürzen“.
Dasselbe Motiv – und dieselbe Metapher – machten nun auch die Richter geltend: Es gehe nicht um Kritik an der Justiz, sondern um ihr Ansehen. Wenn einmal das Vertrauen des Bürgers in sie erschüttert sei, sagte Richter Sethi, seien die Grundpfeiler der Gesellschaft erschüttert.
Arundhati Roy hat zweifellos recht, wenn sie die Abschottung der Justiz von öffentlicher Aufmerksamkeit kritisiert. Als ein Internet-Magazin kürzlich leise Kritik am Lebensstil einiger Oberrichter von Delhi artikulierte, wurden die Verantwortlichen mit schweren Gefängnisstrafen bedroht, wenn sie ihre Äußerungen nicht sofort zurückzögen. Anderseits ist die höhere Gerichtsbarkeit eine der wenigen Institutionen Indiens, die von Korruption noch nicht zersetzt worden ist. Gerade wenn man sieht, wie radikale Hindus mutige Gerichtsentscheide mit dem Argument „Glaube geht vor Recht“ angreifen, ist die Sorge verständlich, Roys ätzende Worte nicht als Maßstab anzuerkennen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen