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Überflutungen voraus

Klimaexperten sagen voraus, dass sintflutartige Regenfälle zunehmen werden. Während in Nordeuropa die Winter feuchter werden, ist in südasiatischen Regionen in Zukunft mit einer Zunahme extremer sommerlicher Monsunperioden zu rechnen

Genaue Messungen von Abflussmengen sind schwer aufzutreiben.

von HEIKE LANGENBERG

Der letzte Winter brachte England Rekordregenfälle und großflächige Überschwemmungen. 11.000 Menschen mussten aus ihren Häusern und Büros evakuiert werden. Das Eisenbahnnetz kollabierte, weil viele Streckenabschnitte weggeschwemmt worden waren. Wie zwei neue Klimastudien zeigen, könnte die Zukunft noch mehr sandsackgesäumte Flussläufe und überflutete Straßen bringen.

Die Frage, ob der Katastrophenwinter 2000 ein Vorgeschmack der zu erwartenden Klimaänderung war, oder ob es sich nur um einen ungewöhnlich nassen Winter handelte – ein Extremjahr wie es so bald nicht wieder auftreten wird – lässt Klimaforscher nur ratlos die Achseln zucken. „Aus wissenschaftlicher Sicht ist das keine sinnvolle Frage“, sagt Tim Palmer vom Europäischen Zentrum für mittel- und langfristige Wettervorhersage in Reading, Großbritannien.

Angesichts der Zerstörung um ihn herum entschloss sich Palmer dennoch, die Zusammenhänge zwischen Katastrophenfluten und Klimaänderung auszuloten. Zusammen mit Jouni Räisänen vom Rossby Centre in Norrköping, Schweden, hat er die Frage wissenschaftlich umformuliert: Wird sich das Risiko extremer Regenfälle verstärken, wenn sich das Klima ändert?

Die Antwort war im Januar im Wissenschaftsmagazin Nature nachzulesen: Extrem nasse Winter werden in Teilen Nordeuropas im Laufe der nächsten 50 bis 100 Jahre um das fünffache wahrscheinlicher. In Teilen Südasiens erwarten Palmer und Räisänen intensivere Regenfälle in ähnlicher Größenordnung, dort allerdings während der sommerlichen Monsunperioden. Eine solche Verstärkung der Niederschläge hätte zum Beispiel erhebliche Auswirkungen für Bangladesch, wo bereits in den letzten Jahren katastrophale Regenfälle immer wieder Millionen von Menschen aus ihren Häusern vertrieben haben.

Die Prognose wird unterstützt von einer Studie von Christopher Milly vom Geophysical Fluid Dynamics Laboratory, Princeton, und seinen Mitarbeitern. Sie diagnostizieren einen Anstieg der extremen Flusshochwässer während der vergangenen hundert Jahre, und sehen ebenfalls eine Zunahme der Fluten kommen.

Das Thema interessiert auch die Versicherungen. Die Münchner Rück, weltweit die größte Rückversicherung, beschäftigt in ihrer geowissenschaftlichen Forschungsgruppe 20 Spezialisten mit der Analyse von Naturkatastrophen. Ungefähr die Hälfte von ihnen arbeitet in den Bereichen Wetter, Wasser und Klima.

Bislang basierten die Kostenkalkulationen der Versicherung auf den Schadenshöhen und Eintrittswahrscheinlichkeiten der Vergangenheit. Aber wenn die Schadensfälle in einem sich ändernden Klima immer häufiger auftreten, ist das unter Umständen nicht mehr ausreichend. „Es ist als würden Sie ein Auto lenken, indem Sie immer nur zum Rückfenster hinausschauen“, sagt Thomas Loster, Fachgebietsleiter für Wetter- und Klimafragen. „Die Versicherungen denken nun darüber nach, wie man zukünftige Schäden quantifiziert und wie man eine zukünftige Erhöhung der Schäden in die Berechnung der Prämien miteinbeziehen kann“, erklärt er weiter.

Katastrophenwahrscheinlichkeiten in Zahlen zu fassen ist weitaus schwieriger als global gemittelte Temperaturen abzuschätzen. Das seltene Auftreten von Extremereignissen und die riesige Bandbreite des natürlichen Wettergeschehens machen es schwer, normale Fluktuationen und außergewöhnliche Trends auseinanderzuhalten.

Für Auskünfte über das Klima der Zukunft brauchen Klimaforscher Computersimulationen. In ihrer neuen Arbeit analysieren Palmer und Räisänen die Ergebnisse der 19 bisher weltweit durchgeführten Simulationspaare vom Treibhausklima und dem natürlichen Klima.

Sie nutzen die Bandbreite der Modellläufe zur Risikobestimmung von Extremereignissen – eine Idee, die Palmer aus dem verwandten Gebiet der Wettervorhersage mitbrachte. Wie in dem Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ läuft immer wieder derselben Zeitraum ab, jedesmal in einer etwas anderen Variante. „Für die Vorhersage eines schweren Sturmes, wie zum Beispiel in Deutschland im Dezember 1999, lassen wir das Modell 50 mal laufen“, sagt Palmer.

Wenn sich zum Beispiel in fünf der 50 Simulationen ein Orkan entwickelt, ergibt das ein Risiko von 10 Prozent. „Wenn Sie eine Ölplattform an ihren Platz schleppen wollen, ist es selbst bei einer Wahrscheinlichkeit von nur 10 Prozent besser, eine Woche zu warten“, sagt Palmer.

Die Forscher hoffen, dass die 19 Simulationspaare, die gegenwärtig zur Verfügung stehen, die möglichen Varianten einer zukünftigen Klimaänderung einigermaßen abdecken. „Unser Ansatz ist pragmatisch,“, räumt Palmer ein. „Ich würde nicht unbedingt sagen, dass 19 Läufe genug sind“. Aber mehr Simulationen derselben Qualität sind im Moment nicht verfügbar.

Derweil hat Milly’s Team – ebenfalls im Januar in Nature – festgestellt, dass 16 der 21 großen Flussüberflutungen in der Zeit nach 1953, der zweiten Hälfte der aus verschiedenen Datensätzen zusammengestellten Beobachtungsdaten, auftraten. Ohne eine globale Ursache wäre eine solche Anhäufung von Extremereignissen in den letzten Jahren äußerst unwahrscheinlich. Auch diese Analyse hat einen Haken: Genaue Messungen von Abflussmengen sind schwer aufzutreiben. Besonders während der Schneeschmelze im Frühjahr, wenn mit dem Wasser auch noch Eisschollen gen Meer geschwemmt werden, ist es fast unmöglich, die Wassermengen zu bestimmen. „Außerdem ist es gefährlich, unter solchen Bedingungen Messungen zu machen“, sagt Dennis Lettenmaier von der University of Washington.

Ebenso wie die Versicherer finden Soziologen die Extreme interessanter als die klimatologische Norm. „Ich bin überzeugt, dass es in erster Linie klimatische Extremereignisse sind, die ihre Spuren in der Gesellschaft hinterlassen“, sagt Nico Stehr vom Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen. „Die menschliche Geschichte kann als Geschichte der menschlichen Emanzipation vom Klima geschrieben werden“, sagt er.

Laut Stehr konnten sich die Menschen über den ganzen Globus verbreiten, indem sie mittels Zentralheizung und Klimaanlagen ihre Häuser von Florida bis nach Alaska in eine Klimazone verwandelten, die den Bedingungen in der ostafrikanischen Wiege der Menschheit ähnelt. Aber diese stabile Umwelt kann gestört werden. Stehr zitiert ein Beispiel aus dem England des 14. Jahrhunderts: Drei extrem nasse Sommer in Folge (1315-1317) zerstörten die Ernte und dezimierten die Bevölkerung so drastisch, dass es über200 Jahre dauerte, bis dieselbe Anzahl von Menschen wie vor der Katastrophe die britischen Inseln bewohnte.

Wohl kaum würden die Auswirkungen extremer Regenfälle in Nordeuropa heute an eine solche Katastrophe heranreichen. Die meisten Nordeuropäer können ihr Leben schützen, wenn auch Teile ihres Eigentums gefährdet sein mögen. Für die Menschen in den weniger wohlhabenden Gebieten dieser Erde ist die Lage ernster. Laut Palmer und Räisänen wird Bangladesch zusätzlich zu der Bedrohung durch den ansteigenden Meeresspiegel immer häufiger mit schweren Monsunüberflutungen fertig werden müssen.

Trotz aller Warnungen gilt die Vorliebe vieler Europäer noch Häusern mit Blick auf’s Wasser, möglichst gar mit Landesteg. Die Versicherungskosten für Überflutungsschäden haben offenbar noch nicht die Schmerzgrenze erreicht. Doch die Klima-Insider bauen auf ihre Vorhersagen. Sowohl Tim Palmer als auch Christopher Milly wohnen in komfortabler Höhe über dem Meeresspiegel, weit ab von den Risiken, die die Flussebene birgt.

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