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Dein Freund, der Nasenduscher

MTV-Moderator Christian Ulmen gibt sich mit 26 Jahren bereits etwas altersweise: Nicht skandalös will er sein, sondern im „Humorbereich“ einen freundlichen Gegenakzent setzen. Seit Anfang des Jahres unterstützt ihn dabei die Deutsche Bahn

von JUTTA HEESS

Wer ihn trifft, muss auf alles gefasst sein. Denkt man zumindest. Schließlich ist MTV-Moderator Christian Ulmen gerne als Scherzartikel unterwegs. Und begegnet Ahnungslosen plötzlich als Obi-Bär, in Begleitung eines Zwillings oder als Sicherheitsmann, der mit einem empörten „Ich bitte Sie!“ Reisende in Bahnhofshallen verstört. Die langen Gesichter der Vergackeierten werden heimlich gefilmt und als Einspieler in seiner Sendung „Unter Ulmen“ ausgestrahlt.

In den Redaktionsräumen der Berliner MTV-Filiale läuft er hingegen weder verkleidet rum noch behelligt er fremde Frauen mit überraschenden Annäherungen, indem er ihnen einfach an den Busen fasst – was er on air gelegentlich tut. Im Gegenteil: Der 26-Jährige ist absolut pennälerhumorlos. Freundlich und wohlgesonnen behauptet er, dass seine Aktionen genauso gemeint sind: „Die Leute werden nicht veräppelt, wir zeichnen bloß skurrile Situationen an alltäglichen Schauplätzen. Und wollen wissen, wie sie reagieren, wenn sie mit einem Deppen konfrontiert werden.“ Sogar einen Gattungsbegriff hat er für seine Späße parat: Alltagspoesie.

Vom Anarchist zum sanften Milden

Dabei ist Christian Ulmen nicht wegen seiner sanften Milde bekannt geworden. Sondern wurde bereits als Jugendlicher aufgrund anarchistischer Auftritte im offenen Kanal entdeckt. Und auch schon mal als „Skandalmoderator“ bezeichnet. Seit knapp zwei Jahren läuft sein Trash- und Talk-Format auf MTV, immer montags und mittwochs, eine 30-Minuten-Sendung, die „der Ulmen“ aus einem kleinen Studio mit Mondlandschaftkulisse präsentiert.

Abgespaced sind auch die einzelnen, stets locker zusammengewürfelten Elemente der Sendung: ein kurzer Blick zur „Randgruppe“, die per Bildschirm zugeschaltet ist und ihrerseits „Unter Ulmen“ guckt. Eine kleine Gestikinterpretation der Videoperformance von Popröhre Shakira, mit Hilfe einer freundlichen Mitarbeiterin. Oder ein Telefonat mit einer Zuschauerin, die – zumindest stimmlich – in den Roboter Jöckel eintaucht. Das Ganze leitet Ulmen jeweils mit den Worten ein: „Ich bin Moderator und deshalb verpflichtet euer Freund zu sein. Kommt, wir spielen.“

Klingt tatsächlich eher durchgeknallt als skandalös. „Auf den ‚Skandal-Moderator‘ kommt man ja schnell“, erklärt Ulmen. „Da ist einer, der arbeitet mit versteckten Kameras und spricht ohne Telepromptertext – schon vergleicht man ihn mit Stefan Raab oder Harald Schmidt und denkt: Oh, das wird jetzt aber böse.“ Dabei wollen Ulmen und sein vierköpfiges Team die Sachen gerade anders herum machen. „Absurd“ und „grotesk“ sind nach „skurril“ und „Ironie“ die Wörter, die er am meisten gebraucht, um seinen Programmauftrag zu beschreiben. Oder ganz deutlich: „Wir wollen bewusst einen Gegenakzent setzen und versuchen, uns von dem, was im Humorbereich gerade so in ist, zu entfernen.“

Am Beispiel der Fäkalsprache macht er das deutlich. Es sei ja modern, ständig „ficken“ zu sagen. In einem Interview hätte er einmal behauptet, er gebraucht dieses Wort nicht, weil es selbst seine Mutter benutzt, und es nicht mehr provoziert. „Nur meine Mutter war danach sauer, weil es nicht stimmt, dass sie ‚ficken‘ sagt“, meint er schließlich. Was sicher stimmt: Christian Ulmen wirkt – trotz koketten Schwindeleien – mit seinen 26 Jahren schon etwas altersweise. „Es ist ja alles cool heute, das Fernsehen braucht biedere Leute.“

Die Bahn kommtmit dem Ulmen

So gesehen, dürfte auch die Tatsache nicht verwundern, dass „Unter Ulmen“ einen Sponsor hat, der sich nicht gerade durch Coolness auszeichnet. Die Bahn kommt zu MTV und hat für 2002 einen Kooperationsvertrag mit dem Sender abgeschlossen – im Zentrum der Begierde des Zugunternehmens liegt Ulmens Show. Das heißt aber nicht, der Moderator oder die manchmal anwesenden Talkgäste müssen aus Fahrplänen vorlesen oder Verspätungen raten. „Die Bahn wollte sich verjüngen, jetzt läuft unsere Sendung auf den Großbildschirmen in Bahnhöfen, und wir dürfen problemlos in Bahnhofshallen und Zügen drehen“, erklärt Ulmen das doppelt werbewirksame Abkommen. Auch wenn immer mal Anfragen kommen, ob es ein Gag sei, dass „Unter Ulmen“ und die Bahn unter einer Decke stecken – der Moderator findet, das Sponsoring passt: „Die Bahn ist ein werteorientiertes Unternehmen, und wir sind eine werteorientierte Sendung.“

Stimmt. Besonders was Ulmens Kleiderordnung betrifft. Auch hier pflegt er offensive Distanz zum Rest: „Viele Kollegen treten mit Skimütze, Baggyhose und Sonnenbrille im Fernsehen auf, ich trage immer einen Anzug. Wie ein Schaffner eben, der auch jeden Tag dieselbe Uniform trägt.“

In der Redaktion läuft Ulmen, der mit 18 den „Disney Club“ auf RTL moderiert hat und danach zweieinhalb Jahr bei MTV in London war, allerdings nicht im Anzug rum, sondern in Kordhose und Pullover. Ebenso entspannt sind auch seine Mitarbeiter: Umfragen haben ergeben, dass die Zuschauerzahlen stetig ansteigen. Die Zielgruppe: 14- bis 29-Jährige; eine Fanpage www.unterulmen.de gibt es auch.

Dass Ulmen seinerseits Fan von einem Moderator ist, ist nicht zu übersehen. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen scheinen nicht zufällig zu sein: der besagte Anzug, Moderationen am Schreibtisch, den gelegentlich ein gerahmtes Bild ziert – die „Galionsfigur“, nicht etwa der „Liebling der Woche“ wie bei Harald Schmidt. Vor kurzem war Ulmen zu Gast bei seinem „Inspirateur“ – wie er sagt – und hat in der Show seine Nase geduscht. „Hilft wirklich gegen Heuschnupfen“, versichert er noch einmal. Genauso wie für die Nasendusche schwärmt er für Schmidt: „Durch ihn ist eine ironische Sprache im Fernsehen möglich geworden, deshalb können Leute wie wir so eine Sendung machen.“ Aber es habe immer Vorreiter gegeben, ohne Hans-Joachim Kulenkampff wäre ein Thomas Gottschalk, ohne Thomas Gottschalk wäre ein Harald Schmidt nicht möglich gewesen.

Gegen Gottschalk mit Peng und Kawumm

Auch wenn er sich somit in einer Funktionskette mit Gottschalk sieht und trotz aller Freundlichkeit – so schnell wird Ulmen keine Einladung zu „Wetten dass...“ bekommen, um dort sein Ziegenbärtchen als Wetteinsatz aufs Spiel zu setzen. Vor einem Jahr hat er in seiner Sendung eine Gottschalk-Puppe erschießen lassen – durch geschriebene E-Mail-Peng- und Kawumm-Laute. „Er hat sich mit seinem Lied ‚What happened to Rock ’n’ Roll‘ gegen die Musik ausgesprochen, die auf MTV läuft“, ärgert sich Ulmen. „Deshalb haben wir ihn verbal erschossen.“ Sehr absurd und skurril sei das gewesen.

Da sind sie wieder, seine Lieblingswörter. Dieses Etikett klebt er gerne überall drauf. Fehlt nur noch ein Schriftzug: freundlich. Das ist Christian Ulmen und will es wohl bleiben – im wahren Leben und in seiner Sendung. Und so verabschiedet er sich auch. Mit einem Händedruck. Bei „Unter Ulmen“ sieht das aber anders aus: Da legt er jedes Mal eine entertainerreife Nummer hin, einen Showdown mit unzähligen Verbeugungen. Schade eigentlich, dass er das jetzt und hier nicht genauso macht. Schön absurd und skurril wäre es.

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