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Italiens Kriegsmarine sah Ertrinkenden zu

Als bei Lampedusa ein Holzboot voller Migranten kenterte, war ein Kriegsschiff dabei. Sein Kommandant tat nichts

ROM taz ■ In Italien halten die Polemiken über die Umstände an, in denen womöglich bis zu 60 Menschen am Donnerstagabend beim Kentern ihres Bootes 70 Meilen vor der Insel Lampedusa ertranken. Umstritten ist vor allem die Rolle des am Unglücksort befindlichen italienischen Kriegsschiffes Cassiopeia. Sein Kommandant muss sich womöglich wegen unterlassener Hilfeleistung verantworten.

Dank Aussagen von Überlebenden und Rettern ist die Dynamik der Tragödie weitgehend bekannt. Am Donnerstagnachmittag gegen 16 Uhr sichtete der italienische Fischkutter „Elide“ auf halber Strecke zwischen der nordafrikanischen Küste und Lampedusa ein Holzboot in Seenot. Der acht Meter lange Kahn hatte etwa 80 Menschen vor allem aus Afrika an Bord; wegen eines Motorschadens trieb er manövrierunfähig in der rauen See. Die Elide nahm das Boot auf den Haken und gab zugleich per Funk Alarm. Drei Stunden später traf die Cassiopeia, ausgerüstet mit Helikopter, Rettungsbooten und Rettungsinseln, bei den beiden Schiffen ein.

Statt sich aber aktiv in die Rettung einzuschalten, beschränkte sich das Kriegsschiff auf die Beobachtung der Situation; der Kapitän lehnte es ab, das havarierte Boot auf den Haken zu nehmen oder seine Insassen zu bergen. Über Funk bekam die Elide nur die Anweisung, sie solle das Flüchtlingsboot nach Lampedusa schleppen. Kurz nach 20 Uhr dann brachte eine hohe Welle das Boot zum Kentern.

Erst zu diesem Zeitpunkt wurde die Besatzung der Cassiopeia aktiv, setzte aber wiederum nur eines ihrer sechs Rettungsboote aus, das gerade einmal zwei Überlebende barg. Zehn weitere Personen – Sudanesen, Liberianer und Namibier – wurden von der Besatzung der Elide gerettet, während die anderen, darunter etwa zehn Frauen und fünf Kinder, elend ertranken.

Die Marine weist zu ihrer Rechtfertigung darauf hin, dass bei schwerer See und Dunkelheit jedes Rettungsmanöver als zu riskant beurteilt worden sei. Aber auch nach der Katastrophe zeigte sich der Kommandant der Cassiopeia nicht sehr kooperativ. Nach den Aussagen des Bootsmanns der Elide lehnte er es ab, einen Arzt zu schicken.

Die Staatsanwaltschaft von Agrigent wird auch zu klären haben, warum die Finanzpolizei nicht alarmiert wurde. Die hat auf Lampedusa ein für Rettungsmanöver gerüstetes Schnellboot, das binnen zwei Stunden am Unglücksort hätte eintreffen können. Einer der in Lampedusa Diensttuenden erklärte, man habe von dem Unglück erst „aus dem Videotext“ erfahren.

Wo die wahren Schuldigen sitzen, wissen dagegen schon diverse Politiker der Regierungskoalition. Innenstaatssekretär Antonio D’Alì verkündete: „Diese Toten hätte es nicht gegeben, wenn das neue Einwanderungsgesetz schon in Kraft wäre.“

MICHAEL BRAUN

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