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Trippelschritte unter der Burka

Die Studentin zieht die Burka über. Die Ministerin warnt vor Kundgebungen. Die Bettlerinnen rufen „Bakschisch“: Szenen aus afghanischen Frauenleben

aus Kabul ANTJE BAUER

Vor der medizinischen Fakultät der Uni Kabul stehen Studenten in großen Trauben. Am Rande der Menschenmenge haben sich kleine hellblaue Grüppchen gebildet: Das sind die Studentinnen. Zum ersten Mal seit 1996 sind sie wieder hier, um sich zu immatrikulieren. Alle tragen sie die Burka. Nahid sucht einen abgelegenen Winkel am Ende eines Korridors, um zu sprechen. Als sie das Visier hochklappt, kommt ein hübsches, freundliches Gesicht mit schwarz geschminkten Augen zum Vorschein. Sobald im Korridor Schritte zu hören sind, lässt sie den Vorhang wieder fallen. Dann sind von ihr nur noch die Füße zu sehen, die in schwarzen Netzstrümpfen und eleganten Schuhen stecken. Das Lehrbuch, das sie an sich presst, ist auf Englisch, aber Nahids Englisch ist eingerostet. Über Politik will sie nicht reden. „Ich bin glücklich, dass wir der Dunkelheit entronnen sind und jetzt wieder das Licht sehen“, sagt sie. DieTalibanjahre hat sie im pakistanischen Peschawar überwintert. Vor einigen Monaten ist sie mit ihrer 19-jährigen Schwester und ihremVater nach Kabul zurückgekehrt, um ihr Studium wieder aufzunehmen.

Der Talib im Mann

Aber Kabul ist nicht mehr dieselbe Stadt, die sie verlassen hat. Sieben Jahre Bürgerkrieg und sechs Jahre Talibanregime haben ihre Spuren hinterlassen, auch in den Köpfen – vor allem denen der Männer. „Auf der Straße sagen die Männer hässliche Worte“, sagt Nahid. Deshalb verlässt sie nur selten ihr Haus. Ihr Vater bringt sie im Wagen zur Uni und holt sie mittags wieder ab. Und wenn sie doch mal auf die Straße muss, zieht sie die Burka über und tauscht die Netzstrümpfe gegen unattraktive Socken. „Ich wünsche mir, dass Frauen in allen Bereichen der Gesellschaft wieder ihren Platz einnehmen können“, sagt sie mit Nachdruck. „Und wenn meine Mutter erst mal ihre Burka wieder auszieht, werde ich es auch tun.“

Auf dem großen Gemüsemarkt stehen Türme aus Blumenkohl. Männer sitzen neben Zwiebel- und Kartoffelhäufchen, von Kebabständen ziehen Rauchschwaden über den Platz. Chinesische Musik scheppert aus Kassettenrekordern. Es sind in der Mehrzahl Männer, die hier einkaufen, und ausschließlich Männer, die Waren anbieten. Kleingruppen von Frauen schlängeln sich hier und da durch die Menge, prüfen durch das Gitter ihrer Burka die Qualität von Schuhen, bestellen an einem Stand Pommes frites und befördern die fettigen Stengel vorsichtig unter den hellblauen Vorhang.

Eine ältere Frau betritt mit ihrem Mann ein Burkageschäft. Auf die Frage, warum sie sich noch solch ein Gewand kauft, obwohl es nicht mehr Vorschrift ist, fährt sie mit der Handkante über die Stelle, an der sich unter dem Stoff wohl ihre Gurgel befindet und sagt: „Wenn ich die Burka ausziehe, wird mir der Hals durchgeschnitten!“ Aber die Taliban sind doch weg. „Dieser hier ist mein Talib“, sagt sie und deutet auf ihren Mann. Das Ehepaar bricht in schallendes Gelächter aus.

Die vorsichtige Vizeministerin

Im Hof des Frauenministeriums stehen Gruppen von Frauen in der Sonne und unterhalten sich. Einige sind Lehrerinnen an einer benachbarten Schule und kommen in der Pause hierher. Andere sind Flüchtlinge und suchen hier um Arbeit nach. Aus dem Gebäude dringt Baulärm. Große Teile des weitläufigen Komplexes sind unbenutzbar. Die Stromleitungen sind aus denWänden gerissen, Fußböden drohen einzubrechen, überall Staub.

Im Büro von Tajwar Kakar, der stellvertretenden Frauenministerin, stehen ein Schreibtisch, ein Dutzend Stühle und ein Kanonenöfchen, auf dem ein riesiger Wasserkessel summt. „Früher gab es am Stadtrand von Kabul einen Garten“, erinnert sich Tajwar Kakar wehmütig. „Freitags hatten dort nur Frauen Zutritt. Wir konnten dort spazierengehen, Tee trinken – es war schön.“ Und was ist aus dem Garten geworden? „Ein Militärlager.“

Dann geht es um den 8. März, den Frauentag. Er wird mit einer Konferenz im Ministerium begangen. Hätte man den geschützten Bereich nicht verlassen und an die Öffentlichkeit gehen sollen, die den Frauen sonst weitgehend verwehrt bleibt? Die Vizeministerin schaut milde. „Es ist noch zu früh dafür. Die Zeit ist noch nicht reif.“

Einen Steinwurf vom Frauenministerium entfernt liegt das Cinema Park. Scharen junger Männer warten dort auf Einlass, um einen indischen Kitschfilm zu sehen. Die Parkstraße bezieht ihren Namen aus einem staubigen, lichten Kiefernwäldchen, das sich hinter dem Cinema Park erstreckt. Die Parkstraße ist Kabuls Prachtboulevard. Hier kann man spitze Damenschuhe mit Absätzen kaufen, „Supermärkte“ bieten Lavazza in roter und schwarzer Qualität, Toblerone und dänische Markenbutter an, Computerschulen haben Reklametransparente über die Straße gehängt. An der Parkstraße liegt auch das Herat-Restaurant. Es ist das bedeutendste Gasthaus am Ort, und deshalb wird es von früh morgens bis spät in die Nacht von Frauen in hellblauen Burkas umlagert. „Bakschisch“, sagen sie und strecken die Hand aus, wenn sie einen Ausländer sehen, begleiten ihn bis zum Eingang des Restaurants und warten dort, laufen, wenn er herauskommt, hinter ihm her mit ausgestreckter Hand, „Bakschisch, Bakschisch“, bis er sich in seinen Landrover gesetzt und die Türen verrammelt hat. Sie seien Witwen, sagen sie, wenn sie angesprochen werden, sie hätten viele Kinder, aber keinen Ernährer mehr. Afghanen sind meist sehr zurückhaltend, was Auskünfte über die Bettlerinnen angeht. Der Übergang zur Prostitution ist fließend, und Prostitution ist ein Tabuthema.

Gulnur ist noch zu klein, um eine Burka zutragen. Sie ist erst zehn. Aber auch sie ist schon auf der Straße unterwegs. Hält ihre schmutzige kleine Hand auf und sagt: „Bakschisch, Mister.“ Wenn sie etwas bekommt, schaut sie sich rasch um, ob es jemand gesehen hat, dann steckt sie es weg. Wenn Jungen näher kommen, versucht sie, sich zu verflüchtigen. „Mein Vater hat keine Arbeit“, sagt Gulnur, „und meine Geschwister sind noch klein. Deshalb muss ich betteln gehen.“ Gulnur hat Glück im Unglück. Vormittags geht sie in ein Heim für Straßenkinder. Dort bekommt sie Frühstück und mittags eine Reispampe, die sie gierig mit den Händen aus der Blechschale kratzt. Sie lernt ein bisschen lesen und schreiben, nähen und sticken, und in diesem Winter bekam ihre Familie mehrfach Lebensmittelhilfen von dem Heim. Das hat mehr eingebracht, als wenn das Mädchen den ganzen Tag gebettelt hätte. Weil sich das herumspricht, stehen die Mütter an diesen Heimen Schlange, um ihre Kinder unterzubringen.

Nachmittags kehrt Gulnur auf die Straße zurück. Streckt den Passanten die Hand entgegen und sammelt nebenher Brennmaterial oder das, was sie dafür hält. Fürchtet sich vor den Jungen. Aber wenn sie mal groß ist, will sie Ärztin werden. Ganz sicher.

Die erste Frauenzeitschrift

„Meine liebe Schwester. Die vergangenen fünf Jahre der Dunkelheit, Angst, Tyrannei und Verleugnung unserer materiellen und intellektuellen Rechte haben eine große Kluft zwischen den Frauen geschaffen, weil wir uns nicht über unsere Probleme, Leiden und Sorgen austauschen konnten.“ Mit diesen Worten beginnt der Leitartikel der ersten Ausgabe von Malalai, der ersten Frauenzeitschrift, die seit dem Ende des Talibanregimes erschienen ist. Eigentlich sollte es eine richtige Frauenzeitschrift werden, so etwas wie Vogue oder Brigitte auf Afghanisch, mit Gesundheitstipps und Modeartikeln, aber es ist eine Kampfschrift geworden für die Rechte der afghanischen Frauen.

Doch auch Djamila Mudjahid, die Herausgeberin, ist vorsichtig. Besser nicht zu viel Provokation. „Die alten Organisationen, islamische oder die der Nordallianz, sind noch stark. Vor ihnen haben wir Frauen noch immer Angst.“

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