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Emma backt kleine Brötchen

Discounter verdrängen weiterhin die Läden auf dem Lande. 150 Geschäfte verschwinden auch in Hamburg pro Jahr  ■ Von Wolfgang Schmidt

Der alte Tante-Emma-Laden ist tot, aber der Handel an der Ecke lebt. Unter dem Druck der billigeren großen Verbrauchermärkte und Discounter haben auch in Norddeutschland die meisten kleinen Traditions-Läden dichtgemacht. Auf jährlich 100 bis 150 schätzte Ulf Kalkmann vom Hamburger Einzelhandelsverband den „Abgang“ in der Hansestadt, und sein schleswig-holsteinischer Kollege Dierk Böckenholt bestätigt den Trend. Während in den Städten neben den Tankstellen häufig türkische Ladeninhaber für „Tante Emma“ einspringen, wird auf dem Lande nach anderen Lösungen gesucht, um Versorgungslücken zu schließen.

Die Liste der Alternativen ist lang: Sie reicht vom Kohl- und Kartoffelverkauf auf Holztischen am Straßenrand in Dithmarschen oder Angeln über Lieferungen ins Haus bis zum Internet-Handel, einer Bank auf Rädern und staatlich geförderten Dienstleistungszentren. Beispiel Langballig: In dem 1150 Einwohner-Örtchen an der Flensburger Förde liefert Supermarkt-Inhaber Sami Senol für einen Zuschlag von 1,50 Euro in einen Umkreis von zehn Kilometern.

„Bestellt wird per Telefon, Fax oder E-Mail“, sagt Senol. Wöchentlich erledigt er so 30 bis 50 Bestellungen. Er fährt die Ware unter anderem mit einem thailändischen Taxi aus. Ab Jahresmitte kann per Internet geordert werden. Erstmals will Senol in der Hochsaison Kunden sogar abholen und samt Einkauf nach Hause oder ins Urlaubsquartier bringen. „Das muss man heute den teils nicht mobilen Touristen und den Seglern unten im Yachthafen schon bieten.“

Post weg, Bank weg und zuletzt der „Tante-Emma“-Laden: So war das in Kasseedorf, einem 1500-Seelen-Dorf zwischen Eutin und Schönwalde in Ostholstein. Hilfe brachte das Ländliche Dienstleis-tungszentrum „Kiek in“, das im Mai 2000 als erstes dieser Art in Schleswig-Holstein öffnete. Das Land steuerte 720.000 Euro aus dem Programm „Zukunft auf dem Lande“ zu den Kosten von 1,3 Millionen Euro bei.

Im „Kiek in“, untergebracht im ehemaligen Dorfladen, gibt es Lebensmittel und Zeitungen, Lottoscheine und Theaterkarten, eine Reinigungs- und Reparaturannahme, einen Kundenterminal und einen Geldautomaten. An drei PCs kann man im Internet surfen. „Natürlich haben sich die Bürger zunächst auf die Einkaufsmöglichkeiten gestürzt, aber so langsam werden auch die anderen Angebote angenommen“, sagt Bürgermeisterin Bettina Hagedorn.

Zehn solcher Dienstleistungszentren gibt es bisher als Antwort auf die im Laufe der Jahre entstandenen „Schlafdörfer“. Weitere werden folgen, und an dem Konzept wird weiter gefeilt. Bislang einmalig ist, dass in Kasseedorf die Ostholsteiner Behindertenhilfe das Zentrum betreibt und so Arbeitsplätze für Behinderte schafft. „Es hat sich kein anderer herangetraut“, sagt Geschäftsführer Horst Martin.

Gesicherte Daten über das Sterben der Läden an der Ecke liegen den Industrie- und Handelskammern für Schleswig-Holstein nicht vor. 1992 wurden letztmals alle Läden gezählt. Laut Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels sank die Zahl der Lebensmittelläden in Deutschland von 117.510 im Jahr 1970 bis 1999 auf 70.263. Zugleich legten die Verbrauchermärkte und Discounter kräftig zu und bauten auch die gesamte Verkaufsfläche von 12,7 Millionen Quadratmetern auf 24,8 Millionen aus.

„Gerade in dünn besiedelten ländlichen Bereichen werden Versorgungslücken immer mehr auftreten“, prognostiziert Bernd Horst von der IHK Lübeck trotz aller Anstrengungen. Kleine Läden unter 400 Quadratmetern hätten dort kaum Erfolgschancen. „Durch fahrende Geschäftseinheiten, den Lieferservice gerade von kleineren Lebensmittelanbietern, aber auch Nachbarschaftsläden, wo der Verkauf von Lebensmitteln mit der Annahme von Post, Reinigung, Schuhreparatur und Lotterie kombiniert wird, versucht man diesem Trend entgegenzuwirken.“

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