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Aus Angst geboren

Die Reichen und ihre Wächter: Bald werden elf Millionen Amerikaner in umzäunten Wohnsiedlungen mit bewachten Einfahrten leben. Privilegierte soziale Gruppen verabschieden sich damit aus der Gesellschaft. Hauptsache, man ist unter sich und nicht Teil der heterogenen, nivellierten Masse

von KONRAD LISCHKA

Kritiker überrascht es kaum, dass ausgerechnet Margaret und Denis Thatcher das amerikanische Konzept der geschlossenen Wohnkomplexe in Europa bekannt machten. Mitte der Achtzigerjahre kauften sie sich öffentlichkeitswirksam ein Haus in einer so genannten gated community im Süden Londons: 23 Häuser, umgeben von einer hohen Mauer, überwacht von Videokameras, zugänglich allein durch ein mit Codekarten zu bedienendes Tor.

Der liberaldemokratische Abgeordnete Simon Hughes nannte die Sicherheitsvorkehrungen damals ein Symbol „für die beiden Nationen, die diese spaltende konservative Regierung geschaffen hat“. Auch wenn die Tradition der gated communities bisweilen bis auf die befestigten Städte der Antike zurückgeführt wird, sind sie in ihrer aktuellen Form ein Phänomen der Neuen Welt. Denn erst hier wurden sie zu Enklaven homogener sozialer Gruppen, vor allem der weißen Mittel- und Oberschicht.

Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts schirmte sich vor allem die Hollywood-Elite mit Mauern von ihrer Umwelt ab, in den Sechziger- und Siebzigerjahren entstanden dann größere geschlossene Wohnkomplexe für ältere Ruheständler. Eine der ersten dieser Siedlungen, „Leisure World“ in Südkalifornien, ist vor zwei Jahren zu einer selbst verwalteten Stadt geworden. Der Markt für solche Siedlungen mit Gemeinschaftseigentum wie Parks und Pools und ganztägiger Zugangsbeschränkung boomt.

Dem Interessenverband Community Associations Institute zufolge existieren heute in den Vereinigten Staaten 230.000 auf dem Reißbrett entworfene Wohnanlagen, im Jahr 2004 sollen es 260.000 Anlagen mit insgesamt 21 Millionen Wohneinheiten sein. Diese privaten Siedlungen werden komplett von einem Unternehmen errichtet und dann Haus für Haus verkauft. Zum Teil unter sehr restriktiven Bedingungen, denen jeder Käufer zustimmen muss: Autos dürfen zum Beispiel nur in Garagen abgestellt werden.

Etwa ein Fünftel der privaten Wohnkomplexe unterliegt heute Zugangsbeschränkungen. Multipliziert man diese Zahl mit der durchschnittlichen Haushaltsgröße von 2,7 Personen, werden den Prognosen zufolge im Jahr 2004 gut elf Millionen Amerikaner in gated communities leben.

Trotz ihres Ursprungs in den Vereinigten Staaten sind gated communities längst ein globales Phänomen. Nicht nur in Großbritannien und Südafrika. Im Großraum Buenos Aires leben beispielsweise Schätzungen zufolge 20.000 Menschen in 300 geschlossenen Wohnsiedlungen. In Ägypten gibt es 200 geschlossene Siedlungen mit jeweils bis zu 2.000 Wohneinheiten, in der ehemaligen Sowjetunion sind die alten Datscha-Siedlungen der Parteibosse in ihrer Funktion abgelöst worden durch Siedlungskomplexe mit wohl klingenden Namen wie „Golden Gates“, das bei Kiew liegt. Und in Deutschland hat 1998 das Bauunternehmen Groth und Graalfs in Potsdam die geschlossene und bewachte Apartmentanlage „Arkadien“ fertig gestellt, entworfen von einem kalifornischen Büro.

Diese Entwicklung ist aus Angst geboren. In Amerika, wo der Diskurs über Suburbia und die gated communities schon einmal in den Neunzigerjahren hohe Wellen schlug, haben Autoren wie Mike Davis und vor allem Ed Blakely und Mary Snyder in „Fortress America“ das Wachstum von gated communities als einen Abschied privilegierter sozialer Gruppen aus der Gesellschaft beschrieben.

Tatsächlich ist diese Entwicklung zu beobachten: Viele der geschlossenen Siedlungen organisieren kommunale Dienstleistungen wie Müllabfuhr und Straßenbau selbst, finanzieren diese aus Gebührenzahlungen der Einwohner und erzielen letzten Endes eine gewisse Steuerbefreiung und Anerkennung als Kommune. Die Ruheständlersiedlung „Leisure World“ in Südkalifornien ist ein Beispiel für diese Entwicklung. Natürlich begründen die Einwohner ihre Entscheidung mit der Angst vor Kriminalität und Vandalismus.

Allerdings scheint das Phänomen des abgetrennten Wohnens viel älter und tiefgehender zu sein. Schon Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts begann der Exodus weißer, angelsächsischer, protestantischer Amerikaner der Mittelschicht aus den Städten. Zeitschriften wie House Beautiful oder American Homes and Gardens setzen damals der einengenden Stadt die Freiheit der ländlichen Vorstädte entgegen.

Reagiert wurde damit auf die Freiheit von Nichtweißen. 1899 schrieb Adna Ferrin Weber in ihrer voluminösen Beschreibung „The Growth of the Cities in the Nineteenth Century“, dass die neusten und für viele Amerikaner „am wenigsten wünschenswerten“ Immigranten sich in den Innenstädten ansiedelten. Die Identität der ländlichen Vorstädte wurde in einen scharfen Kontrast zum Sündenpfuhl Stadt gesetzt.

Edgar Rice Burroughs, der Autor der ersten „Tarzan“-Romane, erwarb zum Beispiel 1919 ein 21 Quadratkilometer großes Landstück im San Fernando Valley und gründete dort die rein weiße Siedlung „Tarzana“. Das dieser Siedlung zugrunde liegende Programm hatte er schon in seinen Büchern formuliert, wie die amerikanische Literaturwissenschaftlerin Catherine Jurca jüngst in einer Untersuchung über die Tradition der Vorstadt im amerikanischen Roman des zwanzigsten Jahrhunderts aufzeigt. Demnach verdreht der Autor Burroughs auf pervers erhellende Art den Kolonialismus: Schwarze Menschen zwingen die weißen allein durch ihre Existenz dazu, gewalttätig und usurpatorisch ihre Identität zu definieren.

Die von ihm in „Tarzana“ praktizierte Rassentrennung ist Burroughs zufolge nicht eine Entscheidung der Weißen, sondern eine von den Schwarzen erzwungene Reaktion. Nicht nur „Tarzana“ war eine der ersten auf Ausgrenzung beruhenden Gemeinden, viele Studien über die Dreißiger-, Vierziger- und Fünfzigerjahre belegen, wie Vermieter weiße Viertel am Stadtrand von schwarzen Vierteln in der Stadt trennen.

Heute werden die Grenzen nicht allein durch die Hautfarbe, sondern vor allem durch das Einkommen definiert. In den Vororten amerikanischer Städte sind Häuser, die 200.000 Dollar kosten, sorgsam von jenen für 350.000 Dollar getrennt. Diese Einteilung in enge Marktsegmente ist auch eine Strategie, um Massenprodukte wie gated communities und einheitlich geplante Vororte zu individualisieren. Dieses Konzept der Exklusivität und Reinheit spiegelt die eigentliche Angst, die sich auch in Rassismus und der Angst vor anderen sozialen Schichten ausdrückt, wider.

Es ist die Angst, seine Identität in einer heterogenen, nivellierten Massengesellschaft zu verlieren. Die Zugehörigkeit zu einer gated community schafft Identität. Die Bewohner drinnen unterscheiden sich von den Menschen draußen, selbst wenn dies sich auf die einstigen Symbole der Eliten wie den von Wachmännern gesicherten Toreinfahrten beschränkt.

Den gated communities steht zumindest in den Vereinigten Staaten noch eine große Zukunft bevor. Das Community Associations Institute nennt die Selbstverwaltung privater Siedlungen „the most representative and responsive form of democracy“ der Vereinigten Staaten – die direkteste Form von Demokratie also. Immer mehr Eigentümergemeinschaften, -genossenschaften und -gesellschaften streben die Anerkennung als Gemeinden an.

Der Autor Evan McKenzie zitiert in seinem Buch „Privatopia“ sogar einen Wirtschaftswissenschaftler aus dem US-Innenministerium, der es bereits Ende der Achtzigerjahre für möglich hielt, dass Eigentümergesellschaften die öffentlichen Gemeinden als Organisationsform ersetzen werden.

Dagegen spricht einiges. Ganz gleich, ob die Selbstverwaltung als Aktiengesellschaft, Genossenschaft oder Eigentümergesellschaft funktioniert – eine institutionalisierte Opposition, die bei jeder Sachentscheidung Alternativen formuliert, existiert nicht. Die gated community kann so bald für einige zu einem Gefängnis werden. Evan McKenzie beschreibt das Entscheidungsprinzip in solchen Gemeinschaften zynisch mit „one Dollar, one vote“ – ein Dollar, eine Stimme, denn das Stimmrecht bemisst sich oft nach dem Wert des Immobilienbesitzes, Mieter haben meist gar nichts zu sagen. Wie erklärt der Vater so schön seinem Sohn in Richard Fords Roman „Independence Day“ das Wesen Amerikas: Schon die Kolonien gaben ihre Unabhängigkeit auf, um als Vereinigte Staaten Freiheit zu erfahren.

In Umfragen geben fünfzig Prozent der Amerikaner an, in einer abgegrenzten, privat bewachten Sieldung leben zu wollen. Den Statistiken zufolge werden sie das vielleicht auch bald tun. Vielleicht werden die Bewohner der gated communities dann voller Selbstmitleid klagen, dass die Wachen an den Toren sie an Gefängniswärter erinnern. Aber es ist ein selbst gewähltes Gefängnis, in dem jeder seine ganz private Zelle hat.

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