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In die Welt geworfen

Das Leben ist kurz, die digitale Kunst währt lang: Microsoft propagiert ein bewussteres Dasein mit Videospielen

Ab heute kann man in Deutschland die Xbox kaufen, einen kleinen schwarzen Kasten, den man mit dem Fernseher verkabelt, um dann mit Videospielen loszulegen. An sich ist das kein großes Ding. Ein Spielzeug mehr. Das Prinzip funktioniert ähnlich wie bei der längst eingeführten Playstation von Sony. Man muss eben auch auf dem Videospielmarkt vermehrt Zeit in die Arbeit des Auswählens aus Alternativen investieren. Aber: Haben Sie diesen Werbespot gesehen! Der hat es wirklich in sich.

Er beginnt mit einer Geburt. Schreien. Pressen. Dann wird aus dem Leib der Frau ein Baby mit solcher Gewalt ins Leben geschossen, dass es quer durch den Raum fliegt. Und über den Raum hinaus. Den ganzen weiteren Spot über sehen wir diesen in die Welt geworfenen Menschen wie eine Kanonenkugel durch die Lüfte fliegen. Landschaften ziehen nur erahnbar unter ihm vorüber. Der Mensch wird älter, wird zum Kind, zum Mann, zum Greis. Ein Leben rast vorbei. Das Ganze hat etwas Bedrängtes, Unfreies. Dann ein Schnitt. Wir sehen ein Grab. Und da kommt auch schon der Mensch herangeflogen und schießt hinein. Dann die Botschaft: Das Leben ist kurz – Xbox. Dies alles vollzieht sich in der ganz normalen Fernsehspotlänge.

Die Xbox ist ein Produkt des Chefs im Ring der digitalen Welt, von Microsoft. Natürlich spielt der Konzern auch in diesem Fall sein sattsam bekanntes Spiel der Eingemeindung ehemals dissidenter Zeichen; so prangt quer über dem schwarzen Kasten ein martialisch erscheinendes X – Malcolm X und alle anderen widerständigen Seelen are calling. Aber das gehört längst zum Folklorestandard der Freizeitindustrie. Neu allerdings ist die Rasanz, wie sie eine Großerzählung der Kulturkritik in die Feier einer Medieninnovation integriert: die Erzählung über die Sorge, sein eigenes Leben zu verpassen.

Natürlich ist der Spot auch Fun. Er ist vor allem auch toll gemacht; Videoclip-Ästhetik at its best. Wirklich atemberaubend aber die Idee, das Vita-brevis-Thema ausgerechnet zur Bewerbung eines Videospiels zu verwenden. Fasse den Tag. Du sollst dein Leben ändern. All das steckt in diesem Spot. Und die Verheißung heißt: Sorge dich nicht, mag dein Leben auch kurz sein, die digitale Kunst währt lang. Im Spielen bist du frei.

Kulturkonservative Kritiker mögen sich jetzt darüber beklagen, dass hier wieder einmal die schöne Kunst fürs schnöde Geldverdienen ausgebeutet wird. Aber selbst dann bliebe festzuhalten, dass die Industrie offenbar ihre Marketingstrategien diversifiziert. Die Zeiten, da nur Fun propagiert wurde, sind vorbei. Stattdessen setzt man auch auf die substanziellere Mahnung: Nutze dein kurzes Leben gut. Vielleicht haben die Jungs in Seattle da ja was verstanden.

Der US-amerikanische Schriftsteller Richard Powers, der sich sehr für die digitale Welt interessiert, schreibt in einem Essay: „Die Technologien und Techniken, deren wir uns bedienen, sind die geronnenen Projektionen unserer Hoffnungen und Ängste. Genau wie unsere Künste sind sie die Erinnerungsbilder unserer Weigerung, an einem Ort zu leben, der uns so übel traktiert, wie dieser Ort hier es tut.“ Der Fernsehspot von Microsoft sieht wie eine perfekte ästhetische Umsetzung dieses Gedankens aus. Die Angst, dass das Leben an einem vorbeirast und einem nur geschieht, die Hoffnung, sich aus diesem Ort hier via Mediennutzung herauskatapultieren zu können, das sind die Hintergründe, die er beim Schauen abruft. Und siehe: An der Xbox ist keine Stelle, die uns nicht sieht.

Richard Powers sagt, dass die künstlerische Bearbeitung von Datenstrukturen „die höchste Kunstform der Zukunft“ ist. Nichts Geringeres als diesen Anspruch formuliert auch dieser Fernsehspot. DIRK KNIPPHALS

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