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bist eulen?

■ Als Kneipen noch etwas Anrüchiges waren: Der Ausgeher (12) auf Zeitreise

Kein Wind, der einzelne Blätter durch Häuserschluchten fegt. Kein vereinzelter Mensch, der salbadernd durch die äußere Stadt flaniert. Das wär doch allzu literarisch. Vielleicht ist es auch nur zu früh am Abend. Wer weiß das schon. Ich öffne eine schwere, zugleich recht unscheinbare Metalltür. Von der Nebenstraße einer Nebenstraße gehts direkt auf einen Treppenabsatz. Ein getragenes Gitarrensolo klingt herauf. Der Türsteher sitzt hinter einem Holzverschlag mit fensterartiger Aussparung und nestelt an einem Stück Papier. Er beantwortet meine Frage nach dem zu entrichtenden Eintrittsgeld mit einem Kopfnicken Richtung Keller. Ohne aufzusehen.

Das Konzert liegt in den letzten Akkorden. Bald werden die meisten Gäste gegangen sein. Der legendäre Sound der Hammond B 3 stand für den heutigen Abend auf dem Programm. Kaum minder legendär der Name des Etablissements: Lila Eule. Mehrmals habe ich die Augen leuchten sehen von Leuten, die schon lange hier leben. Beatclub ohne Fernsehen, denke ich dann. Ich selbst kenne die Lila Eule nur vom Hörensagen. Und wahrlich, ich sage Euch, diesem Kellergewölbe eilt ein Ruf voraus, der sich gewaschen hat.

„Früher war mehr Keller“, erzählt ein älterer Herr an der Bar munter drauf los. Ich bestelle ein Bier. Es muss eine Zeit gegeben haben, da die „Lila Eule“ noch nicht ihr damals zukünftiges und jetzt wieder aktuelles Domizil bezogen hatte. Von einem Haus im Zentrum sei nur der Keller übrig gewesen. „Das dürfte der Unternehmung Keller-Kneipe nicht eben abträglich gewesen sein“, will ich ergänzen, doch dann fällt mein Blick auf einen versonnenen Kerl. Er mag vielleicht Mitte dreißig sein und sitzt auf der gegenüberliegenden Seite der um das Servicepersonal herum gebauten Bar.

Während im Hintergrund gebremster Funk zu hören und mein Nachbar mittlerweile bei Besuchen Rudi Dutschkes angelangt ist, bekomme ich nicht übel Lust, diesem Kerl ein Bier auszugeben. Keine Ahnung, warum. Weder mein Geldbeutel, noch mein Naturell lassen darauf schließen, dass ich mich ohne Zwang zu Derartigem hinreißen ließe.

Gleichwohl, ich bestelle, und kurze Zeit später sitzen wir auf einer Empore. Ob er oft hierherkomme, frage ich. Er verneint. Schweigend betrachten wir die alte Zeiten evozierenden Wandbemalungen. Sonny Rollins und Chuck Berry werden gegen das Zwischenspiel des Raums als Technoschuppen in Anschlag gebracht. An einer Wand sitzt ein Mann mit wuscheligen Haaren – und denkt. Daneben steht: „Unruhe! Erste Bürgerpflicht, sonst lebt unser Bremen nicht!“ Ich sehe den Mann an. Er zuckt mit den Schultern. Wir schweigen.

Ganz entgegen der auch auf den Getränkekarten anempfohlenen „Unruhe!“ scheint dieser Laden wie geschaffen für Schweigsamkeit jeglicher Couleur. „Stimmt!“, höre ich meinen Mittrinker sagen. „Ich geh oft aus in letzter Zeit, mal hierhin, mal dorthin.“ Während er zum Bierholen humpelt, fällt mir auf, dass ich dies nur gedacht habe, und nicht einmal laut. „Denk dir nichts dabei“, sagt er, als er zurück ist, „das geht vielen so am Anfang. Früher, da waren wir gut im Geschäft. Zu Gast in Studierstuben und an Adelshöfen auf der ganzen Welt. Aber heute... Postmoderne, Ende der Geschichte... Wir konzentrieren uns jetzt mehr auf die Basisarbeit. Meine Kusine zum Beispiel ist in Argentinien am Werk. Nicht immer ein Spaß, kann ich dir sagen. Oder mein Bruder: Berlin Mitte. Immerhin gelten die alten Klamotten dort als schick.“

Das ist zuviel! Wer um Himmels Willen ist das? Mal überlegen. Wieder nur ein durchgeknallter aber harmloser Irrer? Als ich den Kopf wieder aus den Händen nehme und meine Brille aufsetze, liegt vor mir auf dem Tisch ein Reclambändchen Hegel. „Für einen schönen Abend“ vorn draufgekritzelt. Sollte es tatsächlich? Als ich aufschaue, sehe ich, wie er sich kurz vor der Tür noch einmal umdreht. Er nickt. Hammond B3, eine Kneipe in die das Flair der Zeit, als Kneipen noch etwas Anrüchiges waren, geblasen wird, wie Nebel aus der Trockeneismaschine – und dann er. Irgendwie passt es doch.

Die „Lila Eule“ in der Bernhardstraße 10 hat täglich geöffnet. Den Konzerten montags bis mittwochs folgen jeweils drei Tanznächte. Jeden 2. und 4. Sonntag sind „Kultur- und Politikdikussionen“. Die Preise liegen bei2,30 Euro für das Bier und 6,15 Euro für Cocktails.

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