: Raider heißt jetzt PDS
aus Berlin JENS KÖNIG
Mal angenommen, die SED wäre ein Schokoriegel gewesen. Sie hätte sich 1989 einfach einen neuen Namen gegeben und fertig. Raider heißt jetzt Twix, hätten die alten Genossen gesagt, und SED heißt jetzt PDS. Alter Inhalt, alte Verpackung, aber ein neues Produkt.
Ganz so einfach war es bekanntlich nicht. Die SED war kein leichtes süßes Ding, sondern ein schwerer Brocken, hart wie Beton. Aus dem konnte man nicht so ohne weiteres etwas Neues machen, auch ein anderer Name half da nicht viel. Die SED hieß jetzt zwar PDS, aber die alten Genossen waren noch da und in ihren Köpfen das alte Zeug aus 40 langen Jahren.
Also suchte sich die PDS eine Werbeagentur. Die ließ sich etwas einfallen und machte aus der Partei ein Produkt wie aus dem Supermarkt. „Cool“ und „Geil“ stand plötzlich auf den Plakaten der PDS. Sich für die Nachfolger der SED zu entscheiden, wurde zu einem Akt von fröhlichem Widerstand stilisiert. „Trau dich – es sieht ja keiner“, hieß es an hunderten von Litfaßsäulen. Zur Bundestagswahl 1998 drehten die Werbeprofis für die Genossen sogar einen aufwendigen Kinospot, mit einem eigens komponierten Rocksong dazu. Der Spot war so schnell geschnitten wie ein Videoclip der Red Hot Chili Peppers und sah aus wie die Fortsetzung von „Lola rennt“.
Nun ging der Wunsch, aus dem schweren Brocken doch noch einen himmlisch leichten Schokoriegel zu machen, natürlich nicht in Erfüllung. Selbst Werbung kann nicht alles nehmen und es wahr machen, auch wenn es eine Lüge ist. Aber die alten Genossen wurden bei den Wahlen in den vergangenen Jahren wenigstens nicht mehr links liegen gelassen. Sie waren plötzlich angesagt. Die Rentner-Combo galt auf einmal als hipper Verein. Daran konnte auch die Tatsache nichts ändern, dass 90 Prozent der PDS-Mitglieder „hip“ vermutlich für eine ungarische Limonadensorte halten. PDS zu wählen hieß gerade bei jungen Leuten, Spaß zu haben, trendy zu sein, die Mächtigen ärgern zu können.
Das hat die PDS der Berliner Werbeagentur Trialon zu verdanken, die jetzt seit fast zehn Jahren für die Partei arbeitet. Das Ergebnis ihrer Arbeit zusammenzufassen, kostet Reiner Strutz, den Geschäftsführer von Trialon, ein Lächeln und einen einzigen Satz: „Die PDS wirkt heute jünger, dynamischer und frecher als sie wirklich ist“, sagt Strutz. Ihn als Werbeprofi plagt bei solchen Worten kein schlechtes Gewissen. „Für uns ist die PDS ein Markenartikel“, sagt er, „so wie ein Waschmittel, das verkauft werden muss.“ Dem Markenartikel PDS sieht man auf den ersten Blick nicht an, dass fast 70 Prozent der Parteimitglieder über 60 Jahre alt sind und nur drei Prozent unter 30.
Wenn man Strutz in seiner Agentur in Pankow besucht, glaubt man zunächst, irgendwo im schicken Charlottenburg zu sein. Trialon sitzt in einer Villa, die Kreuzberger Architekten nach der Wende zu einem modernen Bürogebäude umgebaut haben. Die Räume sind groß, hell und vollgestellt mit modernen Designer-Büromöbeln.
Strutz ist ein hochgewachsener Mann. Er hat graue Haare, einen grauen Bart und trägt über seinem schwarzen Rollkragenpullover einen dunkelgrauen Anzug. Hallo, schreit das Outfit, ich bin ein cooler, lässiger Werbeprofi. Wenn Strutz von seiner Arbeit erzählt, fliegen lauter coole, lässige Werbeprofi-Wörter durch die Luft: Pitch und Claim, Corporate Identity und Rapid Response. „Ich mache hier keine Politik“, sagt er. „Ich bin für die Kommunikation zuständig.“
Aber je länger Strutz redet, desto mehr schweift er ab. Von Kommunikation ist immer weniger die Rede, von Politik immer mehr. Und wenn Strutz über die PDS spricht, tut er das mit einer Spur zu viel Leidenschaft. „Die PDS hat nur eine Chance, wenn sie zeigt, dass sie noch Visionen hat“, sagt er und rudert mit seinen Armen. In diesem Moment verliert Strutz die Lässigkeit des Werbeprofis. Er erzählt, wie sehr er von der rot-grünen Regierung enttäuscht ist und dass auch die heutige Gesellschaft an „ihren Gebrechen“ leidet. Man merkt, es geht Strutz ums Ganze. „Wahlen werden nicht durch die Verpackung, sondern durch den Inhalt entschieden“, sagte der Mann, der für die Verpackung zuständig ist. Wenn Strutz jetzt könnte, würde er der PDS ein neues Parteiprogramm schreiben.
Strutz erzählt, dass man ein PDS-Plakat auf 100 Meter Entfernung erkennen könne. Dieser Effekt entstehe durch die Prägnanz der Werbung: klare Typografie, rotes Logo, Fotos in schwarz-weiß und viel Weißraum. „Die schwarz-weißen Fotos sollen die PDS als authentische Partei darstellen“, sagt Strutz. „Diese Schlichtheit ist gewollt. Sie symbolisiert unseren Willen, uns mit der eigenen Vergangenheit auseinander zu setzen. Wir wollen damit zeigen, dass wir aus unserer Geschichte gelernt haben.“ Strutz ist schon beim „wir“ gelandet. Jetzt ist er die Partei selbst. Nur hip ist hier nichts mehr. Unwillkürlich fällt einem wieder sein Satz von vorhin ein. Die PDS wirke jünger als sie in Wirklichkeit sei, hatte Strutz gesagt. Plötzlich wird einem klar, dass das auch für die PDS-Kampagnen gilt. Sie sind jünger, dynamischer und frecher als ihre Macher. Vielleicht liegt darin ja das spezielle Geheimnis von Trialon. Strutz und seine fünf fest angestellten Mitarbeiter, allesamt aus dem Osten, kennen die alten Genossen. Sie wissen genau, was die PDS der Öffentlichkeit vorgaukeln muss. Den Rest erledigen junge freie Grafiker und Texter, die für die Agentur arbeiten.
Strutz war selbst Genosse. Er arbeitete als Diplomat in der DDR- Botschaft in Paris. Nach der Wende war er fast zwei Jahre ohne Job. Dann wieder eine erste Arbeit in einem westdeutschen Umweltverlag. Schließlich der Einstieg in eine Werbeagentur in Leipzig. Das Handwerk eignet er sich nebenbei selbst an. Seit Mitte 1995 ist der 49-Jährige bei Trialon. Seine Agentur ist mit der PDS enger verbunden, als selbst manchem in der Parteizentrale lieb ist. Trialon ist mehr als ein normaler Geschäftspartner, heißt es dort. Strutz diskutiert mit der Wahlkampfzentrale schon mal das PDS-Programm hoch und runter. Er hat offenbar Spaß daran. Er ist immer noch Genosse. „Durch unsere Werbung hat sich die Partei verändert“, behauptet Strutz.
Man kann das natürlich wieder für eine typische Übertreibung eines Werbeprofis halten. Als ob es jemals gelungen wäre, durch ein paar Plakate eine Partei jünger zu machen als sie wirklich ist. Aber manchmal weiß man ja selbst schon nicht mehr so genau, ob ein Image eine schon in Gang gesetzte Entwicklung in der Politik nur aufgreift und verstärkt, oder ob das Image diese Entwicklung nicht tatsächlich auch auslösen kann.
Wer Letzteres glaubt, der könnte Sandra Brunner glatt für eine Erfindung von Reiner Strutz halten. Sie ist so, wie Strutz die PDS am Computerbildschirm entwirft: jung, offen, sympathisch. 26 Jahre alt.
Sandra Brunner hat kurze schwarze Haare, die immer ordentlich gekämmt sind. Auf ihrer Nase tanzt eine kleine, runde Brille. Sie trägt einen grauen Anzug und einen schwarzen Pullover. Sie sitzt in einem Café im Prenzlauer Berg und trinkt Cola. Am Abend zuvor hat sie das Pokal-Halbfinale gesehen, Bayern gegen Schalke. „Für Bayern kann man einfach nicht sein“, sagt sie und lacht. Sandra erzählt, dass sie sonst ganz gern den Pizza-Service kommen lässt und sich einen schönen Abend macht. Und Musik mag sie. Dark Wave, Free-Jazz, Brit-Pop. „Kennen Sie Sonic Youth?“, fragt sie. In diesem Moment würde es einem nicht einfallen, Sandra Brunner für keine stinknormale junge Frau zu halten. Zwei Tage zuvor konnten einem da schon ein paar Zweifel kommen. Sandra Brunner hockte in einer tristen Bibliothek in Prenzlauer Berg und referierte vor zwanzig älteren Genossen der Basisgruppe im Kiez die Schwerpunkte des PDS-Wahlprogramms. Ihr Anzug war diesmal braun. Sie spulte 200 Sätze runter, von denen es jeder einzelne ganz locker ins Lexikon „Politikersprüche zum Einschlafen“ schaffen würde. Genscher hätte diesen Abend seiner wahre Freude an der jungen Frau gehabt. Fehlte bloß noch der gelbe Pullunder.
Sandra Brunner wirkt für ihr Alter manchmal etwas altklug. Wenn sie zum Beispiel von einem Besuch bei den durchgeknallten Typen der Hamburger PDS erzählt und wie erschrocken sie über das aggressive Klima dort gewesen sei, dann beendet sie ihren Vortrag mit einem Satz, der von der späten Rosa Luxemburg stammen könnte. „Und ich dachte, ich habe in meinem politischen Leben schon viel erlebt“, sagt sie.
Sandra Brunner meint das ernst. Vielleicht liegt das ja daran, dass sie mit ihren 26 Jahren tatsächlich schon einiges hinter sich hat. In der Wendezeit 1989 – damals war sie 13 Jahre alt – beginnt sie sich für Politik zu interessieren. Später regt sie sich auf, als der Rektor ihres Gymnasiums die Schülerzeitung wegen eines kritischen Artikels über den Golfkrieg zensiert. Sie wird Klassensprecherin, Schulsprecherin, Landesschülervertreterin. Sie hat in dieser Funktion Kontakt zu allen Parteien. Die PDS gefällt ihr, weil sie sich mit ihren Fragen ernst genommen fühlt. Sie tritt mit 18 in die AG Junge GenossInnen der PDS ein, studiert Jura an der Uni in Potsdam, wird dort Asta-Vorsitzende, organisiert Streiks an der Hochschule, geht nebenbei in einer Kneipe in Prenzlauer Berg jobben, wird 1999 auch noch Chefin des PDS-nahen Jugendverbandes „solid“.
Und plötzlich ist sie der jüngste Shooting Star der PDS. Sie soll bei der Bundestagswahl für die Genossen den prestigeträchtigen Berliner Wahlkreis Prenzlauer Berg/Pankow/Weißensee gewinnen. Gegen Wolfgang Thierse (SPD), Werner Schulz (Grüne) und Günther Nooke (CDU). Eine junge Frau, die im Prenzlauer Berg aufgewachsen ist, soll es den alten, etablierten Säcken zeigen – darin besteht der ganze Clou, den sich die Parteistrategen im Karl-Liebknecht-Haus ausgedacht haben. Er ist aus dem Lehrbuch für gute Werbung geklaut. Er ist provokativ, unerwartet und überraschend. 1994 gewann hier Stefan Heym für die PDS, 1998 Petra Pau. Sandra Brunner soll die Erfolge einfach wiederholen.
Nichts leichter als das. „Ich gehe davon aus, dass ich gewinne“, sagt Sandra Brunner und verschränkt die Hände hinter ihrem Kopf, damit der Satz noch ein bisschen lässiger rüberkommt. „Die drei Herren kochen auch nur mit Wasser.“ Die junge Frau spielt die Rolle, die ihr zugedacht ist, schon ganz gut. Mit ihrem zur Schau gestellten Selbstbewusstsein lässt sich vielleicht auch ihre Angst, die sie natürlich hat, aber nicht zeigt, am besten verstecken.
Sandra Brunner ist ein Arbeitstier. Ihre Freunde beschreiben sie als klug und extrem fleißig. „Ich habe nun mal eine Macke“, erzählt sie. „Ich muss mich immer engagieren.“
In der PDS-Führung halten sie große Stücke auf sie. „Die kann bei uns mal alles werden“, sagt Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch. Sandra Brunner versucht locker zu bleiben, obwohl sie weiß, dass es eine Lebensentscheidung ist, mit 26 Jahren ganz in die Politik zu gehen. „Das ist ganz schön verrückt, oder?“, sagt sie und lacht.
Die PDS jetzt auch noch ein bisschen irre? Das könnte was für Reiner Strutz sein.
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