: Kinder und Schlaganfall
■ Eine Bremer Forscherin erarbeitet Therapie-Konzepte, die Kindern nach einem Schlaganfall helfen sollen / Im März beginnt an der Uni ein Praxistest mit 50 Kindern
Mit einem Mal ist alles anders: Laufen wird zum Humpeln, gewohnte Handgriffe zu Kunstgriffen und Sprechen zur Tortur. Jedes Jahr verändert der Schlaganfall das Leben von 200.000 Menschen in Deutschland, vielen von ihnen nimmt er es ganz: Der Schlaganfall gilt nach dem Herzinfarkt und Krebs als dritthäufigste Todesursache. Ein Schicksal, das nicht nur ältere Menschen heimsucht. Jedes Jahr sind auch 500 bis 1.000 Kinder von einem Schlaganfall betroffen.
Die Folgen eines solchen Schlaganfalls bei Kindern hat die derzeit promovierende Psychologin Monika Daseking in ihrer Diplomarbeit untersucht. Dabei widmete sich die Bremerin vornehmlich den neuropsychologischen Auswirkungen. Im Klartext: Sie erforschte, welche Folgen ein Schlaganfall auf die Sprache, das räumliche Vorstellungsvermögen, das Gedächtnis, die Konzentration und das Lernverhalten der Kleinen hat. Ihre Theorien hierzu sind in der noch sehr unerfahrenen Kinder-Schlaganfallmedizin neu.
Die Folgen eines Schlaganfalls bei Kindern unterscheiden sich wesentlich von denen eines Schlaganfalls bei Erwachsenen. Die Besonderheit bei Kindern: Die Hirnreifung ist noch nicht abgeschlossen. Viele Funktionen, die bei Erwachsenen vollständig ausgeprägt sind, bilden sich bei Kindern erst noch aus. Deswegen vermutet Daseking, dass viele Störungen, die unmittelbar nach dem Schlaganfall nicht da sind, erst später, manchmal erst nach Jahren auftreten – eine tickende Zeitbombe also.
Daseking macht noch eine andere Besonderheit deutlich: „Kinder haben die Fähigkeit, relativ viel wegzustecken“, sagt sie. Bei sehr kleinen Kindern sei es gar möglich, dass sich eine gestörte Funktion in einem anderen Teil des Gehirnes, der praktisch noch unbelegt ist, ausprägt. Das Kind wird deswegen aber nicht frei von Defiziten bleiben. Für die Funktion, die sich ursprünglich in diesem Bereich ausgeprägt hätte, ist kein Platz mehr; sie kann sich nicht entwickeln. Sollten sich diese Erkenntnisse in der Wissenschaft durchsetzen, könnte man eine speziell für Kinder angelegte Schlaganfall-Therapie entwickeln, die es bisher nicht gibt.
Ist die Diagnose Schlaganfall für die betroffenen Kinder und deren Eltern schon ein großer Schock – bringt die angesetzte stationäre Therapie zusätzliche Belastungen mit sich. Während dieser Therapie, die sich meistens über mehrere Monate erstreckt, ist das Kind häufig von seinen Eltern getrennt. Nicht in jeder Stadt gibt es entsprechende Reha-Zentren. Aber auch wenn die Therapie schließlich abgeschlossen ist, werden die Probleme nicht weniger. Die Kinder müssen sich an ein komplett neues Leben gewöhnen: Rechtshänder, deren rechte Hand jetzt gelähmt ist, müssen sich umstellen. Zusätzlich leiden die Kinder unter den Reaktionen ihrer Freunde und Klassenkameraden auf die Behinderungen oder Verhaltensstörungen, die vorher nicht da waren.
Monika Daseking möchte diese Folgen durch neue Ansätze in der Therapie verringern. Ein Ansatz wäre, die Therapie nicht schon nach wenigen Monaten nach dem Schlaganfall abzubrechen. Die Kindern müssten langjährig begleitet werden, um eben auch solche Störungen mit einzubeziehen, die erst später, mit zunehmender Hirnreifung auftreten. Diese Form der Therapie schließt aber eine durchgängige Behandlung aus. Sie würde in Intervallen mit langen Pausen dazwischen angesetzt werden, um auch der so genannten „Therapiemüdigkeit“ vorzubeugen. Es wäre eine Therapie, die an den Schwierigkeiten ansetzt, die zur jeweiligen Zeit relevant für den Alltag sind.
Kritische Phasen, die man in der Therapie berücksichtigen müsste, sind nach ihrer Ansicht die Einschulung und der Schulformwechsel. Hier sind Kinder schlagartig mit erhöhten Anforderungen konfrontiert, und es treten gerade dann bei Schlaganfall-Kindern Schwierigkeiten auf, die vorher noch nicht absehbar waren. Daseking: „Vieles, was vorher durchgegangen ist, fällt plötzlich auf.“ Genau an diesen Schwierigkeiten könne man dann effektiv arbeiten. Doch das erfordere, dass man die Stärken und Schwächen eines Kindes kenne.
Wenn Kinder nach einem Schlaganfall zu Monika Daseking in die neuropsychologische Abteilung für Kinder und Jugendliche kommen, müssen sie sich zuerst zwei dreistündigen Tests unterziehen: Mit Computerprogrammen, aber auch mit Sprache, Puzzles oder ganz traditionell mit Papier und Bleistift testet die Psychologin Merkfähigkeit, Reaktionsvermögen, Aufmerksamkeit und auch die Intelligenz der Kinder. Aus diesen Tests ergibt sich dann ein Profil, an dem sie die Stärken und Schwächen des Einzelnen ablesen kann. Dieses Profil ist die Basis für zwei mögliche Therapiestrategien: Die erste Strategie konzentriert sich ausschließlich auf die Schwächen der Kinder. Diese müssen sie so lange trainieren, bis sie sich verbessert haben. Das ist ein häufig sehr langer Prozess, der frustrierend für die Kinder ist, wenn Erfolge auf sich warten lassen. Die andere Strategie heißt Kompensationsstrategie und arbeitet mit den Stärken der Kinder. Man versucht, mit Hilfe der Stärken die Schwächen aufzuarbeiten. So kann man beispielsweise bei Kindern, die sehr sprachgewandt sind, versuchen, eine gestörte Funktion verbal aufzuarbeiten.
Ob eine solche Therapie sinnvoll ist, wird sich erst in einigen Monaten herausstellen. Im März startet Monika Daseking ein Projekt an der Universität Bremen, um ihre Theorien in der Praxis zu prüfen. 30 bis 50 Schlaganfall-Kinder aus ganz Deutschland werden mit ihren Eltern nach Bremen reisen und gemeinsam mit Monika Daseking auf ein großes Ziel hinarbeiten: „Wir müssen die Versorgung dieser Kinder verbessern.“ Michél Dalaserra
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