: Der brutalstmögliche Sparer
Kurz vor der Haushaltsklausur zeigt Finanzsenator Sarrazin (SPD) noch einmal, wo der Hammer hängt: Er fordert freiwilligen Lohnverzicht, Sozialhilfekürzungen und Studiengebühren. Kritik von allen Seiten und sogar aus der eigenen Fraktion
von PHILIPP GESSLER
Kurz vor der heute beginnenden Haushaltsklausur des Senats an diesem Wochenende hat sich Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) noch einmal fast alle politisch wichtigen Gruppen der Stadt zum Feind gemacht. Entgegen der Koalitionsvereinbarung von SPD und PDS soll nun doch keine Verwaltung von den im Senatsgästehaus zu beschließenden Kürzungen ausgespart werden. Auch bei der Bildung, der Kultur und Wissenschaft fordert Sarrazin Einschnitte. Ein Aufschrei der Empörung von den Gewerkschaften über die Theater, Schulen und Universitäten bis zu den Parteien im Abgeordnetenhaus ist die Reaktion – selbst der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Christian Gaebler, nannte das Vorgehen des Senators „falsch“, dessen Vorschläge „einfallslos“.
Darum geht es: Der Landeshaushalt hat einen Schuldenstand von 40 Milliarden Euro. Bis 2006 soll er auf 58 Milliarden Euro steigen. Trotz der schon jetzt beschlossenen Kürzungen sieht der Senat in diesem Jahr weitere Kredite in Höhe von 6,3 Milliarden Euro vor, im kommenden Jahr sollen es 3,6 Milliarden Euro sein. Allein für Zinszahlungen werden dieses Jahr rund 2,3 Milliarden Euro verpulvert, 2003 sind es sogar 2,5 Milliarden Euro.
Angesichts dieser Lage sollen bis zum kommenden Jahr die Sachausgaben um rund 700 Millionen Euro, die Investitionen sogar um 1,65 Milliarden Euro gekürzt werden. Vor allem aber fordert Sarrazin eine 10-prozentige Kürzung bei den Gehältern der 140.000 Beschäftigten im gesamten öffentlichen Dienst. Dies entspreche einer Summe von 500 Millionen Euro, die bei den Verhandlungen mit den Gewerkschaften über einen Solidarpakt zusammenkommen müsse. Laut einem Eckwertebeschluss des Senats steht schon vor der Klausur fest, dass 15.000 Stellen im öffentlichen Dienst gestrichen werden sollen. Sarrazin hält nach eigenen Angaben insgesamt 70.000 Stellen für streichwürdig. Die Personalausgaben verschlingen schon jetzt fast alle Steuereinnahmen der Stadt.
Schon hat die hiesige Ver.di-Chefin Susanne Stumpenhusen die Verhandlungen mit dem Land in Frage gestellt. Verwundert zeigte sie sich über die Überlegung des Senators, im Fall eines Scheiterns der Verhandlungen mit den Gewerkschaften über eine Bundesratsinitiative die Besoldungsrichtlinien für Landesbedienstete vom Bund in die Landeszuständigkeit zurückzuholen: Wenn der Senator glaube, „von Berlin aus sei der Flächentarifvertrag aufzudröseln, frage ich mich, warum ich mit den Herren überhaupt noch Gespräche führen soll“, sagte die Gewerkschaftschefin. Der Vizechef des GEW-Landesverbandes, Dieter Haase, lehnte die Vorschläge Sarrazins kategorisch ab: „Mit vollständig demotivierten Beamten lässt sich die Karre Berlin nicht aus dem Dreck ziehen.“ Von einem „finanzpolitischen Amoklauf“ sprach der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Eberhard Schönberg. Er kündigte erbitterten Widerstand gegen den rot-roten Senat an.
Gegenwind erfährt der Senator angesichts seiner Ideen über Kürzungen bei der Sozialhilfe von seiner Kollegin im Sozialressort, Heidi Knake-Werner (PDS). Deren Sprecherin sagte der taz: „Das lässt sich so einfach nicht kürzen. Die meisten Ausgaben in der Sozialhilfe sind durch Bundesgesetze festgelegt.“ Die Überlegungen des Senators, die bis 2005 gültigen Hochschulverträge zur Disposition zu stellen, griff der Präsident der Humboldt-Universität an: Peter Gaethgens erklärte dieser Zeitung: Wenn der Senat dies tatsächlich machen wolle, gebe es „gewaltigen Krach“. Dann müssten die Universitäten der Stadt rechtliche Schritte erwägen. Auch technisch sei das angesichts der bestehenden Verträge mit den Mitarbeitern „nicht zu realisieren“.
In Sarrazins eigener Fraktion sind seine Vorschläge auf scharfe Kritik gestoßen: „Mit der SPD-Fraktion ist gar nichts abgestimmt“, sagte Gaebler. Es gebe unter seinen Abgeordneten „erheblichen Unmut“.
Von „radikalen Panikentscheidungen“ sprach der CDU-Landeschef in spe, Christoph Stölzl: „Das ist ein Zeichen des Scheiterns.“ Der Vorschlag zur Gehaltskürzung sei gar nicht umsetzbar, da er gegen geltendes Tarifrecht verstoße. Auch PDS-Fraktionschef Harald Wolf bezeichnete den Vorstoß Sarrazins als wenig hilfreich. Er komme zudem vor den Verhandlungen mit den Gewerkschaften zur Unzeit. Die Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen, Sibyll Klotz, sagte, mit immer neuen Drohungen lasse sich der geplante Solidarpakt nicht realisieren. Selbst der Landessportbund warnte gestern vor den Kürzungen, die mittelfristig „zum Tod der Jugendarbeit in den Vereinen führen“ würden. Neben Senatorin Knake-Werner verkündeten auch die Senatoren für Bildung, Klaus Böger (SPD), und Justiz, Karin Schubert (SPD): In ihren Ressorts gebe es nichts mehr zu sparen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen