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elf kleine iren

von RALF SOTSCHECK

In welchem Land kann man das Büro des Premierministers besetzen und ungestraft davonkommen? In Irland geht das ohne weiteres. Es geschah vor fast genau zwei Jahren. Damals erlangten elf Leute aus antirassistischen Organisationen listig Zugang zur Amtsstube von Bertie Ahern im Norddubliner Stadtteil Drumcondra und besetzten die Räume, um gegen die restriktive Asylpolitik der Regierung zu protestieren. Aherns Sekretärin Sandra Bullock, die mit der gleichnamigen Hollywood-Schauspielerin weder verwandt noch verschwägert und schon gar nicht identisch ist, drückte den Panikknopf, weil sie glaubte, es handle sich mal wieder um militante Abtreibungsgegner. Im Nu waren 31 Polizisten zur Stelle und führten die Drumcondra-Eleven ab. Sie wurden behandelt wie Schwerverbrecher, die Frauen mussten sich auf dem Revier nackt ausziehen. Glaubten die Beamten, dass sie unter der Kleidung eine Asylbewerberfamilie versteckt hielten?

Zum Prozess kam es erst jetzt. Andreas war als Erster dran. Er verlangte, das Verfahren auf Irisch zu führen, wie es ihm die Verfassung zusichert, denn Irland hat zwei gleichberechtigte Landessprachen.

Leider konnte die Richterin kein Irisch, und so musste man eine Übersetzerin herbeischaffen. Die sprach nicht nur einen völlig anderen Dialekt als Andreas, sondern hatte auch nur eine halbe Stunde Zeit. Die Richterin Claire Leonard, schon etwas iriitiert von der Inkompetenz der Staatsanwaltschaft, entschied auf Freispruch. Da waren’s nur noch zehn. Doris, die Deutsche, verlangte ebenfalls einen Dolmetscher. Diesmal war die Staatsanwaltschaft besser vorbereitet und präsentierte einen älteren Herrn. Leider stammte er aus der Slowakei und konnte als Fremdsprache fließend Ungarisch. Freispruch. Bei der schwedischen Mitangeklagten suchte man gar keinen Übersetzer. Freispruch. Da waren’s nur noch acht.

Und die sollten von den Zeugen, nämlich den Polizisten, im Gerichtssaal identifiziert werden. Doch die Beamten verwechselten die Namen von fünf der Angeklagten, die daraufhin freigesprochen wurden. Da waren’s nur noch drei.

Der nächste Angeklagte, Gregor, argumentierte, er sei gerade dabei gewesen, ein Protestplakat aus dem Fenster zu hängen, als der Einsatzleiter den anderen zehn Bürobesetzern befahl, das Gebäude zu verlassen. Er habe den Räumungsbefehl deshalb nicht gehört. Freispruch. Da waren’s nur noch zwei.

Glen erzählte der Richterin, er habe zwei Universitätsabschlüsse und arbeite als Kinderbetreuer. Bei einer Verurteilung würde er seinen Job verlieren. Das wollte ihm die Richterin nicht antun. Freispruch.

Deirdre, die letzte der elf Angeklagten, kam aus Gründen der Gleichbehandlung davon: Die inzwischen schwer genervte Richterin wollte sie nicht als Einzige verurteilen. Sie machte den Angeklagten, die außerhalb des Wahlkreises von Bertie Ahern leben, jedoch die Auflage, künftig einen Bogen um das Büro des Premierministers zu machen. Die anderen, die im Wahlkreis leben, sollen sich anmelden, wenn sie Ahern im Büro besuchen wollen.

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