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Ohne Einkommen, aber mit Job

Für eine Aufwertung der unbezahlten Arbeit von Erwerbslosen

Sie bekommen wenig Geld und wenig An-erkennung. Ihr Trost: preiswerte Aktivitäten auszuprobieren

Der Erwerbslose lümmelt faul auf seiner Billig-Couch rum, glotzt rund um die Uhr fern und zockt den Wohlfahrtsstaat fröhlich ab – so geht die verbreitete, verächtliche Vorstellung. Als mitfühlende Variante gilt der depressive Erwerbslose, der die gescheiterten Bewerbungen nicht überstanden hat – immerhin hat er sich bemüht.

Weniger präsent in der Öffentlichkeit sind Erwerbslose, die auf den Mangel an Erwerbsarbeit positiv reagieren, indem sie sich unbezahlte Aufgaben suchen. Sie arbeiten ehrenamtlich in Vereinen oder in Kirchen. Sie meditieren, beten, sorgen für ihre Gesundheit in Selbsthilfegruppen oder Therapien, um emotional und körperlich nicht zu verwahrlosen. Sie leisten anstrengende Erziehungsarbeit, betreuen Tiere, nehmen sich Zeit für Freunde, Partner oder Verwandte. Sie leisten künstlerische oder philosophische Arbeit. Kurzum: Sie tragen dazu bei, dass Deutschland etwas menschlicher wird.

Den Erwerbslosen, die sich auf diesem Weg allein zu beschäftigen wissen, ist dreifach zu danken. Erstens lassen sie die Erwerbsarbeitsplätze frei für die vielen, die sie noch wollen. Zweitens tun sie anderen Menschen etwas Gutes. Und drittens tun sie auch sich selber etwas Gutes und damit indirekt auch der Gesellschaft. Denn letztlich haben Menschen, die an ihren psychischen oder körperlichen Problemen arbeiten, längerfristig mehr Chancen, der Gesellschaft wieder etwas Positives zu geben, als etwa diejenigen, die sich selbst und anderen – zum Beispiel durch Sucht – schaden. In Phasen der Erwerbslosigkeit kann die nötige Ruhe eintreten, um gesundheitliche und mentale Probleme zu verarbeiten, die durch Arbeit entstanden oder im alltäglichen Stress vergessen sind.

Für diese Gemeinschaftsarbeit brauchen Erwerbslose allerdings Arbeitslosengeld oder -hilfe beziehungsweise Sozialhilfe. Besser wäre es natürlich, wenn sie für diese lebenswichtigen Aktivitäten genauso gut wie durchschnittliche Erwerbsarbeiter bezahlt würden. Doch zurzeit wird ihnen sogar die Sicherheit des Wohlfahrtsstaates moralisch abgestritten. Und offiziell müssen sie immer dem Erwerbsarbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Dies unterstreicht, dass ihre anderen Aktivitäten zweitrangig sind. Deswegen wäre die Aufhebung der Verfügbarkeitsregelung im Sozialversicherungsrecht eine erste Anerkennung der Gemeinschaftsarbeit, die manche Erwerbslose leisten.

Es ist eine Tatsache, dass es wegen der Technologisierung heute nicht mehr genug Arbeitsplätze für alle gibt. Wenn sich hundert Menschen um eine Stelle bewerben, wird nur einer durchkommen. Was wird aus den übrigen neunundneunzig? Mit oder ohne private Vermittler wird sich an der Erwerbsarbeitskrise nicht viel ändern. Wenn es nichts zu vermitteln gibt, kann auch nicht vermittelt werden. Es sei denn, Erwerbslose lassen sich auf die niedrigen Arbeits- und Lohnstandards ein, die manche Arbeitgeber herbeiwünschen. Vorgeht haben es die Vereinigten Staaten mit ihren „working poor“, den arbeitenden Armen. In den USA sind die Arbeitslosenzahlen in der Tat glänzend niedrig. Dafür sind Gefängnisse voll und die Obdachlosen zahlreich.

Sicher ziehen fast alle Erwerbslosen bezahlte Arbeit unbezahlter Arbeit vor. Doch nicht, wenn es um „McJobs“ geht, und noch weniger, wenn sie schon gelernt haben, sich selber sinnvoll zu beschäftigen. Das Geldverdienen verliert seinen Anreiz, wenn es um schlecht bezahlte, niedrig qualifizierte, ja illegale Arbeitsangebote geht. Einer 44-jährigen Mutter von zwei Kindern bietet ein „schickes Hotel“ an, auf 325-Euro-Basis und dem Rest „schwarz auf der Hand“ zu arbeiten. „Das ist mir zu heikel“, sagt sie, „ohne Versicherung gehe ich nicht arbeiten.“ Wer würde ihr etwas anderes raten? Bis sie ein ordentliches Angebot erhält, betreut sie die Kinder einer Freundin, die HIV-positiv und krank ist.

„Ich mache nicht mehr jedes Ding. Lieber lebe ich sparsam“, sagt eine 51-jährige geschiedene Sekretärin, die heute 750 Euro Arbeitslosengeld im Monat bekommt. In ihrem letzten Job hat sie neun Stunden lang mit dem Knopf im Ohr isoliert in einer winzigen Kabine gearbeitet und noch dazu Mobbing erlebt. Sie ist berufstätig, seit sie 15 ist. Zwischen ihren Zeitverträgen hat sie sich immer wieder Phasen der Erwerbslosigkeit gegönnt, um Zeit für ihre Tochter zu haben und zu „lernen, selber zu denken“. Sie ist in einer Gemeinde aktiv und engagiert sich ehrenamtlich gegen Ausländerhass.

Erwerbslos ist eben nicht gleich arbeitslos. Das entdecken Erwerbslose, die zur Selbsthilfe greifen. Jedoch zahlen sie einen hohen Preis dafür: Sie haben wenig Geld, und die Gesellschaft erkennt ihre Leistung nicht an. Zum Trost genießen sie die kreative Freiheit, nicht zu teure Aktivitäten auszuprobieren und sie wieder sein zu lassen – nur bei Erziehungsarbeit geht es nicht so einfach. Gerade wegen dieser Freiheit sind sie oft intensiver engagiert. Sie sind „frei-willig“. Es geht hier weder um die „gemeinnützige Arbeit“ des Sozialamtes zu eineinhalb Euro die Stunde noch um die diffuse „Bürgerarbeit“, die als Pflicht erledigt wird, um den eigenen Anspruch auf Sozialhilfe zu retten.

Unbezahlt Arbeitende lassen Erwerbsarbeitsplätze frei. Außerdem tun sie sich und anderen etwas Gutes

Gerade im Sinne einer freiwilligen Qualität der Arbeit hat der Franzose André Gorz das Konzept einer Grundsicherung entwickelt. Es soll jedem Menschen bis zum Lebensende zustehen und „ausreichend“ sein, so Gorz. Er nennt keine Zahlen, aber meint sicher mehr als die aktuelle Sozialhilfe. Wegen der Erwerbsarbeitskrise ist die Zeit für eine solche Grundsicherung reif. Das Job-Aqtiv-Gesetz erlaubt Erwerbslosen, über 15 Stunden pro Woche ehrenamtlich tätig zu sein. Dies darf allerdings ihre „berufliche Eingliederung“ nicht beeinträchtigen. Unklar bleibt, was ehrenamtlich sein darf. Nahe liegend ist es, „ehrenamtlich“ als „unbezahlt“ zu verstehen. Alle Aufgaben, die kostenlos – meistens durch Frauen – erledigt werden, würden dazugehören. Leider muss Ehrenamt in den Augen der Enquetekommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ in einer Organisation – einem „Amt“ – stattfinden. Selbsthilfe für das eigene Wohl, Erziehungs- und Pflegearbeit fallen raus. Es sei Privatarbeit. Dennoch ist diese ehrenamtliche Privatarbeit auch gesellschaftlich nützlich und braucht daher eine ausreichende Grundsicherung. Zurzeit ist es oft notgedrungen das Arbeitslosengeld oder die Sozialhilfe. Ansonsten bleibt die finanzielle Abhängigkeit von Verwandten oder Freunden übrig.

Woher das Geld für eine Grundsicherung nehmen? Der deutsche Autor Axel Braig schätzt, dass Großunternehmen jährlich 50 Milliarden Euro öffentliche Förderungen für die Schaffung von Arbeitsplätzen erhalten. Arbeitslosenbezüge machen aktuell rund ein Viertel dieser Summe aus. Wenn das nicht ausreicht, würde auch die Tobin-Steuer auf die Finanzmärkte den leeren Staatskassen auf die Sprünge helfen. In bestimmten Lebensphasen macht die Grundsicherung als freiwillige Option Sinn. Denn unbezahlte Arbeit ist auch Arbeit. GENEVIÈVE HESSE

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