Die Spur der Edelsteine

Es ist technisch nicht möglich, die Herkunfteines Diamanten einwandfrei zu bestimmenDiamanten sind zum Export angemeldetworden, aber nie am Zielort angekommen

aus Antwerpen FRANÇOIS MISSER

Mark Van Bockstael ist zuversichtlich. Der Präsident des technischen Komitees des Weltdiamantenrats in Antwerpen begrüßt die derzeit laufenden Bemühungen, den kriegsfinanzierenden Diamantenschmuggel einzudämmen. Während die führende britische Kampagnengruppe Global Witness das im vergangenen November erarbeitete System eines internationalen Herkunftszertifikats für alle Diamanten „einen guten Wachhund, aber ohne Zähne“ nennt, hält der Belgier das System prinzipiell für richtig. Kein Wunder: Van Bockstael ist der Erfinder des Zertifikats, mit dem Diamanten aus Angola und Sierra Leone identifizierbar gemacht werden sollen und damit der Schmuggel von Diamanten aus diesen Ländern durch Rebellen verhindert werden soll.

Im so genannten „Kimberley-Prozess“ – das ist ein Selbstregulierungsforum der im Weltdiamantenrat zusammengeschlossenen Diamantenindustrie zusammen mit Regierungen und unabhängigen Organisationen – einigten sich die Beteiligten bei einem Treffen in Botswana Ende November 2001, dieses System weltweit auszudehnen. Jeder Diamant im internationalen Handel soll demnach ein beglaubigtes Zertifikat tragen, auf dem seine Herkunft ausgewiesen ist. Das Dokument trägt eine Nummer, die identisch sein muss mit der auf dem Kaufvertrag des Importeurs. Ende 2002 soll die Regelung in Kraft treten. Die nötigen Bestimmungen dazu wurden der UN-Vollversammlung vorgelegt, die sie am vergangenen Mittwoch bestätigte.

Während Global Witness und andere Nichtregierungsorganisationen nun einen sofortigen internationalen Mechanismus mit Gesetzeskraft fordern, weist Van Bockstael darauf hin, dass noch viel zu tun ist. Betroffen sind 45 Länder, sagt er: „Bloß weil ein Außenminister sich mit seinen Kollegen in anderen Ländern geeinigt hat, wissen die Finanzminister und Zolldienste noch lange nicht, wie sie damit umgehen sollen. Das System muss in jedem Land in nationale Gesetze umgesetzt werden.“ Außerdem ist ein System, das bestimmte Arten von Handel mit Sanktionen belegt, nicht automatisch mit den Handelsbestimmungen der WTO vereinbar.

Das Inkrafttreten des Zertifizierungssystems könne letztendlich nur vom UN-Sicherheitsrat entschieden werden. Aber im Sicherheitsrat herrscht darüber keine Einigkeit. Manche Länder finden, der Rat sei für so etwas gar nicht zuständig, andere sagen, ein Zertifizierungssystem für Diamanten solle nur Diamanten aus Konfliktregionen betreffen. Hauptbefürworter eines UN-Beschlusses sind die USA, vor allem seit die US-Presse zahlreiche Verbindungen zwischen al-Qaida und dem illegalen Diamantenhandel aufgedeckt hat.

Der Schmuggel von Diamanten aus Angola und Sierra Leone ist mit den Zertifikaten nicht vollständig ausradiert worden. Nach Meinung von Van Bockstael ist der Grund dafür vor allem, dass das System bislang auf diese beiden Länder beschränkt ist. Das Problem liegt seiner Meinung nach auch nicht, wie oft vermutet, in den Zertifikaten selbst – sie zu fälschen, sei gar nicht so einfach. Das Problem liegt in den Diamanten selbst.

Es ist technisch nicht möglich, die Herkunft eines Diamanten einwandfrei zu bestimmen. So sind Diamanten aus Kono in Sierra Leone denen aus Ekati in Kanada oder Lamir in Russland bis in mikroskopische Details hinein erstaunlich ähnlich, sagt Van Bockstael, der früher das Diamanteninstituts in Antwerpen leitete. Wenn Diamantenhändler in Angola sagen, sie könnten auf einen Blick in einem Haufen von 100 Steinen erkennen, welcher aus dem Flussbett des Luo kommt, ist das zwar möglich – aber nur, wenn alle geprüften Diamanten aus Angola stammen. „Aber wenn ich den Stein aus Luo in eine Probe aus Brasilien lege, werden die brasilianischen Prüfer ihn für brasilianisch halten. Gewisse Diamanten aus Venezuela haben einen Grünstich, der von schwacher Radioaktivität im Wasser kommt. Aber ein Sierra-Leoner wird versichern, ein solcher Diamant stamme aus einer ganz bestimmten Mine in seinem Land.“ Es wäre also schwer, die Herkunft eines Diamanten so zweifelsfrei festzustellen, dass das im Streitfall vor Gericht Bestand haben könnte. Ein weiteres Problem: Es reicht nicht, dass eine Regierung den Export von Diamanten reguliert. Sie muss auch den Ankauf der Steine innerhalb des Landes überblicken. Die staatliche Diamantenbörse der Zentralafrikanischen Republik zum Beispiel schickt ihre Vertreter direkt in die Diamantenförderstädte wie Berberati, Bria oder Nola und erwirbt die Steine vor Ort, statt sich auf dubiose Zwischenhändler zu verlassen.

In Angola oder Sierra Leone geht das nicht. Da die Regierungen ihr Staatsgebiet nicht vollständig beherrschen, können Rebellen ihre Diamanten problemlos in die legalen Kreisläufe einspeisen. Belgiens Regierung hat nach Informationen der taz vor kurzem das UN-Komitee zur Überwachung der Sanktionen gegen Sierra Leones Rebellen zur, so wörtlich, „Aufklärung einer geringen Anzahl nicht notwendigerweise illegaler Transaktionen“ sierra-leonischer Diamanten in Antwerpen aufgefordert. Manche Diamanten seien zwar zum Export angemeldet worden, aber nie am Zielort angekommen. Sie sind also irgendwo anders gelandet und könnten aus einem anderen Land legal exportiert werden, obwohl sie nicht aus diesem Land stammen – genau der Schmuggel, den die Zertifizierung eigentlich verhindern soll.

Die belgischen Behörden betonen, dass das nicht die Ineffektivität des Zertifizierungssystems beweise – vielmehr habe erst dieses System die Unregelmäßigkeiten aufgedeckt. Aber aus Händlerkreisen wird eine ganz andere Version kolportiert: Die international anerkannte Regierung und die international verfemten Rebellen in Sierra Leone arbeiten Hand in Hand beim Diamantenhandel, sodass die Diamantenproduktion der Rebellen in den Beständen der staatlichen Mineralienbehörde GGDO (Government Gold and Diamond Office) lande. Pakistanische UN-Soldaten spielten dabei die Zwischenhändler.

Abgesehen von solchen Vorfällen hat das Zertifikat für Diamanten nur dann einen Sinn, wenn es alle Diamanten der Welt umfasst. Sonst können die Rebellen von Angola und Sierra Leone ihre Steine einfach über Länder ohne Zertifikat verkaufen. Mehrere Länder haben bereits den belgschen Diamantenrat gebeten, ihnen beim Aufbau eines Zertifizierungssystems zu helfen; Guinea, die Zentralafrikanische Republik und die Demokratische Republik Kongo haben das bereits abgeschlossen. Aber diese nationalen Zertifikate sind in Ermangelung eines verpflichtenden internationalen Rahmenabkommens international nicht anerkannt. Seit dem Beschluss von November lehnt der Rat daher solche Anfragen ab – sie kamen von Südafrika, Namibia und Botswana. Bevor auf UN-Ebene eine Entscheidung getroffen ist, wird der Prozess der Diamantenhandelsregulierung nicht weitergehen.

Wenn aber eine Entscheidung im UN-Sicherheitsrats einmal gefallen ist, stellt sich immer noch die Frage nach den Auswirkungen eines weltweiten Zertifizierungssystems. Das System hat klare Grenzen. Es kann nicht verhindern, dass mit Einnahmen aus dem Diamantenhandel Kriege finanziert werden.

Das ist auch die Hauptkritik von unabhängigen Organisationen am Zertifizierungsprozess. Christian Dietrich vom International Peace Information Service in Antwerpen weist darauf hin, dass Regierungsstellen und Rebellen in Angola ihre Diamanten von den gleichen Schürfern beziehen. Die einen seien nun legal, die anderen nicht. Am Förderort mache diese Unterscheidung keinen Sinn. Außerdem weigere sich Südafrikas Regierung, die Liste der zugelassenen Diamantenhändler des Landes publik zu machen, und Rebellendiamanten aus Angola könnten problemlos in Südafrika bearbeitet und dann weiterverkauft werden, sagt Dietrich, der vier Jahre lang in Südafrika lebte. Die Unterscheidung zwischen legal und illegal sei also rein „politisch“.

Van Bockstael sagt dazu, das System solle lediglich verhindern, illegal gehandelte Diamanten in den legalen Handel einzuspeisen. „Nehmen wir den Fall Gambia“, sagt er. „Gambia produziert keine Diamanten und führt offiziell keine ein, aber es exportiert sie. Mit dem neuen System geht das nicht mehr, außer wenn Gambia sich dem Prozess anschließt und seine Diamanten offiziell importiert, also mit Herkunftszertifikaten, und sich zur Handelsnation erklärt wie Israel oder Belgien. Aber wenn Gambia behauptet, es betreibe weder Import noch Export von Diamanten, kann ein Händler in Gambia immer noch Diamanten ohne Zertifikat kaufen. Solchen Schmuggel kann das System nicht verhindern. Man kann sich überall Diamanten in die Tasche stecken. Aber man wird dann zum Verbrecher, wie ein Kokainhändler. Auch die Gesetze gegen den Drogenhandel verhindern den Drogenhandel nicht.“

Die Befürworter des Zertifizierungssystems setzen darauf, dass die Händler nicht nur Gefängnis riskieren, sondern auch ihren Ruf. Wer einmal als Diamantenschmuggler identifiziert wird, verliert nämlich den Zugang zu dem sehr geschlossenen Kreis der „sightholder“, die das alleinige Recht haben, vom südafrikanischen Diamantenmarktführer De Beers Diamanten zu erwerben.

Letztendlich stärkt das System die Rolle von Großproduzenten wie De Beers, BHP Minerals, Rio Tinto und die anderen multinationalen Firmen, die anders als die vielen Kleinproduzenten der Welt an den neuen Regeln mitgeschrieben haben. In der Zentralafrikanischen Republik oder der Demokratischen Republik Kongo fördern Kleinproduzenten über drei Viertel der Diamanten, aber sie blieben von den Diskussionen im Kimberley-Prozess ausgeschaltet, ebenso wie die Gewerkschaften großer Staatsfirmen wie Miba im Kongo und Endiama in Angola, die einiges an praktischer Erfahrung über staatlich organisierten Schmuggel hätten beisteuern können.

Sie alle riskieren nun, kriminalisiert zu werden. Die Diamantenhändler von Antwerpen haben ihrerseits ein Interesse, gewisse Kreise auszuschalten. Peter Meeus, Generaldirektor des belgischen Diamantenrats, sagte kürzlich vor einer Anhörung des belgischen Senats, der Handelsort Antwerpen sei geschwächt worden, und diesen Trend gelte es umzukehren. So hätte Angola sein Exportmonopol für Diamanten an die vom Israeli Lev Leviev geführte Firma Ascorp vergeben und die Regierung des Kongo das ihre an die israelische Idi Diamonds, womit die Diamantenbörse von Tel Aviv einen Aufschwung genommen habe. Andere Importeure auf dem aufsteigenden Ast seien Südafrika, dessen Diamantenimporte sich zwischen 1996 und 2001 auf 300 Millionen Dollar verdreifachten, und Dubai, wo der Wert der Diamanteneinfuhren 1999 noch bei unter zehn Millionen Dollar lag, 2001 aber bei über 180 Millionen. Belgiens Diamantenverkäufe an die USA hätten sich zugleich von 140 Millionen Dollar im Jahr 2002 auf 100 Millionen Dollar 2001 verringert. Antwerpen, so die Kritik des Diamantenrates, blute für seinen Einsatz gegen die Blutdiamanten.