piwik no script img

Von Hunden und Bäumen

Das Statistische Landesamt Berlin feiert am 1. April sein 150-jähriges Jubiläum. Klingt langweilig, ist es aber nicht unbedingt. Immerhin wären wir ohne die Statistiker um so manche Weisheit ärmer

von CHRISTOPH TROST

Es gibt Statistiken, die mag der Statistiker gar nicht. Zum Beispiel diese: Auf den Straßen im Bezirk Mitte stehen etwa 22.700 Bäume. Gleichzeitig leben dort knapp 7.300 Hunde. Macht also etwa drei Bäume für jeden Hund – rein rechnerisch zumindest. Jetzt könnte man noch überlegen, wie oft die Hunde „ihre“ Bäume aufsuchen, und somit auch noch Aussagen darüber machen, wie viele Häuflein sich dort im Laufe einer Woche durchschnittlich ansammeln.

Doch die Hauptarbeit des Statistischen Landesamts ist eine andere. Neben Hunden und Bäumen zählt die Behörde unter anderem die Berliner Bevölkerung, die Geburten, Eheschließungen und Sterbefälle – und das seit 150 Jahren. Und auf dieses Jubiläum, das offiziell am 1. April gefeiert werden müsste, ist man in Berlin mächtig stolz: Keine andere deutsche Stadt zählt ihre Bevölkerung so lange und so genau. „In Berlin hat zu allen Zeiten die Musik gespielt“, sagte am Dienstag der Präsident der Behörde, Professor Eckart Elsner.

Am 1. April 1852 wurde das erste „Statistische Bureau der Stadt Berlin“ gegründet. Anfangs beschäftigte es sich vor allem auch mit sozialen Erhebungen über Armut in der Bevölkerung. „Die Statistik wollte damit zu besseren Verhältnissen beitragen“, so Elsner. Doch es gibt auch dunkle Seiten in der Geschichte: 1939 täuschte das Amt bei einer Volkszählung die jüdische Bevölkerung. Es gab vor, Angaben über den Glauben seien nur für die Behörde bestimmt. In Wirklichkeit wurden die Auskünfte an die Nazis weitergegeben und erleichterten so die Judenverfolgung.

Heute veröffentlicht das Landesamt mit seinen 341 Mitarbeitern etwa 300 Statistiken pro Jahr – die Spanne reicht von wirtschaftlichen Tabellen bis hin zur Zahl der jährlich in den Berliner Gewässern gefangenen Speisefische. Einige Beispiele: Heute leben 38 Menschen auf einem Hektar Stadtgebiet – 1852 waren es noch 298. Heute liegt der Anteil der über 60-Jährigen an der Bevölkerung bei 22 Prozent – 1852 waren es vier Prozent. Heute hat ein neugeborener Junge eine Lebenserwartung von 74 Jahren – 1852 waren es 24 Jahre. Heute sind Herz- und Kreislauferkrankungen und Krebs die häufigsten Todesursachen – 1852 waren es Schwindsucht und Cholera.

Genauso hat sich über die Jahre auch das Selbstverständnis der Statistiker gewandelt. „Die Statistik muss unabhängig sein von der Politik und unabhängig die Wahrheit sagen“, betonte Landesamtschef Elsner. Unvorstellbar aus heutiger Sicht ist eine Widmung, die sich im ersten Jahresbericht des damals noch der Polizei unterstellten „Statistischen Amtes“ aus dem Jahr 1853 findet: „Seiner Hochwohlgeboren, dem Königlichen General-Direktor, Wirklichen Geheimen Ober-Regierungs-Rath und Polizei-Präsidenten, Ritter hoher Orden, Herrn von Hinckeldey, in tiefster Dankbarkeit gewidmet von den Verfassern.“ Klingt fast noch schöner als die Statistik von den Hunden und den Bäumen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen