: Senat lässt Berliner quietschen
Die rot-rote Koalition sieht mit dem Haushaltsentwurf 2002/2003 das größte Sparpaket aller Zeiten vor. Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) ist trotzdem unzufrieden und Bürgermeister Wowereit hofft auf Bundeshilfen in Milliardenhöhe
von STEFAN ALBERTI
Ein bislang einmaliger Sparkurs soll die Landesfinanzen der hoch verschuldeten Hauptstadt vor dem völligen Absturz retten. Der gestern vom rot-roten Senat beschlossene Haushaltsentwurf 2002/2003 ist knapp eineinhalb Milliarden Euro kleiner als 2001 und umfasst jetzt noch rund 21 Milliarden Euro jährlich. Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) zeigt sich unzufrieden, dass er nicht noch größere Einsparungen durchsetzen konnte. Das Abgeordnetenhaus soll den Haushaltsentwurf ab Mitte April beraten und Ende Juni beschließen. Trotz des Sparkurses kann das Land in diesem Jahr fast ein Drittel seiner Ausgaben nur mit neuen Krediten finanzieren.
Besonders drastisch sind die Einsparungen bei den Investitionen, wo fast jeder zweite Euro wegfällt. Dabei will sich das Land unter anderem komplett aus der Finanzierung der Museumsinsel zurückziehen. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) forderte den Bund zudem auf, Berlin mittelfristig mit Milliardenhilfen beizuspringen.
Weitere große Brocken im Sparetat sind Kürzungen bei der Sozialhilfe: Diese Jahr sollen 100, nächstes Jahr 150 Millionen Euro weniger fließen. Wowereit will im Gegenzug mit einem Sonderprogramm 6.000 Sozialhilfeempfänger in Arbeit bringen. Kürzungen soll es auch bei der Kultur geben. Laut Wowereit wird aber keine der drei Opern der Stadt geschlossen. Bei den Sachausgaben konnte Finanzsenator Sarrazin insgesamt nur die Hälfte seiner Streichforderungen durchsetzen. „Damit bin ich nicht zufrieden“, sagte er. „Aber ich muss akzeptieren, dass mehr einigungsfähige Sparvorschläge zurzeit nicht auf dem Tisch liegen.“ Bei den Personalkosten sind für die kommenden beiden Jahre Kürzungen von je 250 Millionen Euro vorgesehen. Diese Summen sollen ein Solidarpakt mit den Gewerkschaften oder Gehaltskürzungen möglich machen.
Der Senat folgt bei seinem Beschluss dem Kurs, den SPD und PDS in ihrer Koalitionvereinbarung im Januar festgelegt haben. „Sparen, bis die Stadt quietscht“, hatte Wowereit vorgegeben. Hintergrund des Sparpakets ist die miserable Finanzlage des Landes. Die Schulden der Hauptstadt haben sich in den vergangenen zehn Jahren unter der großen Koalition aus CDU und SPD verfünffacht. Sarrazin, ein früherer Bahnmanager, fand bei seinem Amtsantritt im Januar einen Schuldenberg von 38 Milliarden Euro vor. Auf die 3,4 Millionen Berliner umgelegt sind das über 11.300 Euro pro Kopf oder ein neuer Kleinwagen. Über 2 Milliarden Euro gibt das Land jährlich allein für Zinszahlungen aus. Schnell gab Sarrazin das im Koalitionsvertrag von SPD und PDS formulierte Ziel auf, dass die Stadt ab 2009 ohne neue Kredite auskommt. Die Schulden sollen sich nach derzeitigen Berechnungen der Finanzverwaltung bis 2006 auf 56 Milliarden Euro erhöhen.
In der Koalition herrscht Einvernehmen darüber, dass die Stadt auf Dauer nicht ohne stärkere Hilfe vom Bund lebensfähig ist. Neben der hohen Verschuldung lasten die Risiken der maroden Berliner Bankgesellschaft auf dem Haushalt. Im vergangenen Jahr musste das Land 2 Milliarden Euro zuschießen, um die mehrheitlich landeseigene Bank vor dem Untergang zu retten. Ihre Misere hatte im Frühjahr 2001 zum Ende der großen Koalition und den Neuwahlen im Oktober geführt. Ab 2003 will der Senat mit 300 Millionen Mark jährlich Risiken aus dem Immobiliengeschäft der Bankgesellschaft absichern. Diese Absicherung ist im Parlament noch umstritten, auch in der SPD-Fraktion des Regierenden Bürgermeisters. Eine für morgen angesetzte Entscheidung des Abgeordnetenhauses wurde um eine Woche vertagt.
Senator Thilo Sarrazin denkt angesichts der Finanzmisere an eine Klage beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Stellen die obersten Richter offiziell einen so genannten Haushaltsnotstand fest, ist der Bund zu höheren Zahlungen verpflichtet. Der Regierende Bürgermeister Wowereit sprach gestern von Zahlungen in Milliardenhöhe. Voraussetzung dafür ist jedoch laut Sarrazin, dass Berlin zuvor seine Hausaufgaben mache und seine Ausgaben verringere. Unabhängig davon kritisieren Landespolitiker, dass Berlin zu viele Hauptstadtaufgaben finanzieren muss.
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