: „Bedarf ist nicht reduzierbar“
Martina Schmiedhofer (Grüne), Sozialstadträtin im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, hält die vom rot-roten Senat geplanten Einsparungen bei der Sozialhilfe für unrealistisch
taz: Frau Schmiedhofer, der Senat will bis 2003 bei der Sozialhilfe 250 Millionen Euro einsparen. Ist das realistisch?
Martina Schmiedhofer: Nein, das ist im gesetzlichen Rahmen nicht realistisch. Wenn der Senat keine zusätzlichen Mittel bereitstellt, müssten die Bezirke Geld zuschießen aus dem einzigen theoretisch noch steuerbaren Bereich: der Bauunterhaltung und der Grünflächenbetreuung.
Und wie sieht es mit dem ehrgeizigen Ziel aus, jährlich 6.000 Sozialhilfeempfänger in Arbeit zu bringen?
Das ist machbar, wenn wir mehr Stellen aus dem Überhang des Landes Berlin bekommen, sodass wir Fallmanagement machen können, und die einzelne Zahl der Klienten, die ein Sachbearbeiter betreut, deutlich verringert wird. Dann brauchen wir noch Mittel für die Beschäftigungsprojekte für diejenigen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht vermittelt werden können.
Der Senat will Sie durch Durchschnittszuweisungen zum Sparen bringen. Funktioniert das?
Erst mal heißt das ja nur, dass wir für jeden Haushalt, der in unserem Bezirk Sozialhilfe bezieht, eine gewisse Durchschnittssumme bekommen und nicht mehr auf den Cent genau die Summe, die für diesen Haushalt ausgegeben wird. Wie hoch diese Summe sein soll, ist uns noch nicht bekannt.
Der größte Teil der Sozialhilfe ist aber doch über Bundesgesetze geregelt. Welcher Spielraum für Einsparungen bleibt da?
Die Spielräume können wir nur mit Hilfe der Senatsverwaltung für Soziales realisieren.
Die meisten Hilfen wie zum Beispiel zur Betreuung eines Behinderten werden ja über Entgeltvereinbarungen finanziert, und dafür hat der Senat festgelegt, wie viel Geld pro Stunde ein Träger für eine bestimmte Leistung bekommt. Sparen kann man, wenn man diese Entgeltvereinbarungen reduziert. Den Bedarf kann man nicht reduzieren.
Aber sind diese Leistungen für geringere Kosten überhaupt zu erbringen?
Anders lässt sich nicht sparen.
Man könnte auch Ermessensspielräume bei Pauschalen für Kleidung oder Renovierung restriktiv auslegen und die Kontrollen erhöhen, wie es Ihr Stadtratskollege in Reinickendorf betreibt.
Die Kontrollinstrumente wenden wir alle an, aber sie dürfen nicht bis zur Schikane gehen. Man kann natürlich sparen, indem man Leute, die einen Anspruch haben, einfach wegekelt. Aber das kann nicht Ziel des Senats sein.
Und bei den Pauschalen? Gibt es künftig statt einer Beinprothese nur noch ein Holzbein, wie es eine Ihrer Kolleginnen gestern drastisch sagte?
Nein, wir sind verpflichtet, die Leistung zu erbringen, die von einer Krankenkasse erbracht wird.
Was befürchten Sie jetzt?
Ich befürchte ein ganzes schlechtes Klima in den Bezirksämtern. Und dass es zu Torschlussreaktionen kommen kann, die in Einzelfällen dazu führen, dass rechtlich zustehende Leistungen nicht mehr erbracht werden.
INTERVIEW: SABINE AM ORDE
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