: Vitamine für das Dritte Reich
Schweizer Chemiekonzerne steigerten mit der deutschen Kriegswirtschaft ihre Umsätze dramatisch – selbst Partei-Rot der NSDAP kam aus Basel. Schlussbericht für gesamte Wirtschaft kommt morgen
aus Lörrach RENÉ ZIPPERLEN
Seit dem Skandal um Nazigold in den Schweizer Banken und Versicherungen bröckelt der Mythos von der Schweizer Unschuld in der Zeit zwischen 1933 und 1945. Morgen stellt die 1996 ins Leben gerufene Unabhängige Expertenkommission ihren mit Spannung erwarteten Schlussbericht über wirtschaftliche Verstrickungen der Schweiz mit dem Dritten Reich vor. Bereits vor Veröffentlichung der ersten Studien im vergangenen Herbst wüteten rechtskonservative Presse und die rechtspopulistische Schweizer Volkspartei gegen Verschwendung von Steuergeldern und die Desavouierung der Schweiz.
Eine der am stärksten kritisierten Studien beschäftigt sich mit der Basler Chemie und ihren deutschen Niederlassungen. Drei Jahre lang haben dafür die beiden Historiker Daniel Wildmann (derzeit am Zentrum für Antisemitismus der TU Berlin) und Lukas Straumann hunderte von Laufmetern bis dato verschlossener Unternehmensakten untersucht. So zeigen sie anhand unzähliger hervorragend dokumentierter Quellen auf, wie ausgezeichnet die Basler Zentralen der damaligen Konzerne Ciba, Geigy, Sandoz (jetzt Novartis) und Hoffmann-La Roche über die politischen Zustände ab 1933 Bescheid wussten und wie sie die eigene Betriebspolitik profitträchtig den veränderten politischen Rahmenbedingungen anzupassen wussten.
Dabei halfen intensive Kontakte zu NSDAP-Leuten „in vorderster Reihe“ (so der Geigy-Bericht), zu Hitler-Beratern und der SS. Wirtschaftlicher Zynismus zeigt sich immer wieder, wie eine Sandoz-Marktstudie für Epilepsie-Medikamente von 1942 dokumentiert: „Wenn auch die Anstalten für Epileptiker im Zuge der Vernichtung lebensunwerten Menschenmaterials ausgeräumt und anderweitig besetzt wurden, kommen doch infolge des Krieges viele neue Fälle vor.“
Erstaunlich auch, wie gut es den Konzernen gelungen ist, die Kontrolle über ihre deutschen Niederlassungen zu behalten und sie vor Enteignung zu schützen. Es kam ihnen zugute, dass besonders die Vitamin-, Opiat- und Farbstoffproduktion von den Machthabern als „kriegswichtig“ oder „dringend“ eingestuft wurde; nicht zuletzt, um das Quasi-Monopol der IG Farben zu brechen. Alle vier Unternehmen erleben den Höhepunkt ihres Deutschlandgeschäfts während des Zweiten Weltkriegs, verschweigen aber zumeist diese Zeit in ihren Chroniken. Die Deutschlandumsätze der Roche machten noch in den ersten drei Kriegsjahren über 20 Prozent der Gesamtumsätze aus, 1943/44 hatten sich die Umsätze im Vergleich zu 1938 gar verdreifacht.
Da Übereinstimmung mit den deutschen rassepolitischen Vorgaben entscheidend war, zeigten sich die Basler fügsam und „arisierten“ ihre Betriebe teilweise schneller als die berüchtigte IG Farben, die noch 1938 jüdische Mitarbeiter beschäftigte. Geigy erklärte bereits 1933 eidesstattlich, dass die „Aktionäre unserer Firma rein arischer Abstammung und keine Juden sind“. Dies brachte der Firma die „Genehmigung für die Herstellung von Farbstoffen für die Bekleidung der NSDAP“ und „von Symbolen der nationalen Bewegung“. Besonders gefragt war bei der NSDAP das in Basel hergestellte Polar-Rot. Damit gab Geigy der Partei, ihren Aufmärschen und Hakenkreuzflaggen die nötige Farbe.
Das Verhalten gegenüber Mitarbeitern und der deutschen Propaganda aber zeigt, wie unterschiedlich die Firmen die ihnen offen stehenden Handlungsspielräume nutzten. Roche-Chef Emil Barell betonte 1933 „die große Verantwortung auf menschlichem Gebiet“; eine vorgeschlagene „reichsdeutsche“ Werbekampagne lehnte Barell ab. 1938 mussten aber auch bei Roche alle jüdischen Mitarbeiter die deutschen Niederlassungen verlassen.
Ciba, die Niederlassungen in Berlin und im polnischen Pabianice hatte, ersetzte bereits 1933 jüdische Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder durch „arische“. Einzelne jüdische Mitarbeiter in Berlin blieben aber bis 1938 in Arbeit. Später folgte Ciba der Aufforderung, in der Schweiz lagernde Pensionsgelder nach Deutschland zu überweisen; die Rentenansprüche polnischer Mitarbeiter waren verloren. Zwei schweizerische Angestellte reisten gar ins Ghetto nach Częstochowa, um bei einem ehemaligen jüdischen Kunden Schulden einzutreiben.
Das Schweizer Medienecho auf die Veröffentlichung der ersten Studien war groß, wenn auch von kurzem Atem. Eine wirkliche öffentliche Diskussion folgte nicht. Das könnte der Schlussbericht ändern, der alle 25 Studien (von Zwangsarbeit bis Beutekunst) zusammenfasst und leicht zugänglich macht.
„Die Schweiz, der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg. Der Bericht der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz –Zweiter Weltkrieg“ erscheint am 22. März im Pendo Verlag, Zürich, 600 Seiten, 29,90 Euro
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