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„Da wurden Fehler gemacht“

Interview HARALD SCHUMANN

Herr Fischer, in Genua demonstrierten vergangenes Jahr 200.000 Menschen aus ganz Europa gegen eine Globalisierung, die vornehmlich den Reichen und Privilegierten nutzt. Fühlten Sie sich angesprochen?

Thomas Fischer: Von den angesprochen Themen her gewiss. Aber abgestoßen hat mich das Auftreten der Demonstranten. Die Genua-Proteste haben dem Thema vielleicht Aufmerksamkeit gebracht, aber keinen Fortschritt.

Woher soll der Fortschritt kommen, wenn nicht durch den Druck einer sozialen Bewegung, die auf die Straße geht? Unbestreitbar ist doch, dass in den vergangenen 20 Jahren mit der Beschleunigung der Globalisierung die Spaltung der Welt in Arm und Reich fortwährend gestiegen ist.

Richtig. Es gibt diese Probleme mit der Globalisierung, aber nach Genua konnte mit dem Hinweis auf die Gewalt die Auseinandersetzung mit den Inhalten umgangen werden. Die 68er-Generation hat erfahren, dass man in eine Falle läuft, wenn man mit dem Etikett belegt werden kann, man wolle die Meinungsbildung mit undemokratischen Methoden betreiben. Wer Steine wirft und Straßenschlachten inszeniert, verhindert eine ehrliche Debatte über das Armutsgefälle.

Sie zählen sich zu den 68ern?

Ich war damals 21 Jahre alt, das Aufbegehren gegen das rückwärtsgewandte Establishment habe ich geteilt. Gegen den Vietnamkrieg bin ich mitmarschiert.

Auch die 68er haben notwendige Reformforderungen über Demonstrationen in die Gesellschaft getragen.

Aber am Ende war die einzig erfolgreiche Strategie das Einlassen auf das System. Die militanten Formen haben nichts gebracht.

Die jahrelangen Diskussionen mit Politikern und Konzernmanagern über die zerstörerischen Folgen der falschen Globalisierung haben auch nichts gebracht.

Dann ist das eben nicht intensiv genug betrieben worden. Dass es lange dauert, ist keine Legitimation dafür, es undemokratisch zu versuchen. Die Gewalt diskreditiert eine sowohl moralisch berechtigte wie materiell dringend nötige Diskussion. Das ist schade, denn eigentlich hält doch kaum noch jemand die Globalisierung per se für gut.

Ach ja? Was denn dann?

Wir müssen endlich darüber reden, was überhaupt globalisiert werden soll. Globalisierung muss viel mehr sein als die Gründung von Filialen internationaler Konzerne. Wenn die Marktwirtschaft das Modell für die Welt ist, dann müssen wir klar machen, was konstitutionell dazugehört. Für eine erfolgreiche, also von der großen Mehrheit akzeptierte Marktwirtschaft ist es unabdingbar, dass freies Unternehmertum mit einem verlässlichen Rechtsrahmen und einem demokratischen, republikanischen Gemeinwesen verknüpft ist. Alle drei Elemente müssen gleichberechtigt sein. Alle ernst zu nehmenden Befürworter des Kapitalismus haben das immer gefordert, allen voran Friedrich August von Hayek.

Aber es wird nicht umgesetzt, sondern einfach drauf los liberalisiert. Die Kritiker sehen die Hauptverantwortung dafür bei der Finanzindustrie, den Notenbanken und den Finanzministerien der reichen Länder, weil sie die Regeln bestimmen. Dass da dramatisch was schief läuft, belegt doch schon die extreme Häufung von Finanzkrisen. Allein die Asien-Krise hat zig Millionen Menschen in Arbeitslosigkeit und Armut getrieben.

Da sind Fehler gemacht worden, von der Anbindung kleiner Währungen an große Hartwährungen bis zur damit vermeintlich risikolosen Kreditvergabe durch Banken und Anleihezeichner im Ausland. Ein indirekter Beweis dafür, dass da Globalisierung falsch betrieben wurde, ist die Tatsache, dass China und Indien, die beiden Nationen, die sich aus diesem unbedachten Integrationsprozess der Kapitalmärkte herausgehalten haben, derzeit wirtschaftlich relativ erfolgreich sind.

China und Indien konnten das, aber die kleineren Nationen konnten sich dem Druck zur Öffnung ihrer Finanzmärkte ja gar nicht entziehen.

Sie stellen diese Länder als Opfer dar, aber ohne deren Mitwirkung wäre das ja wohl kaum geschehen.

Also die Koreaner haben es nicht freiwillig gemacht, sondern sich einem Ultimatum der US-Regierung bei den Aufnahmeverhandlungen zur OECD gebeugt.

Das klingt mir zu sehr nach Imperialismus. Die Koreaner hätten nein sagen können, es gab wohl doch zu große Verlockungen.

Ging es nicht vor allem darum, dass die Wall Street und die Finanzindustrie ihren Anteil an den hohen Wachstumsraten der Asiaten haben wollten?

Dass die Finanzwirtschaft Interesse an der Ausweitung ihrer Geschäfte hat, ist selbstverständlich. Ich habe diesen Prozess aber anders in Erinnerung, es war ein Geben und Nehmen. Wichtig sind doch die Lehren, nämlich wie wir den Globalisierungsprozess so managen, dass die Vorteile wirklich allen Nationen zugute kommen, mit Vorurteilen kommen wir da nicht weiter.

Es geht nicht um Vorurteile, sondern um Machtstrukturen. Als es zur Krise kam, haben die Amerikaner den IWF bewusst dafür eingesetzt, die Strukturen in den Krisenländern aufzubrechen, um transnationalen Konzernen freie Bahn zu schaffen, sich billig einzukaufen. Das hat der damalige Handelsbeauftragte der Clinton-Regierung ganz offen gesagt.

Ich kenne diese These, Helmut Schmidt hat das ähnlich formuliert. Die Behauptung, das Ganze ist amerikanischer Handelsimperialismus, ohne den die Globalisierung richtig laufen würde, stimmt aber nicht. Es sind doch vor allem auch die jeweiligen nationalen Eliten in den Schwellenländern, die das möglich gemacht haben. Das gilt für Korea genauso wie jetzt wieder für Argentinien. Die Erpressbarkeit von Regierungen auch in kleinen Staaten wäre ja gar nicht möglich, wenn diese Regierungen ganz klar auf demokratische Strukturen und Legitimation gestützt wären, dann käme es nicht zu solchen Vereinbarungen hinter dem Rücken der Wähler.

Das ist aber auch naiv. Diese Voraussetzung ist eben häufig nicht gegeben. Stattdessen verbünden sich die Regierungsvertreter der reichen Nationen im IWF mit den undemokratischen Eliten der Schwellenländer, um diese gemeinsam auszuplündern.

Dass der IWF und sein Mandat einer sehr kritischen Prüfung unterzogen werden muss, sehe ich auch. Das Schlimmste, wozu der IWF missbraucht wurde, war die Versicherung für Investoren, sie könnten ruhig in riskanten Ländern mit enormen Renditen investieren, und wenn es schief ging, kaufte der IWF sie raus.

Der streng marktwirtschaftlich orientierte US-Ökonom Jagdish Bhagwati wirft der Finanzindustrie vor, dass sie zusammen mit der US-Regierung, er spricht vom „Wall-Street-Treasury-Komplex“, weltweit die Radikalliberalisierung des Kapitalverkehrs durchsetzt und so eine erfolgreiche Globalisierung verhindert.

Darüber lohnt es sich nachzudenken. Leider haben selbst Harvard-Ökonomen lange die Vorstellung verfolgt, Marktwirtschaft sei, wenn jeder machen kann, was er will. Das ist das verheerende Missverständnis. Erfolgreich kann die Globalisierung aber nur sein, wenn überall die Grundbedingungen hergestellt werden, die dazu notwendig sind. Die meisten Fehlentwicklungen gehen darauf zurück, dass dies nicht ernst genommen wird. Wir sollten Partnerländer, die dafür noch gar nicht reif sind, nicht einfach in unser System integrieren. Wir müssen die notwendigen Phasen der Entwicklung respektieren.

Ein entscheidendes Element der Ungerechtigkeit im Weltfinanzsystem sind auch die so genannten Offshore-Zentren, also die Steuerfluchtplätze für die Reichen. Was spricht dagegen, die Rotlichtzonen des Kapitals einfach abzuschaffen?

Nichts, sie sollten wirklich abgeschafft werden. Es ist allerhöchste Zeit, sie ohne mit der Wimper zu zucken zur Kooperation zu zwingen oder aus den Finanzmärkten auszuschließen.

Hat das die Finanzindustrie nicht selbst in der Hand? De facto sind die Offshore-Zentren doch nur exterritoriale Zonen auf den Festplattenspeichern der Banken.

Na ja, wenn wir es nicht machen, macht es die Konkurrenz. Die Kunden wollen das nutzen, so lange es geht. Wir wären aber froh, wenn wir in abgestimmten internationalen Aktionen mit diesem Quatsch Schluss machen würden. Wir sehen ja in Verbindung mit dem internationalen Terror, wie gefährlich diese Lücken in der internationalen Rechtsordnung sind. Daran kann nach dem 11. September niemand mehr Interesse haben.

Das Interview entnahmen wir in gekürzter Fassung dem heute erscheinenden Buch von Christiane Grefe, Mathias Greffrath und Harald Schumann: „attac. Was wollen die Globalisierungskritiker?“ Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2002, 140 Seiten, 12,90 €. Eine Rezension des Bandes findet sich in der literataz auf Seite XI

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