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Neue Strategie der Spannung

Der Mord am Regierungsberater Marco Biagi fällt in eine kritische Phase der italienischen Politik – und weckt böse Erinnerungen an die Siebzigerjahre

aus Rom MICHAEL BRAUN

Mit einem spektakulären Mord kehrt der Terror auf die politische Bühne Italiens zurück: Direkt vor seiner Haustür im Herzen Bolognas wurde am Dienstagabend der Ökonomieprofessor Marco Biagi mit zwei Genickschüssen getötet. Der an der Universität Modena Lehrende, der wie üblich vom Bahnhof nach Hause geradelt war, fiel zwei Tätern zum Opfer, die nach Zeugenaussagen mit einem Motorrad flüchteten.

Der 51-jährige Biagi war ein nur in Fachkreisen bekannter Arbeitsrechtsexperte. Hinter den Kulissen aber spielte er eine wichtige Rolle. Schon die Mitte-links-Kabinette hatte der Freund Romano Prodis von 1996 an in Arbeitsmarktfragen beraten. Auch Berlusconis Arbeitsminister Roberto Maroni stützte sich auf seinen Sachverstand: Biagi war einer der Autoren des im letzten September von der Regierung vorgelegten Weißbuchs zur Reform des Arbeitsmarktes.

Wohl deshalb gibt es in Italiens Öffentlichkeit nur geringe Zweifel an der Täterschaft der „Roten Brigaden“, obwohl zunächst kein Bekennerschreiben vorlag. Denn der Mord am Dienstag war als makabres Déjà-vu inszeniert: Auch das letzte Mordopfer der Rotbrigadisten, der am 20. Mai 1999 in Rom erschossene Massimo D’Antona, war Fachmann für Arbeitsrecht gewesen und hatte dem damaligen Arbeitsminister als Berater zur Seite gestanden.

Immer wieder waren schon in den Achtzigerjahren Personen mit dem gleichen Profil – Experten, die dem breiten Publikum unbekannt waren, die aber in strategischen Positionen an der Formulierung politischer Entscheidungen mitwirkten – ins Fadenkreuz geraten. Im Kugelhagel der Terroristen starben der Ökonom Ezio Tarantelli (1984) und der Verfassungsrechtler Paolo Ruffilli (1988), einige andere wurden schwer verletzt. Deshalb hatte Biagi bis letzten Herbst Begleitschutz genossen, der aber im Zuge von Sparmaßnahmen der Regierung gestrichen worden war. Das Opfer selbst hatte noch vor einigen Tagen um Personenschutz gebeten – wohl nicht zuletzt, weil ein Geheimdienstbericht vor einem Anschlag „vor allem gegen Experten und Berater der Regierung“ gewarnt hatte.

Wer sich heute hinter den „Brigate rosse“ verbirgt, ist den Fahndern allerdings vollkommen unklar. Sie kennen nur die Namen einiger seit Jahren in Haft sitzender „Unbeugsamer“, während ihnen die Identität der aktiven Terroristen unbekannt ist. Als sicher kann gelten, dass es sich um ein versprengtes Häuflein weniger Kämpfer handelt, die jedoch immer wieder zu ebenso spektakulären wie gezielten Attentaten imstande sind. Diesmal bewiesen die Brigadisten blutige Präzision in der Wahl nicht nur des Opfers, sondern auch des Zeitpunktes: Sie schlugen in einem Augenblick zu, in dem das politische und soziale Klima Italiens wegen der Regierungspläne zur Aufweichung des Kündigungsschutzes hoch gespannt ist. Für den kommenden Samstag mobilisiert der größte italienische Gewerkschaftsbund CGIL zu einer Megakundgebung in Rom gegen die Berlusconi-Regierung (siehe unten).

Obwohl Marco Biagi auch in den Gewerkschaften und in den Mitte-links-Parteien viele Freunde hatte, verteidigte er die Reformpläne der Regierung, wenn er auch deren Konfrontationskurs nicht teilte – und wurde so zum prädestinierten Opfer der Roten Brigaden, die sich mit ihrer Bluttat erneut als selbst ernannte Avantgarde in Italiens gesellschaftlichen Konflikten präsentieren wollen.

Zwar sind die Roten Brigaden in den Protestbewegungen des Landes total isoliert. Zumindest Teile der Rechtskoalition wie auch die Berlusconi-Presse geben ihrer wahnhaften Position jedoch auf ihre Weise Recht. Der Ministerpräsident selbst machte in einer noch am Mordabend verbreiteten Stellungnahme „die Bürgerkriegssprache“ seiner innenpolitischen Gegner für den Anschlag verantwortlich. Der Forza-Italia-Abgeordnete Paolo Guzzanti erklärte im Berlusconi-Blatt Il Giornale all diejenigen, die in den letzten Wochen an den Demonstrationen und Menschenketten gegen seinen Chef teilgenommen hatten, zu moralischen Komplizen der Mörder. Der Jurist Gino Giugni dagegen, der 1982 bei einem Anschlag der Roten Brigaden schwer verletzt wurde, nannte die Verfechter dieser These rundheraus „Kretins“.

Ganz andere Zusammenhänge stellt der frühere Anti-Korruptions-Staatsanwalt Antonio Di Pietro her, der heute als Berlusconi-Gegner in der Politik aktiv ist. Er spricht von der „Rückkehr der Strategie der Spannung“ – jener Terrorstrategie, mit der italienische und ausländische Geheimdienste in den Siebzigerjahren die Linke des Landes diskreditieren wollten. Eine These, die auch von Luca Casarini verfochten wird, dem Sprecher der in den Autonomen Zentren wurzelnden Bewegung der Ungehorsamen: Casarini bezeichnete den Anschlag als „staatlichen Mord“.

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