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Stolz und Fehlurteil

Vor längerer Zeit fuhr ich im Westen Kameruns mit einem Kleinbus (Buschtaxi) vom Bafoussam nach Yaoundé, der Hauptstadt Kameruns. Während der Busfahrer die regennasse und kurvenreiche Straße in der hereinbrechenden Dunkelheit mit halsbrecherischer Höchstgeschwindigkeit bewältigte, lauschten die Insassen – außer mir eine Reihe von Marktfrauen und Studenten – den Abendnachrichten des örtlichen Radiosenders. Der Sprecher des Präsidentenamtes verkündete mit Emphase, dass Kamerun jetzt auch endlich als eines des ärmsten Länder der Welt anerkannt sei und sich damit für die Entschuldungsinitiative der Weltbank qualifiziert habe. [1]Interessant die Reaktion meiner Mitreisenden: Statt freudiger Zustimmung gab es erregte und empörte Kommentare: Da könne man sehen, wie unfähig die Regierung sei. Zunächst habe sie ein reiches Land so abgewirtschaftet, dass es nun als „arm“ qualifiziert würde. Und jetzt sei sie auch noch stolz darauf, zum Almosenempfänger zu werden.

Nun sind die Bamilike aus dem Westen Kameruns – und meine BegleiterInnen kamen ausschließlich aus dieser Gegend – bekannt für ihre Tüchtigkeit, ihren Geschäftssinn und ihre Opposition zur Regierung. Sogar ein Kleinbauer mit nur einem Hektar Land wird zwar über die Preise für die Schuluniformen seiner Kinder oder für Arzneimittel schimpfen, aber nicht auf die Idee kommen, sich als arm und hilfsbedürftig zu bezeichnen. Die spontane Reaktion der Bamilike auf die Nachricht des Schuldenerlasses verweist auf ein grundlegendes Strukturproblem Kameruns. Aus durchaus nachvollziehbarer Furcht, dass die Dynamik und der wirtschaftliche Erfolg der Bewohner der Grasslands zu massiven ethnischen Konflikten führen könnte, sind Regierung und Präsident seit Jahr und Tag damit beschäftigt, das Entwicklungspotenzial ihrer aktivsten Bevölkerungsgruppe so auszubremsen, dass höchstens die Hälfte davon zur Entfaltung kommt. Die Folge ist ein erhebliches Maß an Stagnation und Resistenz gegenüber Reformen.

Manche, so auch ein amerikanisches Unternehmen, das im Rahmen der Privatisierung den staatlichen Elektrizitätsversorger Sonel erworben hat, meinen, sie könnten mit der in Jahrzehnten praktizierten staatlichen Misswirtschaft über Nacht aufräumen, ohne auf den Stolz und die Selbstachtung ihrer qualifizierten kamerunischen Mitarbeiter Rücksicht nehmen zu müssen. Im Hauruckverfahen wurde das gesamte Top-Management von Sonel gegen US-Amerikaner ausgetauscht. Die Konsequenzen ließen nicht lange auf sich warten: Sabotageakte legten die Turbinen eines Kraftwerks in der Industriemetropole Douala lahm. Auch alle Personalakten gingen in Flammen auf. Monate später muss Douala immer noch mit täglichen Rationierungen der Stromversorgung leben. [2]Das Drängen der Weltbank auf rasche Privatisierung und deren unreflektierte Umsetzung hat zunächst zu deutlich mehr und nicht zu weniger Problemen geführt.

Dass es anders geht, zeigt ein kamerunischer Unternehmer, Michel Fotso, der seit etwas mehr als einem Jahr die staatliche Fluggesellschaft Camair leitet. Als Michel Fotso die Leitung von Camair übernahm, war diese völlig heruntergewirtschaftet und überschuldet, Verspätungen an der Regel, der Service berüchtigt, die Absturzgefahr real, und dies, obwohl das Unternehmen über sehr gute kamerunische Piloten und Techniker verfügte. Dies hatten die meisten der weißen Experten und Generaldirektoren demonstrativ ignoriert: Wer es sich leisten konnte, flog nicht mit Camair. Michel Fotso, ältester Sohn der lebenden Legende Victor Fotso [3], dessen Aufstieg zu einem der reichsten Männer des Landes eine klassische Tellerwäschergeschichte ist, erklärte zunächst, dass er solange ohne Gehalt arbeiten wolle, bis Camair wieder Gewinne einfliegen würde. Er verzichtet konsequent auf alle ihm zustehenden Privilegien: Haus, Wagen mit Chauffeur, Kreditkarte. Sein Sanierungspaket beinhaltete zunächst, dass konsequent alle Rabatte und Freiflüge – ein beliebtes Mittel verbreiteter Patronage – gestrichen wurden. Folge: Die Auslastung von Camair sank um 30 Prozent bei gleich bleibenden Umsatz. Gleichzeitig wurde das Personal um 35 Prozent bei Zahlung der gesetzlich vorgesehenen Abfindungen abgebaut, der Rest des Personals verzichtete für ein Jahr auf 20 Prozent seines Gehalts. Bei der Umsetzung des Programms stützte sich Michel Fotso weitgehend auf das vorhandene Management. Nur für das Controlling brachte er neue Leute von außen in das Unternehmen. Die Ausgewogenheit des Sanierungsprogramms war so überzeugend, dass es keine Streiks gab. Im Gegenteil, man spürte, dass die Mitarbeiter wieder stolz auf ihr Unternehmen wurden, Service und Freundlichkeit des Kabinenpersonals sind heute für kamerunische Verhältnisse ungewöhnlich. Und das Unternehmen hat Erfolg, schafft neue Flugzeuge an, dehnt sein Streckennetz aus, ist bemerkenswert pünktlich geworden. Auf den Versuch von Air France, die Angst um ihr Quasimonopol hat, die Flugzeuge von Camair in Paris unter allerlei Vorwänden für Stunden festzuhalten, reagierte das Camair-Personal in Douala mit Gegenmaßnahmen: Die Air-France-Maschinen wurden in Douala ebenfalls nicht für den Start freigegeben. Diese Form selbstbewusster Gegenwehr veranlasste schließlich den Goliath Air France zum Einlenken. Damit dürfte die endgültige wirtschaftliche Sanierung von Camair in absehbarer Zeit sichergestellt werden können. Im letzten Dezember feierte die Belegschaft zusammen mit ihrem Chef und dem afrikanischen Starsaxofonisten Manu Dibango ausgelassen den vierzigsten Geburtstag ihrer Gesellschaft.

Es ist ein Grundzug unserer Entwicklungszusammenarbeit (nicht unbedingt der deutschen Außenpolitik), dass sie das Kreative, Gestalterische und Unternehmerische ihrer afrikanischen „Partner“ weitgehend verkennt. Es gibt heute in praktisch allen afrikanischen Staaten gut ausgebildete und engagierte Fachleute, Beamten, Diplomaten und Unternehmer. Dennoch wird man immer wieder feststellen, dass viele Fachkräfte aus dem deutschen Entwicklungshilfeapparat, die jahrelang vor Ort in Afrika gearbeitet haben, kaum anhaltende Freundschaften mit Afrikanern geschlossen haben. Evaluierungsmissionen zur Identifizierung von neuen Projekten und Programmen schaffen es, zwei Wochen im jeweiligen Land umherzureisen, ohne mit herausragenden Vertretern der lokalen Zivilgesellschaft geredet zu haben. Stattdessen bewegen sie sich immer noch gern im Kreise von ihresgleichen, das heißt, man kontaktiert vorzugsweise die VertreterInnen der anderen „Geber“ vor Ort.

Diese Form der Missachtung der Partner – in 90 Prozent der Fälle dienen denn auch die Regierungsverhandlungen zwischen den „gleichberechtigten Partnern“ dazu, das festzuklopfen, was sich das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) zuvor als Priorität ausgeguckt hat – hat ihren Preis. Die verbreitete, extrem zähflüssige Bearbeitung von Entwicklungsvorhaben kontrastiert bemerkenswert mit der immer wieder demonstrierten Fähigkeit der Afrikaner, die Sachen zügig voranzubringen, die ihnen wirklich wichtig sind: So stellt die Organisation des letzten Afrika-Cups durch Mali in jeder Hinsicht eine beachtliche organisatorische, finanzielle und bauliche Leistung dar, ohne dass es dazu der Hilfestellung allzu vieler „Entwicklungshelfer“ gebraucht hätte.

Interessant auch die Beobachtung, dass es afrikanische Partner, die sich in ihren Ländern auf unterschiedlichen Gebieten Anerkennung und Prestige erworben oder erkämpft haben, zum Teil ohne große Korruption schaffen, wichtige Vorhaben auf den Weg zu bringen, während es auf der anderen Seite geradezu Volkssport ist, „die Weißen“ abzuzocken.

Nun beschränkt sich der strukturelle Paternalismus nicht nur auf pensionierte Ministeriale des BMZ, die in langatmigen Aufsätzen ausführen, warum die minutiöse Kontrolle eines jeden Projektes der Entwicklungszusammenarbeit ein großer Fortschritt sei, der auf keinen Fall aufgegeben werden dürfe. Auch die Szene der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) ist davon nicht frei. Zwar ist es völlig richtig – und unter gleichberechtigten Partnern auch eine Selbstverständlichkeit –, dass bei einer Änderung der Konditionen eines Vertrags – so bei der Entschuldung – darüber verhandelt wird, wofür das frei werdende Geld denn verwendet werden soll. Nicht nachvollziehbar ist allerdings, wenn NGOs darauf dringen, dass diese Verwendungskontrolle über neu eingerichtete Institutionen an den gewählten Parlamenten vorbei abgewickelt werden soll. Da betreiben NGOs nicht nur Selbstbeschäftigung, sie erschweren auch den schwierigen Prozess der mühseligen Bildung von selbstbewussten Institutionen. Und wer genau hinsieht und seine Partner ernst nimmt, wird feststellen, dass sich viele afrikanische Parlamentarier Stück für Stück mehr Rechte und Souveränität erkämpfen.

Die sich ausbreitende Erkenntnis, dass „ownership“ [4]– ein Begriff, der auch von IWF und Weltbank wortgewaltig propagiert wird – der Schlüssel zu nachhaltiger Entwicklung ist, muss endlich praktische Konsequenzen haben. Dass Wort und Tat dramatisch auseinander klaffen, zeigt erst kürzlich die von den US-Amerikanern im Rahmen der Terrorismusbekämpfung erfolgte Zerschlagung der somalischen Barakaat-Bank. [5]

Diese Bank, eine Gründung von vielen Dutzenden von somalischen Geschäftsleuten, hat weltweit ein gut funktionierendes und auf Vertrauen basierendes Geldüberweisungssystem, insbesondere von der somalischen Diaspora in die Heimat, aufgebaut. Ihre Zerschlagung erfolgte, weil einige wenige Gründungsmitglieder Kontakte zu Bin Laden unterhielten. Durch ein angemessenes Vorgehen hätte man diese Kontakte auch unter Einbeziehung der Bank unterbinden können. So wurde einem funktionierenden afrikanisches Eigengewächs in wenigen Tagen der Garaus gemacht. Die verheerende Auswirkung, die diese Maßnahme auf den Stolz der Besitzer und Kunden dieser Bank hatte, kann man nur erahnen.

Zusammenarbeit mit Afrika muss demgegenüber das Ziel haben, funktionierende afrikanische Strukturen und Unternehmen systematisch zu stärken. Es sollte nicht so laufen wie beim Bau der Erdölpipeline vom Tschad an die Küste Kameruns. [6]Dieser Bau ist international nur unter ökologischen Gesichtspunkten kritisiert worden. Demgegenüber hat auch in der NGO-Community wenig Beachtung gefunden, dass nur sehr wenig Auträge bei lokalen kamerunischen Unternehmen angekommen sind. So werden die Schweißer von weit her eingeflogen, obwohl es in Kamerun viele qualifizierte Facharbeiter gibt, die mit geringem Aufwand hätten geschult werden können und die die expandierende lokale Werft später mit Kusshand genommen hätte. Während Umweltauflagen bei Entwicklungskrediten heute zum Standard gehören, sucht man gerade auch in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit vergeblich nach Bestimmungen, die eine vorrangige Vergabe von Aufträgen an lokale Unternehmen vorsehen.

Unter rot-grüner Ägide hat das Thema Konfliktprävention einen neuen, gewichtigen Stellenwert bekommen. Zunehmend werden Entwicklungsvorhaben daraufhin untersucht, ob sie Konfliktpotenziale abmildern oder verstärken. Eine in diesem Zusammhang noch wenig untersuchte Fragestellung ist, ob eine Privatisierungspolitik, die alle großen Unternehmen eines Landes in ausländische Hände überführt, nicht den sozialen Frieden gefährdet und Instabilität geradezu fördert. Die Weltbank muss dringend darauf achten, dass lokale Investoren mit Hilfe innovativer Konstruktionen bei Privatisierungen auch eine reale Chance erhalten, auch wenn dies mühselig ist und Zeit erfordert. Black empowerment ist nicht nur in Südafrika angesagt.

Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit kann viel von den Briten lernen. Diese gehen beispielsweise in Uganda systematisch dazu über, mit ihren Partnern über Budgetzuschüsse und konkrete Ziele und Erfolgskriterien zu verhandeln. Die Ausführung dieser Zielvorgaben bleibt dann den ugandischen Ministerien in Eigenverantwortung überlassen. Mitarbeiter der Botschaft beschränken sich darauf, regelmäßig im Dialog mit ihren ugandischen Counterparts die Zielerfüllung zu kontrollieren. Diese Programme beginnen, zum Beispiel bei der flächendeckenden Einführung der Grundschulbildung, reale Erfolge aufzuweisen. Die deutsche Entwicklungshilfe mit ihrer bürokratischen Vielfalt, ihren zahllosen Projekten und Vorgaben orientiert sich dagegen am Vorbild des deutschen Schulwesen. Dies zeichnet sich dadurch aus, dass den Lehrern bis ins Detail vorgeschrieben wird, was sie wann mit welcher Methode zu unterrichten haben. Das Ergebnis ist Mittelmaß, während Länder, die auf Zielvorgaben setzen und es ansonsten den Schulen überlassen, deren Umsetzung eigenverantwortlich zu gestalten, Spitzenergebnisse produzieren. Und im Gegensatz zu dem verbreiteten Gejammer und Selbstmitleid im deutschen Schulwesen, findet man in den Schulen der Länder mit Spitzenergebnissen Spaß, Kreativität, Stolz auf die eigene Leistung.

Es ist ein verbreitetes Fehlurteil, dass es in der Kooperation mit Afrika in erster Linie um mehr Geld ginge. Es könnte schon verdammt viel erreicht werden, wenn das gesamte Instrumentarium wirtschaftlicher Kooperation mit Afrika so neu gestaltet werden könnte, dass systematisch die Kreativität, das Leistungspotenzial und unternehmerischer Wagemut von Afrikanern gefördert werden könnte. Nur stolze und selbstbewusste Partner werden in der Lage sein, die immensen Probleme ihrer Länder schrittweise zu lösen.

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