Bis Oberkante Unterlippe

Fußball-Zweitligist Karlsruher SC befindet sich wieder einmal in einem Finanzchaos. Nun will der ehemalige Karlsruher Oberbürgermeister Gerhard Seiler als Präsident für Ordnung sorgen

Der KSC-Trainer sagt: „Tiefer kann man nicht sinken. Das war ganz unten.“

aus Karlsruhe FRANK KETTERER

Die Spieler hatten es ganz bestimmt nur gut gemeint, als sie just vor einer Woche via Lokalpresse hatten verbreiten lassen, ab sofort und bis bis zum Saisonende großzügig auf jedwede Punktprämie verzichten zu wollen. Eine Solidaritätsbekundung an ihren Arbeitgeber sollte das sein – und gleichsam Schutz gegen die aufkeimende Stimmung im Lande, sie seien nichts als dreiste Abzocker, die sich einen ziemlichen Dreck scheren um Wohl und Wehe des Karlsruher SC. So richtig angekommen schien die Botschaft der Mannschaft aber nicht zu sein, jedenfalls nicht drüben in der Kurve, wo im heimischen Wildpark jene stehen, die wieder einmal viel leiden müssen in diesen Tagen. „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, war eben dort in großen Buchstaben auf weißes Laken gepinselt zu lesen, und gleich daneben die Niederlagen der jüngsten Vergangenheit: 1:4, 1:3, 1:2, 0:2, 0:1. Diese Pleitenserie zu Grunde gelegt, wäre wahrlich nicht viel an Prämie zusammengekommen, auf die die Zweitligakicker aus dem Badischen seit Februar hätten verzichten können. Deren Solidarität, so muss das bei den Fans angekommen sein, hält sich also doch in engen Grenzen. Schon zur Pause – bei neuerlichem Rückstand von null zu zwei Toren – entrollten sie deshalb Spruchband Nummer zwei: „Der Herr vergibt, wir nicht!“

Sonderlich gerechtfertigt fand Trainer Stefan Kuntz die Parolen gegen seine Spieler später nicht (zumal sein Team die Partie gegen LR Ahlen mit einem 2:2 gerade noch so hingebogen hatte). „Dieses Zeichen von der Mannschaft lasse ich mir nicht kaputtmachen“, sagte der ehemalige Nationaltorjäger, der den KSC in der Vorsaison von der Regional- in die zweite Liga geführt hatte, nun aber mittendrin steckt im Abstiegskampf, jedenfalls. Für die unterirdische Leistung in Halbzeit eins fand aber auch der 39-Jährige keine beschönigenden Worte mehr. „Tiefer kann man nicht sinken“, analysierte Kuntz. „Das war ganz unten.“

Die Worte kann man als Zustandsbeschreibung für den ganzen Verein duchgehen lassen. Dem badischen Traditionsclub, der vor sechs Jahren Jahren noch im Uefa-Cup mitwirkte, steht das Wasser nämlich auch aus wirtschaftlicher Sicht bis Oberkante Unterlippe. Schon wieder – und somit das zweite Mal binnen zweier Jahre. Damals hatte Roland Schmider, 25 Jahre lang Präsident, den KSC an den Rand des Ruins getrieben, lediglich die Millionen des Münchner Sportrechtehändlers Michael Kölmel sicherten das Überleben. Schmiders Nachfolger, der Karlsruher Steuerberater Detlef Dietrich, hat nun auch dieses Geld durchgebracht, bevor er Ende Februar das sinkende Schiff verließ und von heute auf morgen zurücktrat. Offizieller Grund: Die „negative Berichterstattung“, wegen der ein potenzieller Kreditgeber von seinem Engagement in Höhe von 1,8 Millionen Euro Abstand genommen habe. „Meine Motivation ist auf null gesunken“, begründete Dietrich seinen Schritt: „Ich lasse mich nicht ständig mit Dreck bewerfen – wo ich doch Tag und Nacht für den KSC gearbeitet habe.“

Zumindest der Ertrag dieser Arbeit wird rund um den Adenauerring mittlerweile als eher gering eingeschätzt. „Er hat den Verein ins totale Chaos gestürzt“, sagt etwa Wernfried Feix, Verwaltungsratsvorsitzender aus glorreichen Uefa-Cup-Tagen. „Die Hausaufgaben wurden nicht gemacht, und der Haushalt im letzten Juni wurde offensichtlich falsch aufgestellt“, bilanziert Verwaltungsratchef Peter Mayer. Die wirtschaftlichen Verfehlungen unter Dietrichs Regentschaft kamen freilich nur scheibchenweise ans Licht. Mal wurden einem Architekten, der bei der Planung eines neuen Stadions involviert war, rund 250.000 Euro Vorkasse in den Rachen geworfen, was laut Verträgen keineswegs erforderlich gewesen wäre (zumal der Bau längst zurückgestellt ist). Dann wieder bekam Geschäftsführer und Dietrich-Atlatus Wilfried de Buhr einen hauptamtlichen Stellvertreter zur Seite gestellt, der jährlich mit rund 100.000 Euro zu Buche schlägt; zudem wurde bereits zu Regionalligazeiten zu gleichem Gehalt ein Mann fürs bundesweite Merchandising eingestellt, der rein zufällig ein Freund des Geschäftsführers war. Im Gegenzug leistete man sich fürs Sportliche eine abgehalfterte Altsturmkraft: Bruno Labbadia, 36, verdient im Badischen allein rund 500.000 Euro Grundgehalt pro anno, soll dem Vernehmen nach aber zusätzliche 15.000 Euro pro Einsatz kassieren, was sich bei seinen bisher 26 Saisonspielen zu weiteren 390.000 Euro aufaddiert. Immerhin: Labbadia hat schon drei Mal ins Tor getroffen.

Die KSC-Fans sagen: „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“

Alles in allem summierten sich solche und andere wirtschaftliche Eskapaden zu einer beeindruckenden Minusbilanz des zurückgetretenen Präsidenten: Als Dietrich vor zwei Jahren sein Amt antrat, hatte der KSC dank Kölmel ein Plus von 8,5 Millionen Mark auf der Kante, als er schließlich ging, fehlten allein rund 1,7 Millionen Euro, um nur die dringlichsten Verbindlichkeiten begleichen zu können – und nicht sofort Insolvenz beantragen zu müssen. Um die Saison zu Ende bringen zu können, fehlten insgesamt gar satte 3,5 Millionen Euro. Banken und Wirtschaft rund um Karlsruhe sowie die Stadt hatten das Vertrauen in den bisweilen hochnäsig auftretenden Steuerberater ob dieser Zahlen längst verloren; dass sich Dietrich über die mangelnde Unterstützung auch noch öffentlich beklagte und sich als Mobbing-Opfer gerierte, passt nur ins Bild. Sein Rücktritt dürfte vielen in Karlsruhe deshalb wie eine Erlösung vorgekommen sein.

Zumal sein Nachfolger der erste Präsident seit rund drei Jahrzehnten zu sein scheint, dem es allein um den Verein geht – und nicht um persönliche Eitelkeiten. Was schon daraus ersichtlich wird, dass Gerhard Seiler, 71 Jahre alt und bis vor vier Jahren Oberbürgermeister der Stadt Karlsruhe, eher zu seinem Glück überredet werden musste. Zwar amtiert Seiler derzeit noch als Notpräsident und muss erst noch ordentlich gewählt werden, dafür aber hat der ausgewiesene Finanzexperte in seinem gut einmonatigen Wirken schon so manches bewirkt. „Die Stadt ist über ihren Schatten gesprungen und hat für die Investitionen, die der KSC im Wildpark tätigte, eine Million Euro erstattet“, kann Seiler mittlerweile vermelden, auch die Banken wollten da nicht zurückstehen – und übernahmen Bürgschaften in Höhe von 1,8 Millionen Euro. „Wir sind am Abgrund vorbeigegangen“, fasst Seiler zuammen. „Doch bis zur finanziellen Gesundung des KSC bleibt noch ein gutes Stück Weg zurückzulegen.“ Das Einsparen von Punktprämien dürfte dazu kaum ausreichen.