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Erinnerung an andere Wege

■ Keine RAF-Geschichte: Franz-Maria Sonner liest heute im Literaturhaus aus „Die Bibliothek des Attentäters“

Als Franz-Maria Sonners Die Bibliothek des Attentäters vorigen Herbst erschien, tropften dessen Sätze schon bald in die aufgeladenen Debatten um die Anschläge des 11. September. „Innere Überzeugung gab es bei Jakob angesichts des nun Anstehenden nicht mehr. Alles war gedanklich so präpariert, dass es schon der Vergangenheit angehörte. Jakob hatte sich auf einer vorgezeichneten Bahn selbst beschleunigt, deren Endpunkt gegeben war.“ Solche Beschreibungen der Bewusstseinszustände seines Protagonisten, des Attentäters Jakob Amon im Augenblick der Tat, griff die Presse auf ihrer Suche nach Rationalisierungen des gerade Geschehenen begierig auf.

Der Münchner Schriftsteller Franz-Maria Sonner, zuvor nur wenigen als Autor von Erzählungen und Hörspielen bekannt, sah sich plötzlich als Experte behandelt und von der Welt sogar zum Thema WTC-Attentate interviewt. Dabei, so betonte er dort stoisch, habe er nicht nur seinen Roman vorher fertig gestellt, sein „Attentäter“ sei darüber hinaus auch einer wider Willen. Denn Jakob Amon wollte Karmann, den Industriellen mit Nazi-Vergangenheit bloß verletzen.

Viel eher schon schwimmt Sonner auf der jüngsten Welle fiktionaler Auseinandersetzungen mit der Rote Armee Fraktion. Doch ihm ist ausnahmsweise dabei eine gut konstruierte, in den his-torischen Details genau recherchierte und vor allem intelligente Art der Geschichtsbearbeitung gelungen. Der erdachte Dokumentarfilmer Amon hat sich einer Mitarbeit bei der RAF verweigert, aus den guten Gründen, die seinerzeit viele hatten: „Aber wie geht das, das System mit einem bestimmten Menschen zu identifizieren, den ich abschieße? ... Wo bleibt die soziale Frage? Und die Suche nach einem neuen, freien Leben? ... Nein, habe ich gesagt, ihr müsst das ohne mich tun, ich kann das nicht.“ Und so geht er den Weg eines „Einzeltäters“, der nur die ganz persönliche Verantwortung der Person, auf die er zielt, in Betracht zieht.

Dies datiert Sonner auf den Beginn der 80er Jahre, als Plotbeschleuniger dient ihm die Auflösungserklärung der RAF im April 1998. Und um sie herum errichtet Sonner ein geschicktes und temporeiches Puzzle aus Voraus- und Rückblenden, zusammengesetzt aus den wechselnden Perspektiven einer Handvoll beteiligter Personen. Wichtigster Gegenspieler Amons ist der ehemalige BKA-Beamte Bärloch, zusammengesetzt aus dem realen „Terroristenjäger“ Horst Herold und Friedrich Dürrenmatts Inspektor Bärlach. Und der stellt dem Täter von damals noch Jahre später nach. Dieser und andere Bibliothekare des Attentäters treiben den Roman mehr und mehr in die Nähe des Krimis. Das erhöht zwar die Spannung, doch vermutlich haben gerade dessen Regeln Sonner zu der plumpen Gegenüberstellung zweier sich zunehmend ähnelnder Kontrahenten getrieben. Im Gegensatz zu Himmelfahrt eines Staatsfeindes von F. C. Delius, dem die Geschichte der RAF auf den Konflikt zwischen Herold und Baader zusammenschnurrt, bedeutet das hier aber nur ein kleines Manko des Romans.

Christiane Müller-Lobeck

Lesung heute, 19.30 Uhr, LiteraturhausFranz-Maria Sonner: Die Bibliothek des Attentäters, München 2001, 215 S. 18,90 Euro

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