Fragezeichen öffnet Ausrufezeichen

Beim zweiten Intermedium-Festival im Karlsruher ZKM ging es um „X oder 0: Identitäten im 21. Jahrhundert“. Dabei spiegelt sich in den Installationen, Hörspielen und Medien-Environments vor allem das unendliche Variationspotenzial im Umgang mit Kommunikationstechniken

Fragen über Fragen. Die Intermedium 2 in Karlsruhe stellte selbst viele in den Raum. Die erste steckte schon im Thema der zweiten Biennale für Hörspiel und Medienkunst, die von der Abteilung Hörspiel und Medienkunst des Bayerischen Rundfunks und dem Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) veranstaltet wurde: „X oder 0: Identitäten im 21. Jahrhundert“.

Nur die Autorin Kathrin Röggla formulierte auf der Podiumsdiskussion „Mixed identities“ ein Unbehagen am Begriff „Identität“ überhaupt – statt Souveränität impliziere er eher Zwänge und Festschreibung. Dem Festival kann man das nicht vorwerfen. Im Gegenteil. Mit großer Lust zelebrierte es X und X und noch mal X: Nicht nur thematisch zeigte es sich unendlich variabel, sondern auch formal. Ausgangspunkt war einmal das Hörspiel, das von der Radiokunst zur Medienkunst avancierte: zum Hörstück, zur Performance, zur Installation, zum Enviroment – also zur intermedialen Mischform von allem; visualisiert wird das Ganze über Bildschirm, Leinwand oder auf der Bühne.

So inszenierte Stefan Kaegi sein Stück „Glühkäferkomplott“ mit drei Schauspielern, das imposante Bühnenbild stammt aus einem trashigen Endzeitszenario, die Handlung ist nur mit Hilfe des Programmheftes zu verstehen: Silvia und Reto kämpfen im Untergrund gegen globale Werbekampagnen, an verdrahteten alten Schreibtischen basteln die beiden aus Haushaltsutensilien und Lebensmitteln seltsame Waffen, während ein Insektenforscher Borkenkäfer projiziert, die sich durch ein auf Holz aufgezogenes Plakat von Kate Moss fressen. Sich gegen Reglementierung und Effizienzdenken in Ungeziefer zu verwandeln, ist so neu nicht, aber das Spektakel war kurzweilig und glänzte mit vielen hübschen Einfällen.

Ein anderes Extrem: Das Projekt „ . . devolve into II . .“, initiiert vom Medienkünstler Peter Courtemanche, der auch in Karlsruhe arbeitet, zeigt verschwommene Dias, die beklemmenden Bilder aus einer Wohnung erinnern an David Lynch. Ein elektronisch generierter Wall of Sound steht für die Radioübertragung, der Bilderstrom soll dazu parallel online laufen. Verstreut über den Erdball beteiligen sich interaktiv 13 Künstler an dem Projekt. Allein die Vorführung auf einer Leinwand im Saal kann die Faszination eines „kollaborativen Netzwerkes“ nicht vermitteln. Ein Dilemma, in dem sich Netzkunst befindet: Wie lassen sich globale und interaktive Netzwerke ästhetisch und punktuell darstellen, ohne dass auf allzu plakative Signale zurückgegriffen wird?

Das Hörstück „Staubmarsch“ bewegt sich zwischen beiden Extremen: Auf drei Videoleinwänden klatschen Gegenstände auf eine verputzte Wand, ein Industriesauger frisst Staubschichten von einer weißen Platte, Stimmen wie aus einer Heimwerkersendung erzählen von der zerstörerischen Kraft des Staubes, der überall eindringt: „Wir atmen jeden Tag … Wahnsinn.“ Inmitten ihrer Installation spielen Ottmar Hörl (Professor für bildende Kunst in Nürnberg) und die beiden Ensemble-Modern-Mitglieder Rainer Römer und Dietmar Wiener mit Livemusik gegen den Staub an. „Staubmarsch“ hat mit seinen von der Avantgarde beeinflussten Sounds genügend akustisches Potenzial, um auch durchs Radio zu wirken. Was aber hat das Stück mit dem Thema Identität zu tun?

„Staubmarsch“ ist einer der drei Preisträger des mit 12.000 Euro dotierten und vom BR gestifteten Preises der Intermedium 2. Wie er gedrittelt wurde, sagt schon einiges über die Vielfalt und die Heterogenität der Projekte aus, die von ARD-Rundfunkanstalten, DRS, ORF und dem ZKM ins Rennen geschickt wurden. Aber auch dass es keinen herausragenden Beitrag gab, der die Kriterien Intermedialität und eine „spezielle akustische Komponente“ vorbildlich erfüllen konnte.

Ein Indiz mehr dafür, dass die akustische Komponente auf dem Festival etwas zu kurz kam, ist die Auszeichnung von „91v.2.0 a sophisticated soireé“. In einer hübschen, retrofuturistischen Lounge werden die Besucher mit Klebeelektroden ausgestattet, die Pulsfrequenz beeinflusst über einen Computer Licht und Musik. Eine in sich stimmige und originelle Idee, nur war „der biologisch gesteuerte Kreislauf von Pulsschlag, Sounds und Visuals“ schon auf der Ars Electronica oder bei den Berliner Festspielen zu spüren.

Zwei diskursive Veranstaltungen fingen die Unterrepräsentation von Sound ein wenig auf: Beim „Tonkopf-Duett“ spielten sich der Schriftsteller-Musiker Thomas Meinecke und der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit Platten von Sun Ra vor, um zu zeigen, dass ein ganzes Jazzorchester zwischen New Orleans, Disko und Free Jazz – also Identitäten – wechseln kann. Die DJs und Musiker Hans Nieswandt und David Moufang alias Move D fragten sich, ob der Sampler die Identität des Musikers verändert habe, und kamen zu dem Schluss, dass er die Musik verändert hat. Doch die kleinen Personality-Musik-Shows fanden regen Zuspruch beim Publikum.

Ihre Spontaneität und Lockerheit hätte man auch den Podiumsdiskussionen gewünscht, die in starrem Frage-und-Antwort-Ritual oft gesagte und gehörte Häppchen zur Identität servierten – kurze Momente, in denen der schnöde und auch zwanghafte Rundfunkalltag das angenehm unprätentiöse Festival leider wieder einholte. Aber wie sagt der Steppke, der in Benjamin Heisenbergs Videoinstallation „Bombenkönig“ Instruktionen für Gameboys gibt: „Dieses Ausrufezeichen kann nur durch ein Fragezeichen geöffnet werden.“ Nachzutragen wäre noch der dritte Preisträger des Festival: Die Installation „[DPsNTN] = Displaced Persons say nothing to Nobody“ von Christian Lahr. Ein weißer Raum spielt mit Kommunikation, Voyeurismus und Überwachung – eine von fast einem Dutzend Installationen, die noch bis zum 5. Mai im ZKM zu sehen sind. Wer sich in Karlsruhe mit virtuellen Welten, Identitäten, Radiokunst eingehend befassen will, sollte eines mitbringen: viel Zeit.

JOACHIM SCHNEIDER