: Lange Jahre Vulkanese, jetzt Asbestose
■ Bei 600 ehemaligen Werft-Mitarbeitern besteht Verdacht auf die Lungenkrankheit / Neues Buch erschienen
Erst stirbt der Vulkan, jetzt der Mensch. Bei 591 der ehemaligen Vulkan-Mitarbeiter besteht Verdacht auf Asbestose. Dies ergab eine Auswertung der „Beratungsstelle für Berufskrankheiten ehemaliger Vulkanesen“. „Manche Schiffe waren steif vor Asbest“, sagte Rolf Spalek, Ex-Betriebsrat des Vulkan. Spalek ist Ko-Autor des gestern vorgestellten Buches „Am Ende ein neuer Anfang? Arbeit, Gesundheit und Leben der Werftarbeiter auf dem Bremer Vulkan“ (VSA Verlag, 15,50 Euro).
Rund 1.500 Beratungsgespräche hat er in den letzten zwei Jahren geführt. Und viel Leid erlebt. Ob Werkzeugmacher, Schlosser oder Elektriker – viele sind von der mitunter tödlich verlaufenden Lungenkrankheit Asbestose betroffen. Spalek hilft den Arbeitern bei Anträgen an die Berufsgenossenschaft – damit sie wenigstens die Chance auf eine Reha-Maßnahme oder sogar auf eine Zusatzrente bekommen.
Und er hat Beweise. So maß das Gewerbeaufsichtsamt beim Bau einer Fregatte Lautstärken bis zu 110 Dezibel – fast so laut wie ein Jumbo-Jet beim Start. Mehrfach wurde auch die Asbestbelastung auf der Werft ermittelt. „Beim Umbau der Kungsholm 1978/79 wurden die Grenzwerte bis zu 40fach überschritten“, sagt der Ex-Vulkanese.
Auch Arbeiter, die nicht beim Vulkan malochten, sind betroffen. So kam vor sechs Wochen eine Frau in sein Büro, die nach zwei Jahren Arbeit in einer Jutefabrik über Asbestose klagte. Spalek: „Sie musste damals benutzte Säcke aus dem Hafen umnähen. Die waren vorher voller Asbest gewesen.“
Am 15. August 1997 machte der Vulkan für immer dicht. Doch erst jetzt müssen viele Arbeiter richtig zahlen. Lange setzten Stress, Krach, Schweißergase und eben Asbest der Gesundheit der zuletzt 2.000 Vulkanesen zu. Heute sind es die Folgen der Knochenarbeit und die psychosomatischen Auswirkungen der Arbeitslosigkeit, mit denen die ehemaligen Werftarbeiter zu kämpfen haben. Arbeiten macht krank – nicht arbeiten dürfen noch viel mehr.
Nachzulesen im neuen Vulkan-Buch, das auf einer repräsentativen Studie des Zentrums für Sozialpolitik der Universität Bremen fußt. Unterstützt haben das Projekt die Hans-Böckler-Stiftung, der kirchliche Verein „Arbeit und Zukunft“ sowie die IG Metall.
„Bei den Asbesterkrankungen werden wir die Spitze wegen der langen Latenzzeit erst im Jahr 2017 erreichen“, sagte Wolfgang Hien vom Zentrum für Sozialpolitik. Dennoch hat sich bereits jetzt die Quote der Atemwegserkrankungen auf 27 Prozent mehr als verdoppelt. Auch die Zahl der Magen-Darm-Schäden bei ehemaligen Werftarbeitern hat seit dem Konkurs um mehr als die Hälfte zugenommen. Jeder dritte der für die Untersuchung befragten 520 ehemaligen Werftarbeiter klagte zwei Jahre nach der Pleite über Symptome im Magen-Darm-Bereich. Vorher war es jeder Sechste gewesen.
„Der Vulkan ging den Bach runter, und meine Gesundheit ging auch den Bach runter“, sagte einer der Befragten im Interview. „Jetzt weiß ich erst, was die Gesundheit wirklich wert ist.“ Wie ihm ging es offensichtlich vielen anderen. Auch die Zahl der Wirbelsäulen-schäden bei Ex-Vulkanesen hat sich innerhalb von nur zwei Jahren verdoppelt: Bei der Befragung im Herbst 1999 waren davon 63 Prozent der Beschäftigten betroffen. 1997 waren es 35,1 Prozent. Die Zahl der Atemwegserkrankungen stieg im gleichen Zeitraum von 13 auf 27, die der Gelenkerkrankun-gen von 25 auf 30, der Anteil der Vulkanesen mit psychischen Problemen stieg von sechs auf zehn Prozent.
„In den 70er Jahren gehörte der Vulkan zu den ersten Betrieben, der die Auswirkungen des Asbesteinsatzes thematisierten“, sagte Hien. „Heute müssen wir feststellen, dass das nicht gereicht hat. Die Vulkan-Belegschaft ist im Schnitt weniger gesund als andere Industriearbeiter in Deutschland.“
Die Hauptleidtragenden sind die Älteren. Ende 1999, zum Zeitpunkt der Untersuchung, waren 56 Prozent der 50- bis 59-Jährigen ohne Job. „Sie sind noch zu jung für die Rente und zu krank für eine neue Arbeit“, betonte Hien. Trotz vieler Demütigungen bei der Arbeitssuche hätten nur wenige aufgegeben. „Viele bauen ihr Haus um, leisten Nachbarschaftshilfe oder betätigen sich in Vereinen“, hat der Sozialforscher herausgefunden.
Insgesamt sind die Vulkanesen höchst unterschiedlich mit dem Ende ihres Arbeitgebers umgegangen: Hien teilt die Entlassenen in vier Typen ein: Die Resignierten, die Traumatisierten, diejenigen, die sich unter Kontrolle haben („jemanden wie mich haut nichts um“) – und die Kreativen. Das ist einer der wenigen positiven Aspekte der Studie: Viele ohne Job tun heute das, wovon sie schon immer geträumt haben. Sie arbeiten als Laienwissenschaftler oder sogar als Künstler. Kai Schöneberg
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