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Ein Neutrum in der Haut einer Kröte

Es reckte den Finger wie Michelangelos Gott und schaute für uns mit den Augen eines Kleinkinds: Das Runzelwesen E. T. kommt zurück auf die Erde

Seine Künstlichkeit brachte die Künstlichkeit unserer Welt zum Vorschein

von ANKE LEWEKE

Heute würde man ihn für ein biotechnisches Missgeschick halten, irgendwo zwischen verschrumpelter Kartoffel und haarlosem Schoßtierchen. Damals standen zwischen ihm und uns keine Mutantengenerationen und Alien-Derivate, keine Biozwitter und Klonkrieger. E. T. war einfach E. T., und mit ihm hatte das Extraterrestrische eine ebenso suggestive wie unschuldige Form gefunden. Ein Wesen wie ein unbeschriebenes Blatt, eine Kreatur, die mit großen Augen auf die Lichter des nächtlichen L. A. hinunterstarrte, demütig bereit für all die Projektionen und Interpretationen, die da aus der ontologischen Tiefe heraufsteigen mochten.

Wer ist dieses Geschöpf mit dem gigantischen Herzen, das bei Erregung in aller Offenheit wie ein englischer Elektrokamin zu glühen beginnt? Und wie ist es ihm gelungen, seine Initialen auch noch nach zwanzig Jahren fest in unser Erinnerungsinventar zu bohren? Zunächst wäre da ein 1,5 Millionen Dollar schweres und 70 Zentimeter langes Robotermodell, das mit unproportional großen Plattfüßen, kugeligem Faltenbauch, ausfahrbarem Hals, neunmalklugen Glupschern und feinfühligen, rot aufleuchtenden Langfingern ausgestattet ist. Über 5.000 Arbeitsstunden soll die Konstruktion der bizarren Erscheinung gebraucht haben. Mehr als hundert Bewegungen mit dem ungelenken Skelett beherrscht E. T. und kann die Falten in ebenso viele Grimassen legen.

Anziehend ist er vor allem als liebenswerter Zeichensalat, als Schutzsuchender und Zaubermeister, als Greis aus dem Weltall (600 bis 800 Jahre, so sein Erfinder, ist E. T. alt). Für uns übernimmt er die Sicht eines Kleinkindes, wobei es genau die fein berechnete Mischung aus Hässlichkeit und Kindchenschema, Krötenhaut und Babyblick ist, die E. T. so bemitleidenswert macht und Beschützerinstinkte wachruft. Allein sein wimpernloser Augenaufschlag holt ein ganzes Seelenleben an die untertassengroße Netzhaut. Wenn die auf klug gestylten Augen (für die angeblich Albert Einstein und John Steinbeck Vorbild waren) zum Vorschein kommen, scheint er die eigene Künstlichkeit überwinden zu wollen. Ein buddhistisches Wesen aus dem All, ein Bhagwan-Alien, das mit sich ganz und gar eins ist.

Nicht nur der kleine vaterlose Elliot aus der trostlosen amerikanischen Suburbia schien auf diese extraterrestrische Transzendenz sehnsüchtig gewartet zu haben. E. T.s gedrungener Rücken musste für alle erdenklichen heilsbringerischen Interpretationen herhalten. Ein neuer Erlöser ward der Filmkritik geboren, ausgespuckt von einem Ufo, dessen flackernde Düsen ein feistes Halloween-Grinsen ergaben.

Zunächst begriff man E. T.s Geschichte als gewagte Interpretation des neuen Testaments, vermochte das kleine Runzelwesen doch wie Jesus zu heilen. Wenn E. T. seine Finger auf eine blutende Verletzung legte, ließ er die lang gezogene Fingerspitze rot aufleuchten, woraufhin sich die Wunde prompt wieder schloss. Auch E. T.s Fähigkeit, Gegenstände durch die Lüfte sausen zu lassen, wurde als Wunder innerhalb einer durchaus christlichen Ikonografie gewertet. Vielleicht wäre E. T. sogar einiges an hermeneutischen Exzessen erspart geblieben, hätte er nicht ganz so großspurig Gott imitiert. Was hat Michelangelos Fingerfresko in den weitläufigen Hügeln vor Los Angeles zu suchen? Und wem hilft dieses außerirdische Geschöpf, den Weg ins Leben zu finden?

Etliche seiner Exegeten haben E. T. die merkwürdige Macht zugesprochen, den Menschen wieder auf sein Menschsein zu stoßen. Erste Anzeichen einer Humanisierung ergaben sich schon 1982, als die internationale Filmkritik bei der Vorführung auf den Filmfestspielen von Cannes in kollektives Weinen verfiel. In den anschließenden Rezensionen deutete man die Gefühlsaufwallung allerdings prompt als wohlkalkulierten Reflex.

„E. T.“ wurde zur pawlowschen Versuchsanordnung. Aus der analytischen Distanz konnte er dann mit weiteren Deutungen malträtiert werden. Plötzlich wurde E. T. zum zivilisationskritischen Dekonstrukteur eines mechanisierten Familienlebens, sein Erscheinen ließ Steven Spielbergs Kinderhelden ihr auf Kapitalismus und Karriere ausgerichtetes Würfelspiel vergessen.

So vollbrachte das Wesen aus dem All ein Paradox der doppelten Synthetik: Seine Künstlichkeit brachte erst die Künstlichkeit und böse Entfremdung unserer Welt zum Vorschein. Wenn E. T. im karierten Bademantel den typisch amerikanischen Alltag durchexerziert, sich mit Tiefkühlklumpen vor die Glotze haut und dabei mit Bier zudröhnt, dann hockt er da wie Millionen traurige Irdische auch.

Über die vielen Zuschreibungen begann man den kleinen Kerl ganz zu vergessen. E. T., ein interpretationsgeschundenes Wesen, das in den selbstfindungsfixierten Achtzigern nur Spiegelbild und Katalysator sein durfte. Nicht einmal die Zeit, sein eigenes Geschlecht herauszufinden, sollte dem Neutrum bleiben! Immerhin ist der kleine Zuwanderer der erste Außerirdische, der für einige Zeit in eine menschliche Gemeinschaft integriert wurde. Frei nach Claude Lévi-Strauss gab es zwischen E. T. und uns ganz bestimmt so etwas wie eine ethnologische Wechselwirkung. Irgendetwas wird er schließlich auch in uns hineinprojiziert haben.

„E.T.“. Regie: Steven Spielberg. Mit Drew Barrymore, Henry Thomas u. a., USA 1982, 114 Min.

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