: Ortung aus – Verkehrsunfall
Annegret Wiermann versorgt verunglückte und verirrte Fledermäuse. Täglich fressen sie ein Drittel ihres Körpergewichts ■ Von Gernot Knödler
Annegret Wiermanns Untermieter hängen sich zum Schlafen an die Decke. Ein Zimmer ihrer Klein Flottbeker Wohnung hat die Naturschützerin zum Reha-Zentrum für Fledermäuse gemacht. Es ist schön kühl und dunkel, so wie ein Rückzugsort für die Insektenjäger eben sein muss. Das Zimmer haben die Mäuse ganz für sich. „Die können sich hinhängen, wo sie wollen“, sagt Wiermann.
Seit zehn Jahren leitet sie die Arbeitsgemeinschaft Fledermausschutz im Nabu Hamburg. „Irgendwie stört mich, dass Tiere immer nach Kategorien eingeteilt werden – nach ,igitt!' und ,ach wie süß!'“, sagt sie. Also hat sie begonnen, sich mit diesen Underdogs zu beschäftigen. Sie veranstaltete Führungen, erfasste den Bestand und irgendwann stand der erste mit einer verunglückten Fledermaus vor der Tür. Wehrmann: „Wenn der Kontakt hergestellt ist, lässt einen das schwer wieder los.“
Fledermäuse werden an den unmöglichsten Orten gefunden: in Briefkästen, der Davidstraße und im Finanzamt in der Steinstraße. Elf von 23 in Deutschland vorkommenden Arten leben in den Hauseingängen, Kellern, Dachböden und Parkhäusern Hamburgs. Sechs von ihnen sind ständige Gäste, etwa der Abendsegler, die Zwerg- und die Breitflügel-Fledermaus. Die übrigen kommen nur in wenigen Exemplaren vor.
Fledermäuse seien neben Siebenschläfern, Haselmäusen, Igeln und Hamstern „die einzigen Tiere in Deutschland, die richtig Winterschlaf halten“, sagt Lorenz Wehrmann von der Umweltbehörde. Um Energie zu sparen passen sie ihre Körperwärme der Umgebungstemperatur an und kühlen dabei fast bis auf null Grad ab. So werden sie steif und hilflos, sodass sie auf gute Verstecke angewiesen sind.
„Früher saßen die in alten Bierkellern“, sagt Wehrmann, hinter dicken Gemäuern und in mächtigen Baumruinen. Doch davon gibt es immer weniger. Und seitdem sich Bauherren zu Recht bemühen, ihre Gebäude möglichst gut zu isolieren, gibt es kaum mehr Löcher und Spalten, durch die die Tiere in einen Unterschlupf gelangen können. Ihr größtes bekanntes Schlafquartier ist ein Parkhaus in Volksdorf: „Das hat Spalten, in denen die sich gut verstecken können“, sagt der Mann vom Naturschutzamt. „Die rücken gerne nah zusammen.“
Sich im Winter zu verkrümeln und abzuschalten ist die Alternative zum Tod. Denn Fledermäuse ernähren sich von gewaltigen Mengen fliegender Insekten: „Eine Fledermaus muss pro Nacht ein Drittel ihres Körpergewichts an Nahrung aufnehmen“, sagt Wehrmann – Folge eines ungünstigen Verhältnisses zwischen Körperoberfläche und -volumen.
Die Arten können Wehrmann zufolge anhand ihrer Flügel, Ohren und Fellfärbung unterschieden werden. Manche falten beim Schlafen die Ohren zusammen. Langsam fliegende Fledermäuse haben breite Flügel, andere wiederum ganz schlanke, mit denen sie bis zu 50 Stundenkilometer erreichen. Die kleinsten Arten, etwa die daumengroße Zwergfledermaus, wiegen nur dreieinhalb bis acht Gramm, die größten, wie der Große Abendsegler, 19 bis 40 Gramm.
Das nötige Futter verschaffen sie sich ebenso wie die Orientierung mit Ultraschall. „Selbst eine kleine Mücke fliegen die nur mit Hilfe des reflektierten Schalls an“, staunt Wehrmann. Dabei stoßen sie in immer höherer Frequenz 80 Dezibel laute Schreie aus – so laut wie mittlerer Straßenverkehrlärm, nur dass Menschen sie nicht hören können.
Weil das die Tierchen viel Energie kostet, schalten sie ihr Ortungssystem aus, wenn sie auf bekannten Strecken fliegen. Den Verkehr scheinen sie dabei bisweilen außer Acht zu lassen. Zumindest gehören Unfallopfer zu den häufigsten Klienten in Annegret Wiermanns Reha-Praxis. Andere sind mit Müh und Not Abrissarbeiten entkommen. „Ich hatte neulich ein Tier, da waren die Flughäute verklebt“, erzählt Wiermann. Ob das Zufall oder böser Wille war, kann sie nicht sagen.
Zusammen mit anderen Naturschützern hat sie ein Nottelefon eingerichtet, das Hilfe für verletzte oder heimatlos gewordene Fledermäuse bietet. In Zusammenarbeit mit dem Tierarzt Siegfried Mundt untersuchen die Nabu-Leute, was ihren Gästen fehlt: Brüche, Prellungen, Kopfverletzungen. Bestehen Aussichten auf Heilung, päppeln sie sie mit Mehlwürmern und Grillen aus der Zoohandlung. Geht es einer Fledermaus sehr schlecht, muss Wiermann mehrmals in der Nacht aufstehen, um sie zu versorgen. „Man muss sich dem Rhythmus der Tiere anpassen“, sagt sie.
Schließlich wird geprüft, ob die Rekonvaleszenten wieder fit sind: „Sie müssen in einem kleinen Raum mehr als eine Viertelstunde lang optimal fliegen“, sagt Wiermann. Wer diesen Test bestanden hat, darf raus. 80 bis 85 Prozent der behandelten Tiere, schätzt Wiermann, wildern die Fledermaus-Freunde wieder aus.
Das Nottelefon hat die Nummern 89 18 23, 38 44 99, 672 36 27, 603 55 87.
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