: Das Bett als Zentrum des Lebens
Die Performancegruppe She She Pop widmet sich mit ihrer „Homestory“ im Prater dem Unumgänglichen: Jeder Mensch muss wohnen. Aber ist das nicht ein obszöner Exhibitionismus und eine permanente Selbstdarstellung?
Dieses Stück müsste es auf Krankenschein geben. Die Krankenkassen würden unwahrscheinlich viel Geld für Anitdepressiva sparen, wenn sie stattdessen Freikarten für die „Homestory“ verteilen könnten. An alle mit denen niemand mehr redet. Denen die Liebhaber abhanden kamen oder der Job. Die sich plötzlich fragen – „Wozu diese ganze Anstrengung? Nur um das Sofa neu zu beziehen?“ Die sich von ihren Möbeln umzingelt fühlen wie von tausend Handlungsanweisungen: Du musst jetzt aufstehen! Du musst die Bücher im Regal lesen! Du musst kochen, was im Kühlschrank liegt!
Ah, selten fühlt man sich so gut verstanden in den Nöten des Kampfes, allein durch den Tag zu kommen, wie von den sieben Damen und einem Herren der Gruppe „She She Pop“, die auf Einladung von René Pollesch ihre „Homestory“ im Prater präsentierten. Die Bühne gleicht einer Puppenstube voller Trash, acht aufgeschnittene Zimmer mit Fototapeten an den Wänden. Von Zimmer zu Zimmer wandern die einsamen Frauen, die sich über die Last des Singledaseins manchmal mit einer vorgeschnallten Schwangerschaftsattrappe, in der kleine Teddybären wohnen, zu trösten suchen. Ihnen auf der Spur ist Sebastian Bark, abonniert auf die Suche nach seiner Katze und wirklich ehrlichen Augenblicken.
Ilia zum Beispiel hat eine „wirklich radikale Entscheidung“ getroffen, die moralische, libidinöse und Fragen der Einrichtung mit einem Schlag löst. Ab heute, sagt sie, „will ich nicht mehr haben sondern nur noch sein“. Sie entscheidet sich für das Sein einer Bettdecke und fühlt sich entlastet von dem ungeheuren Druck, jeden Tag eine kohärente Geschichte zu entwerfen. „Ich kann mich jetzt voll auf Deine Bedürfnisse einstellen“, meint sie zu Sebastian. Der findest das traurig, irgendwie, „denn jetzt kannst du gar nicht mehr nach Hause kommen“.
Über das Wohnen schrieb der Philosoph Vilém Flusser: „Wir wohnen. (…) Unsere Wohnung ist die Weltenmitte. Aus ihr stoßen wir in die Welt vor, um uns wieder zurückzuziehen. Von unserer Wohnung aus fordern wir die Welt heraus, und fliehen vor der Welt in unsere Wohnung.“ Das Zentrum dieser Weltenmitte verortet er im Bett und damit auch das Zentrum jedes Erkenntnishorizontes: „Ich wähle folgende Welten, deren Mitte das Bett ist: Geburt, Lesen, Schlaf, Liebe, Schlaflosigkeit, Krankheit und Tod.“ Und weil wir die eigene Geburt und den eigenen Tod nicht erkennen können, sondern nur Geburt und Tod des anderen, beginnt für Flusser im Bett auch die Einsicht in die Endlichkeit des eigenen Wissens.
She She Pop, die mit der „Homestory“ ihr mittlerweile 17. Projekt seit der Gründung 1993 vorgelegt haben, besichtigt diesen Schauplatz aus so großer Nähe, als die Welt außerhalb der Wohnung nur noch vermintes Gelände sei. Von draußen dringt manchmal feindlicher Düsenjägerlärm herein. Die Frauen laufen in Unterwäsche, Sportdress, Putzlumpen und hysterischen Negligées durch die Zimmer. Ihr Tonfall verlässt nie die infantilisierende und vorgeblich intime Ebene des Bekenntnis, mit dem scheinbar Privates ausgestellt wird. Das könnte leicht schiefgehen, nach 10 Minuten ermüdet die Parodie eines allgemeinen Exhibitionismus, der eh kaum noch jemanden interessiert. Das tut es aber nicht, weil ihre Texte dafür viel zu gut sind. Der Form nach täuscht der Output zwar ständig vor, einer Nachmittagswerbefernsehshow oder einer Pyjama-Party beizuwohnen. Der Input aber ist eine sehr präzise und verantwortungsvolle Recherche darüber, wie das Sein das Bewusstsein gerade in seinen heimtückischen Details bestimmt. Wie uns die Dinge zur Ordnung rufen oder Freiräume vorspiegeln.
Der sicherste Ort ist auch immer ein Gefängnis, und Wohnungen haben die Aufgabe, für wegbrechende Sicherheiten in familiären und wirtschaftlichen Systemen Ersatz zu leisten. Das Schlussbild der „Homestory“ führt in einen Keller. Dort entdeckt eine Frau ihren Plattenspieler, den alten Computer und einen Wasserkocher auch, die ihr Freund, als er zu ihr zog, hinuntergetragen hat. Ihre Stimme, eben noch beim Rundgang durch die Wohnung geladen vom Druck, selbst aus dem abblätternden Lack noch ein identitätsstiftendes Moment herauszulesen, wird ruhig. Hier kommt sie bei sich selbst an. Hier wird sie bleiben. KATRIN BETTINA MÜLLER
„Homestory“ im Prater, 2., 4., 5., 20. und 28. April jeweils 20 Uhr, Kastanienallee 5, Prenzlauer Berg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen