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Dabei sein ist viel

Utopien der Ordnung und der Freiheit, und manchmal Entertainment: Ein Symposium an der Staatsoper über Feste, Feiern und Musik im Rahmen der diesjährigen Festtage

von NICOLA GESS

Was haben die Raver auf der Love Parade und die Besucher des 14t-ägigen Wagnermarathons an der Staatsoper gemeinsam? Sie reisen von weit her an, um bei dem Spektakel dabei zu sein. Sie setzen sich der Wirkung einer extremen Musikerfahrung aus. Sie fühlen sich als Teil einer mehr oder weniger exklusiven Gemeinschaft. Kurzum: Sie kommen nach Berlin, weil sie dort ein großes Fest erleben wollen.

Um Feste, Feiern und Musik drehte sich das diesjährige Symposium an der Staatsoper anlässlich der Festtage 2002, die Wagners Gesamtwerk gewidmet sind. Die Wagnerapotheose und die Love Parade waren allerdings nur zwei von vielen „Festen“, die auf diesem Symposium genauer betrachtet wurden. Der Bogen spannte sich von den Studenten der 68er-Bewegung, die auf motorisierten Zweirädern durch die altehrwürdigen Hallen einer Kunstakademie rasen, bis zu einem unerwarteten Akkord im Werk einer zeitgenössischen Komponistin.

Feste und Feiern gab es schon immer in der Geschichte der Menschheit. Wie Herfried Münkler in seinem Eröffnungsvortrag zeigte, entstehen sie aus dem Bedürfnis nach einer Distanzierung vom Alltag. Feste erfüllen immer mehrere Funktionen gleichzeitig: religiöse, politische, pädagogische und unterhaltende. Wenn früher die religiöse Funktion vorherrschte, überwiegt seit der französischen Revolution die politische Bedeutung des Festes. Heute allerdings dienen Feste vor allem der Unterhaltung, wie man aus den oben genannten Beispielen unschwer ablesen kann.

Diese Tendenz zeichnete sich auch schon bei Richard Wagner ab. Udo Bermbachs Vortrag beschrieb die Hoffnungen des jungen Richard Wagner, mit seinen Festspielen eine politische Bewusstseinsveränderung des Publikums herbeizuführen. Mit seinen Werken wollte Wagner den Mythos der Revolution schreiben, die das Publikum soeben vollendet haben würde. Doch es kam anders. Weder die Revolution noch Wagners Festspielkonzept wurden Wirklichkeit.

Als im Jahr 1876 die ersten Festspiele in Bayreuth stattfanden, hatte das Publikum wenig mit den „Menschen der Revolution“ zu tun, von denen Wagner geträumt hatte. Stattdessen waren laut Bermbach vor allem die zahlungskräftigen Schichten vertreten, die Wagner zur Finanzierung seines Unternehmens brauchte und die überwiegend konservativ eingestellt waren. Sie kamen, um „dabei zu sein“ bei dem großen Ereignis, und um sich zu amüsieren. Wagner selbst hatte sich inzwischen von einem Revolutionsanhänger zum Verfechter der „deutschen Kunst“ gewandelt. Bayreuth war so schon in seinen Anfängen auf dem besten Weg zu der Mischung aus Unterhaltung, kunstreligiöser Überhöhung und nationaldeutscher Ideologisierung, die in den Jahren nach Wagners Tod die Wagnerrezeption bestimmte.

Die politische Dimension von Festen stand auch im Zentrum von Wolfgang Kraushaars Beitrag. Dabei unterschied er zwischen „Fest“ und „Feier“. Während die Feier immer eine Utopie der Ordnung verfolge, habe das Fest eine Utopie der Freiheit im Blick und strebe die Sprengung bestehender Grenzen an. Kraushaars Beispiel für solche Feste waren die anarchischen Feste antiautoritär gesinnter Linksradikaler der 68er-Bewegung.

Politische Aktionen sollten als große „Gaudi“ erlebt und hinterher entsprechend gefeiert werden. Auch diese Bewegung scheiterte jedoch, zwar nicht an ihrer Verkehrung ins Reaktionäre und Totalitäre, aber laut Kraushaar am Verlust ihrer politischen Motivation. Sie führte dazu, dass die Feste im bloßen Hedonismus mündeten oder wie ihre Teilnehmer an den Substanzen zugrunde gingen, die zum Surrogat für eine veränderte Lebenswelt wurden.

Und was ist mit den Festen der 90er- und 00er-Jahre? Peter Weibel blieb in seinem Vortrag der revolutionären Aura der 68er-Feste treu, stöberte diese aber an einem unerwarteten Ort auf. In der LAN-Party (Local Area Network) unserer Tage sieht Weibel die Vorzeichen einer anderen Gesellschaft. Jugendliche sitzen vor Computern, schotten sich durch Kopfhörer von ihrer Umgebung ab, kommunizieren aber trotzdem miteinander über das Netzwerk. Was manchem wie eine Horrorvision vorkommen mag, ist für Weibel die Utopie einer Gesellschaft ohne Hierarchien und Kollektivzwang, in der Feste zu „schweigenden Ekstasen der Kommunikation“ werden – fragt sich nur, um was für eine Art von Kommunikation es sich bei den auf LAN-Parties üblichen Ballerspielen handelt.

Wesentlich weniger ekstatisch fiel Andreas Dörners Diagnose der Feste unserer Zeit aus. Angesichts der Zersplitterung der Gesellschaft in viele offene, kurzfristige und wählbare Gemeinschaften machte er sich auf die Suche danach, was heute Gesellschaften noch zusammenhält. Er wurde fündig beim Fernsehen.

Laut Dörner stehen wir im Durchschnitt sechs Stunden täglich in Kontakt mit audio-visuellen Medien, kommunizieren aber nur eineinhalb Stunden mit anderen Menschen. Die Medien vermitteln uns Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster. Sie schaffen eine Welt, von der wir wissen, dass auch andere daran partizipieren. Sie bieten Gesprächsthemen und greifen diese auf. So ermöglichen sie für Dörner eine „virtuelle Vergemeinschaftung“ aller Fernsehzuschauer: Die Wetten-Dass-Show am Samstagabend als „letztes großes Lagerfeuer“ der Nation.

Und was ist mit denen, die nicht um dieses Lagerfeuer sitzen wollen? Sie treffen sich auf einem etwas exklusiveren Fest, sei es ein Sportkanal, die Love Parade oder die Wagnerfestspiele. Vielleicht verabschieden sie sich aber auch für einige Zeit von den großen Festen und zelebrieren ein kleines Fest mit sich selbst und einer kleinen Musik. Isabel Mundry jedenfalls entdeckte in einem zunächst unscheinbaren Akkord ihres Kammermusikwerkes „Traces des Moments“ ein solches musikalisches Fest.

John Deathridge wiederum öffnete einen verstaubten Briefumschlag im Bayreuther Wagner- Archiv und stieß auf viele kleine Schnipsel nie gehörter musikalischer Einfälle. Mit einem davon, den er zärtlich „the lost soul of Wagner’s music“ nannte, zelebrierte er auf dem Flügel am letzten Tag des Symposiums ein kleines Fest der Intimität und Melancholie.

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