: Einkaufen ohne Geld
Mehr als theoretische Kapitalismuskritik: Nicht nur für Arme liegen Umsonstläden im Trend
aus Berlin PETER NOWAK
Einkaufen, ohne zu bezahlen – in Berlin, Hamburg, Bremen, Hannover und Dresden ist das kein Traum mehr. Dort haben in letzter Zeit mehrere so genannter Umsonstläden eröffnet, in denen sich die BesucherInnen den Blick in den Geldbeutel sparen können, bevor sie auf das Angebot zugreifen.
Das Prinzip der Umsonstläden beruht darauf, dass viele Menschen jede Menge Gegenstände in ihren Wohnungen oder Kellern lagern, die sie nicht mehr brauchen, die aber zum Wegwerfen zu schade sind. Und dass andere womöglich genau diese Gegenstände schon lange gerne hätten, aber kein Geld haben, um sie zu kaufen.
In Berlin, wo vor wenigen Wochen der allererste Laden entstand, ist das Sortiment noch recht spärlich und erinnert so an einen besser sortierten Flohmarkt. Im vorderen Ladenteil sind verschiedene Küchenutensilien gestapelt. Im hinteren Raum werden hauptsächlich Klamotten, Bücher und Schallplatten angeboten. „Allerdings ist auch schon jemand mit einem funktionierenden Computer vorbeigekommen“, sagt Jens Hermann, der zu den Gründern und Koordinatoren des Berliner Verbraucher-Eldorados gehört.
KassiererInnen und DetektivInnen werden nicht gebraucht. Und die Selbstverwaltung wird in der Philosophie der Umsonstladen-Bewegung groß geschrieben. Doch ganz ohne Regeln geht es nicht ab. Um zu verhindern, dass jemand gleich mit dem Umzugsauto vorfährt und den Laden leer räumt, darf jeder Besucher nur drei Dinge mit nach Hause nehmen. Auch wird darauf geachtet, dass die gespendeten Gegenstände noch in gebrauchsfertigen und sauberen Zustand sind. „Schließlich ist ein Umsonstladen keine Müllkippe“, betont Hermann.
Die meisten LadennutzerInnen, zu denen Menschen aller Altersgruppen zählen, haben ganz ungewohnte Probleme. „Es ist so seltsam, einfach wegzugehen, ohne zu bezahlen“, meint eine ältere Frau, die sich eben zwei Kochtöpfe ausgesucht hat. „So reagieren viele, die das erste Mal hierher kommen“, sagt Hermann. Ihren Gewissensbissen kann abgeholfen werden. An der Tür steht eine Spendenbüchse. Mit dem Erlös werden laufende Kosten für Strom und Telefon beglichen. Andere Kosten fallen in der Regel nicht an. Schließlich ist die Mitarbeit ehrenamtlich. Da die Läden meistens in Gebäuden von gemeinnützigen Vereinen oder kirchlichen Einrichtungen ihr Domizil gefunden haben, muss in der Regel auch keine Miete gezahlt werden.
Die LadenbetreiberInnen bemühen sich über praktische Hilfe hinaus, die gesellschaftsverändernden Aspekte ihrer Einrichtungen zu betonen. Die bleiben allerdings eher vage. Nachhaltige wirtschaftliche Auswirkungen hätten die Läden erst, wenn sie in viel größerer Zahl entstünden. Schließlich müsste dann weniger produziert werden. „Dann hätte der Kapitalismus eine neue Herausforderung für seine Wachstumslogik“, so ein Hamburger Aktivist. „Wichtiger ist aber, was sich bei den Leuten tut.“ Ziel sei es, „das herrschende Tauschwertdenken aufzubrechen, den gesellschaftlichen Überfluss deutlich zu machen und eine Ahnung zu verschaffen, wie eine Gesellschaft ohne Tauschwert wäre“.
Das ist auch die Kritik der Bewegung an den Tauschringen, in denen sich viele Mitglieder früher engagiert haben: Diese stellten zwar das Geld als Währung, nicht aber Tauschwertbeziehungen an sich in Frage. Umsonstläden könnten den Menschen dagegen helfen, die Dinge nicht mehr nur als Ware zu sehen.
Doch es sieht so aus, als würden nicht in erster Linie solche theoretischen Fragen die Umsonstladen-Idee populär machen, sondern in Zeiten neuer Armut ganz praktische Gründe. Das Interesse wächst jedenfalls schnell. In Hamburg hat kürzlich schon der zweite und in Detmold der erste Umsonstladen eröffnet. Interessierte aus Thüringen und dem Rhein-Main-Gebiet suchen via Internet MitstreiterInnen.
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